Woher kommt Putins Hass auf die „kleinen Brüder Russlands“?

RUSSIA GOVERNMENT PUTIN MEETING
RUSSIA GOVERNMENT PUTIN MEETING(c) APA/EPA/ALEXEY DRUZHINYN / RIA N
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Russlands Präsident dürfte die Ukrainer aus Furcht vor einem Demokratiebazillus verfolgen, der auch seine Macht im Kreml gefährden könnte.

Wenn künftig einmal Russland-Historiker auf die Herrschafts-Ära Wladimir Putins zurückblicken werden, werden sie um ein Urteil nicht herumkommen. Es ist dem in Leningrad geborenen Oberstleutnant des früheren sowjetischen Geheimdienstes KGB tatsächlich gelungen, aus dem größten Staat der Erde einen modernen Geheimdienstlerstaat zu formen. Bei jedem anderen großen Modernisierungsvorhaben (Wirtschaft, Infrastruktur, Sozialwesen) ist Putin bisher gescheitert. „Auf einmal“, schrieb der ebenfalls aus St. Petersburg stammende Philosoph Michail Ryklin vor einer Woche in der „Frankfurter Allgemeinen“, „ist alles – vom Privatleben der neuen Eliten bis zu den Mechanismen ihrer Bereicherung – von einem Schleier des Geheimnisses umgeben. (...) Kein einziges Vorhaben der jetzigen Führung lässt sich mehr vorhersagen.“

Nur, wenn sich schon russische Intellektuelle so schwertun, im dichten Nebel rund um die Politik des Kreml zu erkennen, wohin die Reise des Landes gehen soll – wie sollen dann erst westliche Politiker die wahren politischen Intentionen Putins richtig einschätzen? Gut, wir wissen, dass Putin Amerikaner, Homosexuelle, unangepasste Kulturschaffende, aufmüpfige Demokraten, politisch Korrekte und, und, und überhaupt nicht mag.

Warum aber verfolgt er die Ukrainer, die die Russen früher gern als ihre „kleinen Brüder“ gewürdigt haben, mit einem derartigen Hass? Wieso raubt er ihnen einen Teil ihres Territoriums und lässt seine Marionetten in der Ostukraine einen heimtückischen Krieg führen? Was haben die Ukrainer Putin getan, um ihn derart wüten zu lassen – außer zu postulieren, einen eigenen Weg gehen und es nach westlichem Modell und nicht nach den Moskauer Vorgaben versuchen zu wollen?

Eine Beendigung des Ukraine-Dramas mit inzwischen schon 5400 Toten und einer weitgehend zerstörten Industrieregion ist vermutlich nur möglich, wenn man die richtigen Antworten auf solche Fragen findet. Und vermutlich ist das Hauptmotiv von Putins Handeln tatsächlich, wie viele Russland-Experten mutmaßen, die Furcht des im KGB sozialisierten Machtmenschen, dass durch eine Westorientierung der Ukraine der Demokratiebazillus gefährlich nahekommen und zur Gefahr für sein Regime werden könnte.

Die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident, Angela Merkel und François Hollande, haben gestern in Moskau in direktem Gespräch versucht, eine Lösung für den Krieg in der Ostukraine zu finden, der längst das Potenzial hat, ganz Osteuropa zu entflammen. Über drei Dutzend Mal hat Merkel mit Putin schon bezüglich einer Konfliktlösung telefoniert. Immer vergeblich.

Auch wenn erwiesen ist, wer mit der Aggression begonnen hat und wer in der Ostukraine den Krieg schürt: Die russische Führung streitet weiter jede Beteiligung ab und versucht, Fakten einfach wegzuleugnen beziehungsweise falsche Fährten in Richtung USA und EU zu legen. Oh ja, das können die russischen Agitatoren meisterhaft. Und sie kriegen von den Putin-Verstehern der Rechten und Linken und naiven Russophilen überall in Europa auch Applaus dafür.


Bitter wird es, wenn auch diese jüngste Initiative zu einer diplomatischen Lösung des Ukraine-Dramas im Sand verläuft. Die Bremserfraktion innerhalb der EU gegen verschärfte Russland-Sanktionen, zu denen auch die österreichische Bundesregierung gehört, wird sich dann schwerer tun. Schwer wird sich dann auch Deutschland tun, gegen westliche Waffenlieferungen an die Ukraine zu argumentieren. In den USA werden die Befürworter von solchen Waffenlieferungen gerade auch im inzwischen republikanisch dominierten Kongress immer lauter, auch in Europa gibt es etliche wichtige Staaten, die einen solchen Schritt befürworten.

Durch sein Vorgehen hat Putin der bereits träge gewordenen westlichen Verteidigungsallianz Nato wieder neues Leben eingehaucht. Die schnelle Eingreiftruppe nimmt konkrete Formen an, sechs neue Nato-Stützpunkte von Estland bis Bulgarien sind projektiert. Die Nato hat wieder ihren Existenzzweck: Sie ist die militärische Lebensversicherung gegen ein aggressives Russland.

E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

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