Maurice Ernst: "Bilderbuch"-Karriere

(c) Christoph Poell
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Die österreichische Band Bilderbuch macht Furore. Sänger Maurice Ernst über originelles Schmachten heute.

Mit „Maschin‘“ lösten Bilderbuch im Vorjahr einen Hype im ganzen deutschen Sprachraum aus. Sie spielten auf vielen Festivals im Ausland. Etablierte Acts wie Casper, Seeed und die Beatsteaks rissen sich darum, die frechen Österreicher in ihrem Vorprogramm zu haben. In der aktuellen Ausgabe des Popmagazins „Rolling Stone“ heißt es schwärmerisch: „Noch nie hat deutschsprachige Popmusik so international geklungen.“ Am 20. Februar veröffentlicht die ehemalige Indie-Pop-Band aus Oberösterreich ihr drittes Album „Schick Schock“, das erste im neuen progressiv-poppigen Sound. Es übertrifft qualitativ alle Erwartungen. Sänger Maurice Ernst ist gegen Dogmen, ihm gefällt der Ansatz, „eigene und fremde Ideen zu verbinden“. Die Herausforderung sei, Klischees mit neuem Leben zu erfüllen.

Die Vinyl-Maxi von „Maschin‘“ kostet mittlerweile im Internet um die 400 Euro. Wollen Bilderbuch sie nicht nachpressen?
Nein. Auf keinen Fall. Wir schauen nicht nach hinten. Die Nachfrage nach „Maschin‘“ hat uns letztes Jahr total unvorbereitet erwischt. Hinter der EP-Veröffentlichung steckte kein Businesskalkül. Normalerweise macht man so etwas, um den Ofen anzuheizen, bevor das Album kommt. Aber wir hatten damals noch nichts fertig.

Das hat sich mittlerweile geändert. Jetzt kommt „Schick Schock“, ein ungemein vielschichtiges Album. Was war Ihr Plan?
Mit der EP haben wir einen neuen Gedanken formuliert, den wir jetzt mit den neuen Songs zu Ende gedacht haben. Mit „Maschin“ haben wir eine Tür aufgestoßen, mit der Arbeit am Album sind wir über die Schwelle getreten. Wir haben uns bemüht, angerissene Konzepte und alte Ideen ins Studio mitzunehmen und auf unbekümmerte Weise weiterzutragen. Für den Song „OM“ haben wir uns tatsächlich ein Jahr Zeit genommen, bis wir ihn als halbwegs vollendet betrachtet haben. Unseren Punk macht aus, dass eigentlich nie etwas ganz fertig ist.

Wie entsteht so ein typischer Bilderbuch-Song?
Meist beginnt es mit einem Beat oder einem Namen, der uns nicht mehr aus dem Kopf geht. Dann sammeln wir Ideen, lassen das Zeug wieder liegen, greifen es in anderer Stimmung aufs Neue auf.
Keinesfalls gehen wir ohne Idee ins Studio und versuchen auf einem Instrument einen Song zu schreiben. So passiert es einfach nicht.

Das ist eine Methodik, die sonst im Hip-Hop angewandt wird. Ist dieses Genre eine Inspiration für Sie?
Auf jeden Fall. Der Ansatz, dass man eigene mit
fremden Ideen verbindet, gefällt mir. Man darf
zitieren, verwurschteln, einfach collagenartig arbeiten. Die Herausforderung ist, Klischees mit neuem Leben zu erfüllen. Was Bilderbuch von anderen abhebt, ist, dass wir uns größtenteils selbst sampeln. Das Rekontextualisieren von Ideen ist eine Supersache. Oft hat man auch Ideen, die im Moment nicht passen, aber vielleicht in fünf Jahren genial sind.

Manche finden es traurig, dass der Sampler längst selbst ein Instrument ist. Wie sehen Sie das?
Diese Vielschichtigkeit der Sounds, dieses permanente Changieren ist eine Konsequenz veränderter Hörgewohnheiten. Unsere Generation ist es gewöhnt, zu jeder Zeit jede Art von Musik zu hören. Unser Herz hängt nicht mehr an einem einzigen Genre. In einem Moment höre ich Muddy Waters, im nächsten elektronischen Sound der Neunziger. Unsere Herausforderung ist stets: Wie
verbinde ich diese beiden Erfahrungen in einem Song?

