Stuwerviertel: Veränderung von innen heraus

Wo das Stuwerviertel und sein Umfeld mehr zusammenwachsen sollen, gibt es langsamen Zuzug, sachte Aufwertung und neue Ideen für ein altes Viertel.

Vor den bunten Gründerzeithäusern in der Ennsgasse dümpeln Enten, im Venediger-Au-Teich Kinder auf Luftmatratzen. Das scheint momentan unrealistisch, aber baldige Umsetzbarkeit war bei den Raumwerkstatt-Projekten der TU-Studenten nicht gefordert, die derzeit im Grätzelzentrum am Max-Winter-Platz gezeigt werden. Neben dem venezianischen Ansatz eines Kanals quer durchs Stuwerviertel gab es auch die Idee einer bedarfsabhängigen Verkehrsberuhigung der Lassallestraße. So sollte diese Trennung zwischen dem Stuwer- und dem neuen Nordbahnviertel beseitigt werden, „eine große Barriere, nicht nur baulich, sondern auch in den Köpfen“, sagt Corona Davit-Gsteu von der Gebietsbetreuung Leopoldstadt (siehe Info).

Tatsächlich verlaufen die Grenzen des sich zum Praterstern hin zuspitzenden Viertels zwar entlang von Vorgarten-, Ausstellungs- und Lassallestraße, aber was heißt das schon bei einer Gegend, die so von Durchmischung und Zuzug geprägt ist – zuletzt durch den der WU-Studenten. Vor der Umsiedlung der Wirtschafts-Uni auf das Gelände zwischen Messe und Prater ist viel über ihren Einfluss auf die Umgebung spekuliert worden. „Sie kommen langsam und erkunden das Viertel, man sieht schon, dass etwas mehr junge Leute hierherziehen“, sagt Davit-Gsteu. Von einer radikalen Umwälzung, etwa beim Gastronomieangebot, kann man derzeit aber nicht sprechen. Mit dem Big Garten auf dem Vorgartenmarkt hat seit der Übersiedlung exakt ein neues Lokal eröffnet. Akademisches Publikum ist auch nicht neu: Vor 18 Jahren wurde die FH in der Wohlmutstraße eröffnet, zudem eine Reihe von teils internationalen Studentenwohnheimen.

Das Interesse an den zuvor außergewöhnlich günstigen Wohnungen ist unzweifelhaft gestiegen und mit ihm die Mieten und Kaufpreise. Eine Auswirkung und gleichzeitig eine Ursache dessen ist die Verdrängung der Rotlichtszene aus dem Stuwerviertel. Man versuchte das unter anderem durch das Aufstellen hüfthoher Betonstraßensperren, um die Anfahrt der Freier zu verhindern. Das sei auf Wunsch der Anrainer geschehen, sagt Davit-Gsteu. „Vergangenen Herbst wurden die Bewohner der Venediger Au, wo es Sperren gibt, noch einmal dazu befragt, und über 80 Prozent waren dafür, diese zu belassen.“ So blieben sie stehen, zur Enttäuschung der Kaufleute, die Einbußen infolge der Verkehrserschwernis befürchteten. Auch aus anderen Motiven gab es Widerstand: Die Bürgerinitiative Lieber Rotlicht statt Blaulicht sprach sich etwa „gegen die Abschaffung des Rotlichts im Stuwerviertel, einer jahrhundertealten Tradition hier im Viertel“, aus. Ein Zeichen dafür, wie eng das Grätzel mit dem Prater, samt all seinen Begleiterscheinungen, verknüpft ist, wie auch die Tatsache, dass es nach Johann Georg Stuwer, k. u. k. Feuerwerkskünstler, benannt ist. Diesen Stuwer-Charme sehen manche schwinden. Davit-Gsteu nicht. Die Stadterneuerung werde dem Viertel nicht von außen oktroyiert, sie vollziehe sich von innen heraus, und langsam. „Die Aufwertung findet statt, aber in einem Tempo, bei dem die Menschen mitkönnen.“

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Kunst und Gemüse

Ein Beispiel dafür ist die Neugestaltung des Vorgartenmarktes, der Anfang der 1960er auf dem Areal eines städtischen Reservegartens entstand, dann etwas in Vergessenheit geraten war. 2003 begann sich die Gebietsbetreuung um Belebung zu bemühen, mittlerweile bietet der Markt auch Lokale, Feinkost- und Biostände wie die Palette. Deren Geschäftsführerin, Bettina Hradecsni, spricht von großer Wertschätzung seitens der Besucher. „Wie sich der Vorgartenmarkt entwickelt, wird sehr positiv erlebt.“ Ein Anziehungspunkt ist zudem die Agora Marktbiennale, im deren Rahmen ein leer stehender Stand monatlich von Künstlern genutzt wird. Wie bei der angedachten Kultivierung der vielen mäßig attraktiven Lagerraumfronten im Grätzel, ist hier das Ziel, es sachte zu erneuern. Um zu bewahren, was es laut Davit-Gsteu ist: „Ein altes, schönes, spannendes Viertel.“

Zum Ort

Ideen der TU-Studenten fürs Stuwerviertel bis 27. 2. im Grätzelzentrum am Max-Winter-Platz. Die Gebietsbetreuung Stadterneuerung berät in Fragen zu Wohnen, Umfeld, Infrastruktur, Gemeinwesen. www.gbstern.at. Die Wohnungspreise in 1020 Wien differieren, das Stuwerviertel ist im Vergleich zu anderen Grätzeln günstiger, die Preise ziehen aber an. Durchschnittlich kosten Mieten ab 7,6 €/m2. [ Quelle: Immopreisspiegel 2014l]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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