Lehrer evaluieren die NMS
In meiner Schule sind die neuen Lernkonzepte kaum angekommen. Wahrscheinlich kann man meine NMS als Brennpunktschule bezeichnen, in manchen Klassen beträgt der Migrantenanteil hundert Prozent. Differenzieren ist sehr schwer. Viele befürchten, dass die schwächsten Schüler zurückbleiben.
Die älteren Lehrer vermissen die Leistungsgruppen. Auch die Schulleitung hängt der Vergangenheit nach: Sie verlangt, die Schüler in jeder doppelt besetzten Stunde in eine stärkere und eine schwächere Gruppe zu teilen, das entspricht aber nicht dem Konzept der NMS. Dabei finde ich das Teamteaching an sich gut. Überhaupt weiß die Schulleitung selbst nicht genau, wie sie das Konzept umsetzen soll.
NMS-Lehrerin in Niederösterreich
Name der Redaktion bekannt
Ich stehe jetzt vier Jahre vor der Pensionierung, und es tut mir sehr leid, dass ich das Konzept der NMS nicht schon vorher kennengelernt habe. Früher in der Hauptschule traute ich den Schülern in der letzten Leistungsgruppe im Englischunterricht vieles nicht zu und ließ es daher weg. Das war ein Fehler. Jetzt lege ich – soweit das möglich ist – mit den Schülern gemeinsam fest, welchen Stoff wir erarbeiten. Sie haben dadurch das Gefühl mitentscheiden zu können und sind engagierter.
Die NMS hat das Lernen und die Schüler in den Mittelpunkt gestellt. Das hätte es schon vorher gebraucht. Bei mir arbeiten die Schüler viel selbstständig in Gruppen, das funktioniert wunderbar. Mir tut nur die Diskrepanz zwischen den NMS und den Gymnasien weh. Vom Konzept her würde die NMS für alle Schüler zwischen zehn und 14 Jahren passen.
Helga Diendorfer
Lehrerin in der NMS St. Georgen, NÖ
Bei der Einführung einer neuen Lernkultur – das ist ja ein großes Ziel der NMS – hat vieles nicht so wirklich geklappt. Die Bereitschaft der Lehrer, von den frontalunterrichtlichen Methoden wegzugehen, wäre zwar da. Aber sie sind hier ziemlich alleingelassen worden. Was sich in der NMS ändern soll, war viel zu schwammig und unklar formuliert.
Es machte irgendwie den Eindruck, dass nicht einmal das Bildungsressort wirklich wusste, was es will. Und so ist es auch an der Basis angekommen: Niemand weiß, wie das Konzept umgesetzt werden soll. Daher glaube ich auch nicht, dass der angestrebte Rollenwandel des Lehrers hin zum Lernbegleiter eingesetzt hat. Was die Leistungen angeht, so werden die Schwachen mehr gefördert als früher, weil sie mit den Starken in einer Gruppe sind. Die Stärkeren profitieren aber kaum.
S. St.
NMS-Lehrer in Niederösterreich
Ich bin ein großer Verfechter des NMS-Konzepts. Weil es da möglich ist, die Kompetenzen der Kinder viel breiter zu betrachten, abseits von Lesen, Schreiben, Rechnen. Die Veränderungen der NMS sind erst im Anlaufen – und dieser Prozess wird auch noch länger dauern.
Die Lehrer haben immerhin teils zwanzig Jahre lang im bisherigen System gearbeitet. Manches muss sich erst einspielen. Ich wünsche mir mehr Autonomie: Ein Jahrgangsteam soll selbst entscheiden, wie es die zusätzlichen Ressourcen für seine Klasse verwendet. Die Lehrer wissen am besten, wo es sinnvoll ist, zwei Lehrer einzusetzen. Wir würden den Zweitlehrer gern in Lernstunden am Nachmittag einsetzen, weil man so mehr auf die Bedürfnisse der Schüler eingehen kann.
Wilhelm Wunderer
NMS Koppstraße, Wien
Die NMS krankt vor allem an der viel zu schnellen Einführung als Regelschule. Zustimmung zu einer neuen Schulform muss wachsen können, das wurde sträflich vernachlässigt. Viele meiner Kollegen fühlten sich überfahren und überfordert.
Ein großer Minuspunkt ist, dass sich die meisten AHS weigerten, mitzumachen. Dass die AHS-Lehrer, die doch dabei sind, für die gleiche Arbeit besser bezahlt werden, ist ein weiteres Problem. Meine Erfahrung ist, dass ambitionierte Schulen und flexible Lehrer die Kurve gekratzt haben, sich aber für die anderen das Konzept der NMS noch immer fremd anfühlt. Manche Lehrer, die engagiert und ambitioniert waren, können sich nun durchaus eine Rückkehr zum Leistungsgruppensystem vorstellen.
M. K.
Lehrerin an einer NMS in Salzburg
Bei manchen Punkten habe ich auch Zeit gebraucht, bis ich verstanden habe, wie ich das im Unterricht umsetzen kann. Mit dem Wegfall der Leistungsgruppen und der internen Differenzierung muss man sich einarbeiten, gute Materialien erstellen. Dann ist es unglaublich, wie gute Schüler davonpreschen, während die anderen an der Basis arbeiten.
Simone Wechselberger
Lehrerin in der NMS Mayrhofen, Tirol
Generell muss die Dauer-Bevormundung durch das Ministerium aufhören – auch was das Teamteaching betrifft. Das sollte nicht nur an Mathematik, Deutsch und Englisch gebunden sein. Es gibt noch ein Problem: die neue, siebenteilige Notenskala. Ich halte die für absolut untauglich.
Paul Kimberger
Vorsitzender der Pflichtschullehrer
Als ich Direktor war, sah ich keinen Grund, meine Hauptschule umzuwandeln. Da halfen auch die Zuckerl in Form von Geld und Extrastunden nichts. Man hätte die Hauptschule besser machen können. Stattdessen wurde ein neuer Schultyp eingeführt und dem alten ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Zu Unrecht.
Bei uns gehen fast alle Schüler des Sprengels in die Hauptschule. Daher waren uns die (durchlässigen) Leistungsgruppen wichtig. Wir haben sogar einmal versucht, sie aufzulösen. Doch das Niveau der Besten sank. Man kann kein besseres Niveau garantieren, wenn man alle Schüler zusammenwirft und mehr Lehrer einsetzt. Unterschiedliche Lehr- und Lernformen, ausführliche Gespräche mit den Eltern und auch das Teamteaching gab es bei uns auch schon vorher. Das ist keine Erfindung der NMS.
Jos Franz
Ex-Direktor der Hauptschule Bezau in Vorarlberg.
Lehrer wurden vom Einzelkämpfer zu Teamplayern: Das ist einer der größten Verdienste der NMS. Die neuen Lehr- und Lernformen – damit meine ich nicht nur das Teamteaching – machen eine bessere Zusammenarbeit notwendig. Lehrer konzentrieren sich nun mehr auf das Lernen der Schüler. Es geht also darum, wie man den Lernprozess richtig unterstützt.
Die größte Errungenschaft der NMS sind die heterogenen Stammklassen. Das Leistungsgruppendenken hat nur für die Lehrer und die erste Leistungsgruppe gut funktioniert. Für die anderen nicht. Nun soll Lernen individualisiert stattfinden. Wenn differenziert wird, dann sollte es nicht nur nach Leistung geschehen, sondern auch nach Interessensgebieten, Motivation und Lernvorlieben.
Christoph Hofbauer
NMS-Entwicklungsbegleiter
Gordon Emrich
Direktor einer privaten NMS in Wien