Altenpflege: "Österreich droht Super-GAU"

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Ohne die 51.000 Pflegerinnen und Pfleger aus Osteuropa wäre die Altenpflege nicht bewältigbar. Den Familien, die diese beschäftigen, drohen nun drastische Nachzahlungen.

Am 19. Februar gibt es am Bundesfinanzgericht eine Verhandlung, die gravierende Auswirkungen auf die österreichische Gesundheitsbranche hat. „Es droht ein Super-GAU in der Pflege“, sagt Christian Ebner, Unternehmensberater und Obmann von FreeMarkets.at, einer parteiunabhängigen Interessenvertretung für Unternehmer und Manager. Denn eine negative Entscheidung des Gerichts könnte dazu führen, dass in Österreich rund 51.000 freiberufliche Personenbetreuer, die vor allem in der 24-Stunden-Pflege für alte Menschen tätig sind, von den jeweiligen Familien angestellt werden müssten. Das können sich aber die Familien kaum leisten.

Dadurch könnte das heimische Pflegesystem zusammenbrechen, sagt Ebner im „Presse“-Gespräch. Ohne die 51.000 selbstständigen Pfleger und Pflegerinnen (die meisten kommen aus Osteuropa – vor allem aus der Slowakei) wäre die Altenpflege in Österreich kaum zu bewältigen.

Bei dem Musterverfahren am 19. Februar geht es um die Wiener Gesellschaft VisiCare. Diese vermittelt selbstständige Diplompflegekräfte für Krankenhäuser und Pflegeheime. Zu den Kunden gehören zahlreiche Spitäler in Wien, Niederösterreich und in der Steiermark. Zu Spitzenzeiten (wie bei einer Grippewelle oder in der Urlaubszeit) rufen die Spitäler an, und VisiCare schickt entsprechendes Personal. Visicare bekommt dafür als Vermittler eine Provision.

In ganz Österreich gibt es rund 7000 bis 8000 selbstständige Diplomkrankenpfleger. VisiCare ist Marktführer und hat rund 4500 Personen in der Datenbank. Die Pflegekräfte müssen selbst die Steuern und Abgaben abführen. Für die Krankenhäuser sind die selbstständigen Leute kostengünstiger. Sie zahlen für vermitteltes Personal 24 bis 27 Euro pro Stunde, während angestelltes Personal 32 bis 34Euro pro Stunde kostet.

Im Gegensatz zur Wiener Gebietskrankenkasse vertritt das Finanzamt aber die Meinung, dass die vermittelten Pflegekräfte ein Angestelltenverhältnis zu VisiCare haben. Begründet wird das damit, dass die Pflegekräfte die Betriebsmittel des jeweiligen Krankenhauses oder Pflegeheims nutzen. „Doch die vermittelten Krankenschwestern wollen nicht angestellt, sondern zeitlich flexibel sein“, heißt es bei VisiCare. Man habe zum Beispiel Personen in der Datenbank, die nur im Winter oder zu ganz bestimmten Zeiten arbeiten wollen oder können. Auch in einigen anderen EU-Ländern sei die freiberufliche Gesundheits- und Krankenpflege legal.


Millionenzahlung. Nach der Verhandlung am 19. Februar dürfte das Bundesfinanzgericht in zwei bis drei Monaten eine Entscheidung treffen. Schließt das Gericht sich der Meinung des Finanzamts an, wären die Auswirkungen für VisiCare katastrophal. Die Firma müsste Abgaben in der Höhe von 5,5 Millionen Euro nachzahlen und wäre pleite. Die Millionenforderungen würden dann gemäß Arbeitskräfteüberlassungsgesetz auf die Spitäler zurückfallen. „Das eine oder andere Krankenhaus, vor allem ein kleineres Spital, würde in finanzielle Schwierigkeiten geraten“, so Ebner. Damit wäre die Vermittlung von selbstständigen Krankenschwestern unmöglich, was Mehrkosten für die Spitäler bedeutet.

Hinzu kommen noch die Folgewirkungen auf die Gesundheitsbranche. Denn es gibt unzählige Firmen, die Pflegekräfte vorwiegend aus dem Ausland für die 24-Stunden-Pflege von alten Menschen vermitteln. Die Pflegekräfte verfügen zwar über einen Gewerbeschein, sie sind aber nicht angestellt. Die Finanzämter und Gebietskrankenkassen könnten österreichweit feststellen, dass hier ebenfalls ein Angestelltenverhältnis vorliegt. Die Auftraggeber (Firmen und Familien) wären dann rückwirkend mit drastischen Nachzahlungen konfrontiert. Denn die Sozialversicherung der Angestellten ist deutlich teurer als jene der Gewerbetreibenden. „Den Familien, die selbstständige Personenbetreuer beschäftigen, um Angehörige zu pflegen, droht nicht nur eine Kostenexplosion für die zukünftige Beschäftigung von Pflegekräften“, so Ebner. Sie könnten auch bis zu fünf Jahre rückwirkend zu ruinösen Nachzahlungen verdonnert werden.

Österreich riskiere einen Pflege-Super-GAU, „weil es kein Recht auf Selbstständigkeit gibt und Gebietskrankenkassen und Finanzämter zwecks Auffüllen der leeren Kassen ermächtigt seien, rückwirkend, gegen den Willen der Betroffenen, zu entscheiden, ob jemand selbstständig ist oder nicht.“ Laut FreeMarkets.AT sollen nicht die Finanz und die Krankenkassen, sondern die Betroffenen selbst entscheiden, ob sie selbstständig oder angestellt sein wollen.

Altenpflege

51.000 Pflegerinnen und Pfleger aus Osteuropa arbeiten hierzulande in der Pflege von alten Menschen. Bei der 24-Stunden-Betreuung wohnen die Pfleger bei den zu pflegenden Personen und wechseln sich im Wochenrhythmus ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2015)

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