„Ein Reflex der geschlossenen und depressiven Gesellschaft“

Russian President Putin attends a meeting with his counterpart from Venezuela Maduro at the Novo-Ogaryovo state residence outside Moscow
Russian President Putin attends a meeting with his counterpart from Venezuela Maduro at the Novo-Ogaryovo state residence outside Moscow(c) REUTERS (POOL)
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Trotz Sanktionen und Krise bleibt Putins Rating wegen der Ukraine-Manöver haushoch. Die negative Mobilisierung wirkt.

Wien. Vor der Diplomatie-Offensive hätten die EU-Außenminister beschlossen, den bestehenden Sanktionen gegen Russland am Montag weitere hinzuzufügen, hieß es im Vorfeld aus Ratskreisen. Zuletzt war die EU in dieser Frage zunehmend gespalten gewesen. Vor allem die exportstarken Staaten haben sich im Verein mit Putin-Bewunderern und Sowjetnostalgikern dem Wunsch der russischen Seite angeschlossen, Sanktionen zurückzufahren.

In der Tat ist der wirtschaftliche Effekt der Sanktionen und des russischen Importembargos immens. Staaten wie Deutschland oder Österreich bleiben auf etwa einem Fünftel ihrer Exporte nach Russland sitzen. Und in Russland selbst haben die Sanktionen im Verein mit dem Ölpreisverfall die Strukturmängel derart verstärkt, dass das BIP heuer selbst nach offiziellen Prognosen um bis zu fünf Prozent schrumpfen dürfte. Vor allem die Beschränkungen beim Zugang zum westlichen Kapitalmarkt treffen ins Mark.

Putins Umfragewerte stabil hoch

Umso bemerkenswerter ist, dass sich dieser Effekt bisher nicht auf das Verhältnis der Russen zu Kremlchef Wladimir Putin ausgewirkt hat. Hatten – nach Putins Ratingverlusten seit 2008 – vor der Ukraine-Krise zu Beginn des Vorjahres „nur“ noch 65 Prozent der Bevölkerung sein Wirken goutiert und war diese Zustimmung nach der Krim-Annexion auf über 85 Prozent hochgeschnellt, so bleibt sie bis dato stabil auf diesem Niveau. Das zeigen die Daten von Russlands prominentestem Meinungsforschungsinstitut Levada-Centre. 69Prozent der Menschen sind ungeachtet der Sanktionen für die Fortsetzung der jetzigen Politik. Dies, obwohl die wirtschaftliche Situation sich verschlechtert, die Preise steigen und im Vorjahr zum ersten Mal seit 2000 die Realeinkommen gesunken sind. Angesichts der propagierten Bedrohung von außen wirke die „negative Mobilisierung“, wie Levada-Chef Lev Gudkov es formuliert.

Dieser Umfrage zufolge haben die Russen den Effekt des Abschwungs noch nicht in vollem Ausmaß gespürt, obwohl 79 Prozent von Auswirkungen berichten. Immerhin, die Hellhörigkeit habe zugenommen. Und der Trend, die Schuld an der Krise nicht der Regierung, sondern dem Westen zuzuschreiben. Die Machthaber kultivieren das Feindbild geschickt, und selbst Soziologen wagen nicht vorherzusagen, wann sich die wirtschaftliche Situation auf Putins Werte niederschlägt. „Zweifellos wird die Stimmung schlechter, die Menschen erwarten eine großflächige Krise. Aber gleichzeitig sind sie bereit, auf ein anderes Existenzniveau überzugehen, zu erdulden, die Ausgaben, ihre Bedürfnisse usw. zu reduzieren“, so Gudkov. „Es ist das ein Reflex der geschlossenen und depressiven Gesellschaft, die auf alles mit Geduld reagiert.“

Vizepremier Igor Schuwalow sieht die Leidensfähigkeit der Russen als Plus. Die Bereitschaft zum Verzicht und zugleich zur Putin-Treue ermögliche es, das Land zu modernisieren, sagte er. Gürtel enger schnallen sei das Programm des „militärischen Populismus“, der billiger komme als der „soziale Populismus“, ätzte die Zeitung „Wedomosti“.

Die Geduld ist die Folge der hurrapatriotischen Hysterie seit Beginn der Ukraine-Manöver. Und wie am Rating abzulesen ist, hat die Hysterie auch die sonst als so liberal und westfreundlich geltende Mittelschicht erfasst. Es werde die Aufgabe der nächsten Jahre sein, zumindest die Mittelschicht von dieser Linie wieder zurückzuholen, meint ein russischer Tycoon, der nicht namentlich genannt werden möchte, im Gespräch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

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