Die von Fakten unbeschwerte Welt der Tsipras-Versteher

Sibylle Hamann betätigt sich als Schuldnerberaterin Griechenlands – und steht dabei auf Kriegsfuß mit den Tatsachen. Eine Replik.

Einen überzeugenden Beweis dafür, dass nicht alles, was auf beiden Beinen hinkt, deswegen auch schon ein Vergleich ist, tritt Sibylle Hamann mit ihrer jüngsten „Presse“-Kolumne „Nein, das ist nicht linksradikal oder dumm, es ist bloß vernünftig“ („Quergeschrieben“ vom 10.2.) an. Griechenland vergleicht sie darin mit einer „Familie G.“, die sich in die Zahlungsunfähigkeit manövriert hat, bei den „Banken und Geldverleihern“ überschuldet ist und nun „wieder auf die Beine kommen will“, um „mittelfristig den eigenen Verpflichtungen nachkommen zu können“.

Dann, so der kundige Rat von Frau Hamann an Familie G., „braucht sie ein seriöses Geschäftsmodell für ihren Betrieb. Kleine Investitionen, mehr einnehmen als ausgeben (...) Mit diesem Plan geht sie dann zu den Gläubigern und ersucht sie, die Raten eine Zeit lang auszusetzen und einen realistischen Rückzahlungsplan auszuarbeiten.“ Herrn Alexis Tsipras diesbezügliche Politik sei deshalb eben „nicht linksradikal oder dumm, (sondern) bloß vernünftig“.

Auch wenn wir davon absehen, dass Tsipras bis jetzt nicht einmal einen Schimmer von einem „seriösen Geschäftsmodell“ vorgelegt hat, fällt das Familienbild der geschätzten Kollegin Hamann vor allem durch seine bemerkenswerte Distanz zum Boden der Realität auf. Denn davon, dass Griechenland „mittelfristig den eigenen Verpflichtungen nachkommen will“, kann leider nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil. „Wenn eine Schuld nicht mehr beglichen werden kann, dann führt das zu einem Schuldenschnitt“, fordert der griechische Finanzminister, Yanis Varoufakis, diese Woche einen Verzicht der Gläubiger. Was leider das genaue Gegenteil zivilisierter Vorstellungen davon ist, eigenen Verpflichtungen nachzukommen.

Weit entfernt von jeglicher Realität ist auch Hamanns Unterstellung, Familie G. sei bei „Banken und Geldverleihern“ verschuldet und habe „die meisten Wertsachen schon versetzt, um Zinsen zu zahlen“. Verschuldet ist G. allerdings schon lange nicht mehr bei Banken, sondern fast nur noch bei anderen Familien, etwa den Familien A. und D., die eben weniger Geld für ihre Kinder in Wien und Berlin haben, wenn Familie G. wahr macht, was ihr Finanzminister androht. Und die G.s sind sogar bei der noch viel ärmeren Familie S(lowakei) verschuldet, die trotz ihrer Armut den G. half – ein seltsamer Begriff von „Gerechtigkeit“, der uns da aus Hamanns Kolumne entgegenweht.

Dass die G.s „die meisten Wertsachen versetzt“ hätten, „um die Zinsen zu zahlen“, mag in der Fantasie der Tsipras-Versteher Wirklichkeit sein, in der Realität freilich ist das eher Fantasie. Geschlagene 60 Monate nach der Insolvenz Griechenlands ist noch nicht einmal die staatliche Tankstellenkette privatisiert.

Erfrischend losgelöst von der Faktenlage ist auch Hamanns Vorschlag an die Familie G., „die Raten eine Zeit lang auszusetzen und einen realistischen Rückzahlungsplan auszuarbeiten“. Genau das haben die anderen Familien der Familie G. schon längst zugestanden, die bis 2020 praktisch überhaupt keine Rückzahlungen leisten muss und danach noch Jahrzehnte Zeit hat, ihren Schuldenberg zu verringern.

Leider ist der Rückzahlungsplan trotzdem nicht „realistisch“ – sonst würden die G.s jetzt nicht dreist einen Schuldenschnitt fordern. Was möglicherweise damit zu tun hat, dass diese famose Familie seit Beginn ihrer Existenz schon sieben Mal ihre Schuldner um das ihr geborgte Geld betrogen hat, was eher wenig Grund zur Hoffnung gibt, sie würde nun mit dieser alten Familientradition brechen.

In einem hat Sibylle Hamann freilich völlig recht: „Dumm“ ist der Plan der neuen griechischen sozialistischen-nationalen Regierung wirklich nicht. Denn sollte er gelingen, haben wir es angesichts der möglichen Beute in Höhe von hundert Milliarden Euro oder mehr an verlorenen Krediten mit dem größten perfekten Wirtschaftsverbrechen aller Zeiten zu tun. Dumm sieht anders aus.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2015)

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