Eine Wunderwelt der tanzenden Bäume und versteinerten Trolle

„Hilda und der schwarze Hund“
„Hilda und der schwarze Hund“(c) Reprodukt
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Der junge Brite Luke Pearson hat mit seinen progressiven „Hilda“-Comics ein Phänomen geschaffen. Die Geschichten der Heldin sind inspiriert von nordischer Folklore.

Die Erfolgsgeschichte des 27 Jahre jungen britischen Comicschöpfers Luke Pearson ist so rasant wie unerwartet verlaufen: Seine hinreißende Heldin Hilda, ein blauhaariges Mädchen, das neugierig eine fantastische Wunderwelt durchstreift, ist mittlerweile ein internationales Phänomen, das Alt und Jung gleichermaßen verzaubert. Dabei ist es erst knapp vier Jahre her, dass Hilda – eher zufällig – die Welt betrat: Der britische Verlag Nobrow Press wollte mit einer Kleinformat-Reihe „die nächste Generation von Comic-Künstlern“ vorstellen. Eingeladen wurde auch der studierte Illustrator Pearson, der kurzerhand eine Märchenfigur aus einem seiner Skizzenblocks in ein Universum setzte, das sich vor allem aus skandinavischen Sagenwelten speist. „Hildafolk“ hieß das daraus resultierende Bändchen, und man war sich einig: klein, aber oho! 2012 folgten zwei längere Hilda-Abenteuer, die mit Preisen überhäuft wurden.

Als 2013 die ersten deutschen Übersetzungen erschienen, feierte das Feuilleton Pearson bereits als Wunderkind: „Einer der bemerkenswertesten Zeichner seiner Generation“, urteilte Comic-Papst Andreas Platthaus in seinem „FAZ“-Blog. Die Kollegen von der „Zeit“ legten noch ein Schäuferl nach und erklärten Pearson zu einem der „weltweit interessantesten Comiczeichner“. Für „Hilda und der Mitternachtsriese“ gab es auch gleich die renommierteste deutsche Comicauszeichnung, den Max-und-Moritz-Preis für den besten Kindercomic. Schon in „Hildafolk“ – auf Deutsch mittlerweile als „Hilda und der Troll“ publiziert – kann man dabei den speziellen, nicht nur auf Kinder wirkenden Zauber von Pearsons Kreation erkennen. Bei einem Malausflug trifft die abenteuerlustige Hilda unter anderem Wassergeister, (nur tagsüber) versteinerte Trolle und ein einsames, mysteriöses Holzmännchen. Ganz unaufdringlich fügt sich das Fantastische in den (Kinder-)Alltag – diese Selbstverständlichkeit produziert bei allem Amüsement auch sanft unheimliche Obertöne.

Noch die skurrilsten Fabelwesen, denen sich Hilda zuwendet, besitzen melancholische Tiefe. Pearsons wichtigste Inspiration war neben generationenübergreifenden Klassikern wie den „Mumins“, „Asterix“ oder dem Werk des Japaners Hayao Miyazaki vor allem ein kurioser Sammelband mit nordischer Folklore: Kurzprosa, durch Jahrhunderte mündlicher Überlieferung auf den Kern reduziert. Pearson begeisterte sich für die besondere Wirkung des „trockenen, undramatischen, fast langweiligen“ Tons: „Als würden die Ereignisse von jemandem erzählt, der sie für wirklich hält, und den sie gar nicht besonders interessieren.“ Die unmöglichsten Dinge wirkten so, als ob sie wahr wären.


Keine Gewalt. Diese Kraft waltet auch bei Pearson, aber Gott sei Dank ohne den trockenen Ton: Seine Hilda-Fabelwelten sind so lebhaft wie die Heldin, der Autor teilt ihren unverdorbenen Blick auf das Fantastische als Teil der Wirklichkeit, umgesetzt in detaillierte Atmosphären, mit unsentimentalem Charme und ohne Klischees: So gibt es keine Widersacher im eigentlichen Sinne – der Troll, der Mitternachtsriese oder der gewaltige Vierbeiner im neuen Band „Hilda und der schwarze Hund“ mögen zwischendurch bedrohlich wirken, aber entpuppen sich stets als vielschichtige Gestalten. Pearson ist kategorisch gegen Gut-Böse-Schemata und Gewalt als Lösung: Ein Hilda-Buch werde nie einen handelsüblichen Schlusskampf haben: Nicht nur Pearsons Auflösungen sind voller Überraschungen. So sind seine Bücher auch aus feministischer Perspektive unaufdringlich fortschrittlich: In Hilda und ihrer alleinstehenden, von der Abenteuerlust der Tochter gestressten Mutter hat er ein bemerkenswertes Frauenduo entworfen, das mittlerweile aus seinem Holzhaus im mythischen Wald in die Stadt gezogen ist. Um sein fabelhaftes Terrain – in den Büchern gibt es liebevolle Karten, für die Pearson skandinavische Landschaften bereist und studiert hat – nicht durch realistische Details und Alltagsregeln zu entzaubern, hat der Zeichner Hilda an einen wirklichkeitsnahen Ort übersiedelt, wo das Geheimnisvolle umso wirkungsvoller einbricht. Wie der riesige schwarze Hund, der im Hilda-Städtchen Trolberg für Unruhe sorgt, während die kleine Heldin eine andere Geheimwelt entdeckt: Hausgeister, Haarwuschel-Wesen mit Knollennasen.

Bevor ihn der Zufall zum Kindercomic-Star machte, hat Pearson diese Verschränkung von Fantasie und Wirklichkeit schon mit melancholischer Meisterschaft umgesetzt: „Was du nicht siehst“, nachträglich als sein „Erwachsenencomic“ deklariert, schildert das Ende einer Beziehung als buchstäblich von Fabelwesen umgeben: innere Dämonen, unerklärlich tanzende Bäume oder fantastische Insekten, sie werden aber vom vereinsamten Protagonisten ebenso wenig gesehen wie die letzten Liebeszeichen.

pearson

Luke Pearson,Jg. 1967, wuchs im britischen Hampshire auf. Er studierte Illustration und merkte bei Auftragsarbeiten, dass er gern Hintergrundgeschichten zu seinen Bildern erfand. Nach einigen Comics im Selbstverlag legte er 2010 mit der Kreation seiner blauhaarigen Heldin Hilda den Grundstein zum Welterfolg. Die bislang vier „Hilda“-Bände (je 18 Euro) und Pearsons Erwachsenencomic „Was du nicht siehst“ (14 Euro): Auf Deutsch bei Reprodukt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

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