Die grüne Europaabgeordnete Ulrike Lunacek spricht sich gegen eine EU-weite Fluggastdatenspeicherung aus. Wichtiger seien ein verbesserter Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sowie soziale Maßnahmen.
Haben Sie den Eindruck, dass die Politik angesichts der terroristischen Anschläge der vergangenen Zeit etwas verschlafen hat?
Das sehe ich nicht so. Manchmal kann man tatsächlich aus Terroranschlägen Klarheit gewinnen, was zu tun ist. Die Frage, warum sich junge Leute radikalisieren, hat mit einem Mangel an Integration zu tun. Da ist Österreich ein Paradebeispiel für Fehlentwicklungen in der Bildungspolitik. Und zum aktuellen Ruf nach Passagierdatenspeicherung sagen wir Grünen: Es ist derzeit schon möglich, anlassbezogene Maßnahmen zu ergreifen. Was fehlt, ist mehr Kooperation zwischen der Polizei innerhalb der Europäischen Union.
Wie könnte man die Polizeiarbeit besser vernetzen?
Ein Beispiel: Der Attentäter von Toulouse kam mit einem Bus nach Belgien und wurde zufällig entdeckt. Er war der französischen Polizei bekannt. Es müsste möglich sein, diese Daten der belgischen Polizei schnell weiterzuleiten.
Werden Sie für die Fluggastdatenspeicherung stimmen?
Nein. Verstärkte Überwachung vergrößert nur den Heuhaufen, in dem ein paar Nadeln gefunden werden sollen. Wichtig wäre es, bei Verdachtsmomenten stärker zu kontrollieren. Die Attentäter in Paris und Toulouse waren amtsbekannt. Dort, auch in ihrem Umfeld, muss man anlassbezogen kontrollieren. Eine anlasslose, massenweise Sammlung von Daten bringt nichts und macht uns alle zu Terrorverdächtigen. Zudem hat die Kommission errechnet, dass die Fluggastdatenspeicherung an die 500 Millionen Euro kosten würde. Damit könnten soziale Maßnahmen finanziert werden.
Welche anderen Maßnahmen erachten Sie im Kampf gegen den Terror für effektiv?
Man muss Radikalisierung verhindern, Präventionsarbeit leisten. Ein gutes Beispiel ist Aarhus in Dänemark. Rückkehrer (aus den IS-Kriegsgebieten, Anm.) werden dort seit 2014 nicht inhaftiert, sondern in ein Sozialprogramm aufgenommen. 2013 sind noch 30 junge Leute in den Jihad gezogen, vergangenes Jahr war es nur einer.
Wo muss Prävention primär greifen?
In den Schulen. Daher fordern wir eine zweijährige, verpflichtende Kindergartenzeit – nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund, sondern für alle. Zudem braucht es mehr Geld für Bildung, mehr Förderunterricht und eine gemeinsame Schule für alle. Auch Frans Timmermanns, Vizepräsident der EU-Kommission, sprach das an: Die radikalisierte Jugend ist hier aufgewachsen und richtet sich jetzt mit nihilistischen Ansätzen gegen die Gesellschaft. Junge Menschen sehen die hiesigen Errungenschaften nicht mehr als wichtig und möglich für sie selbst an. Diese Perspektivlosigkeit ist das Problem.
Wären soziale Maßnahmen bei radikalen Hasspredigern ausreichend?
Das muss man von Fall zu Fall entscheiden. Hetze darf in Europa nicht sein. Sie hat nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun. In Österreich gibt es auch gerade eine Debatte, wie man den Hetze-Paragraph verschärft, ohne Bürgerrechte einzuschränken. (dr/loan/maka)