Schreiben Sie diese wundersamen Texte, die mit wenigen
Worten intensive Bilder evozieren, ganz allein?
Meistens schon. Bassist Peter Horazdovsky hilft immer sehr super aus, wenn es Lücken gibt. Er ist mir ein guter Reibungspunkt. Mal erzähle ich eine Geschichte, dann geht es wieder eher dadaistisch zu. Ich hab da kein Dogma. Der Song treibt dich jeweils zur richtigen Lösung. Mal geht es eher ins Narrative, dann wieder ins pure Bildliche. „Spliff“ erzählt ein gute Story, „OM“ ist hingegen ein Bilder- und Parolensong.

Wie lehrreich war es mit Seeed, Casper und den Beatsteaks zu touren?
Es war sehr interessant, vor diesen unterschiedlichen Fangruppen zu performen. Einmal waren es Hip-Hopper, dann Rocker, Popper oder Reggae-Freaks. Wir kamen als Vorband ungefragt wie der Gruß aus der Küche auf die Bühne und mussten repräsentieren. Wir sind eine Band mit Ecken und Kanten, haben es genossen, wenn manche im Publikum schockiert waren.

Im Song „Softdrink“ muss ein Gastrapper die österreichische Provinzlimonade Spezi loben. Wer ist der Herr?
Das wollen wir noch nicht verraten. Ein Song ist etwas wahnsinnig Intimes. Einen Fremden da hineinzulassen ist heikel. Es hat glücklicherweise wunderbar funktioniert. Wir haben uns bei „Softdrink“ ein bisserl an die Gorillaz und an Michael Jackson angelehnt. Es geht in erster Linie um den Bilderbuch-Trademarksound.

„Ich lese Brut, Gemü und Deridall“ heißt es in einer Texttranskription des Songs „Feine Seide“ im Internet. Die Bilderbuch-Fans scheinen teilweise illiterat zu sein. Stört Sie das?
Es amüsiert mich eher. Ich singe selbstverständlich „Proust, Camus und Derrida“. In der weiten Welt des Internets verstolpern sich halt auch manche sprachlich. Egal.

Teilen die neuen, herrlich kontrastreichen Songs auf unterschwellige Weise etwas?
Es geht immer um Sehnsucht. In Liedern wie
„Gibraltar“ und „Barry Manilow“ wird das besonders deutlich. Es geht sehr oft um entfernte Ziele, die nicht exakt greifbar sind. Beim Horchen bin ich draufgekommen, dass es trotz unserer Posen des Trotzes und gewaltiger Soundaufwallungen ein im Grunde schmachtendes Album ist.

In „Willkommen im Dschungel“ singen Sie, dass Sie sich so „verbrecherisch“ fühlen. Anderswo stellen Sie sich als Rebell vor. Sind das Anwandlungen, die autobiografisch sind?
Ich glaube, schon. Wenn man es als Musiker ernst meint, gehört die anti-bürgerliche Pose dazu. Wir begannen als Indie-Popper, haben aber bald bemerkt, dass das es ein bisserl spießig war, es sich in so einer Nische gemütlich zu machen. Wir rebellieren also haupt-sächlich gegen uns selbst. Und auch ein wenig gegen gewisse Gepflogenheiten in der österreichischen Szene. Das eigene Label war für uns ein Meilenstein. Der Anspruch, deutschsprachige Musik auf ein neues Level zu heben, hat uns weitergebracht. Wir haben viele Dinge gemacht, die eigentlich nicht erlaubt sind. Uns ist es darum gegangen, Lässigkeit zu demonstrieren, indem wir Fehler machen und diese ganz plakativ ausstellen. So etwas würden deutsche Bands nie machen.

Tipp

Maurice Ernst, Michael Krammer, Peter Horazdovsky, Philipp Scheibl, das sind die Musiker der Band Bilderbuch, neues Album „Schick Schock“, ab 20. 2.

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