Bis zu 30 Prozent teurer: Wiens neue Campusschulen

Wiens Architektenkammer- Präsident, Peter Bauer, vor einem Feld in der Attemsgasse im 22. Bezirk. Hier entsteht ein Schulcampus im PPP-Verfahren.
Wiens Architektenkammer- Präsident, Peter Bauer, vor einem Feld in der Attemsgasse im 22. Bezirk. Hier entsteht ein Schulcampus im PPP-Verfahren.(c) Stanislav Jenis
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Wien baut in den nächsten Jahren zehn neue Campusschulen. Weil die Stadt keine neuen Schulden machen darf, weicht sie auf PPP-Verfahren aus. Doch das mache die Bauten um bis zu 30 Prozent teurer als nötig.

Es ist Wiens größte Schulbauoffensive. In den nächsten zehn Jahren entstehen in der Bundeshauptstadt zehn neue Campusschulen. Kindergarten, Volksschule, manchmal auch die Neue Mittelschule werden dort an einem Standort zusammenrücken. Von früh bis spät werden Kinder gemeinsam lernen, essen, ihre Freizeit verbringen.

„Die Stadt setzt mit dem Wiener Campusmodell neue Standards im Bildungsbereich, die einzigartig in Österreich sind“, bewarb Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch das Modell vor Jahren. Die neue Form des Lernens lässt sich die Stadt Wien viel kosten. Knapp 700 Mio. Euro sind für die neuen Campus veranschlagt, die in den schnell wachsenden Bezirken gebaut werden sollen. Unter ihnen der Campus Nordbahnhof in Wien Leopoldstadt, der Campus Eurogate in Wien Landstraße und die beiden Campus Berresgasse und Attemsgasse (siehe Modell rechts) in der Donaustadt.

Doch mittlerweile formiert sich Widerstand gegen den Campusbau in Wien. Und die Kritik kommt nicht von Umweltschützern oder Bürgerinitiativen, die um die freien Flächen neben ihren Wohnungen fürchten, sondern von jenen, die eigentlich von neuen Bauprojekten profitieren sollten: den Architekten. Bemängelt werden auch nicht die Projekte selbst, sondern die Form der Finanzierung. „20 bis 30 Prozent teurer“ als nötig seien die Campusbauten, sagt Peter Bauer, Präsident der Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, zur „Presse“. Umgerechnet auf die geplanten Projekte macht das 140 bis 210 Millionen Euro aus. Geld, das der Steuerzahler zahlen wird.

Um die Kritik der Architekteninnung zu verstehen, muss man sich die Finanzierungsverfahren ansehen. Die Schulen werden mithilfe einer Public-private-Partnership (PPP) gebaut. Das treibe die Kosten in die Höhe, erklärt Bauer.

Bei einem PPP-Verfahren gibt der Auftraggeber (in diesem Fall die Stadt Wien) den Auftrag, ein Projekt zu bauen, finanziert den Bau aber nicht selbst. Das übernehmen die privaten Partner – bei dem bereits gebauten Campus Gertrude-Fröhlich-Sandner beim Nordbahnhof im zweiten Bezirk war es etwa ein Konsortium aus Porr Solutions Immobilien- und Infrastrukturprojekte GmbH und Bank Austria Real Invest GmbH, die die Schule nach den Vorgaben des Auftraggebers errichten, finanzieren, betreiben und instand halten.

Formal gehört die Schule dem PPP-Partner, der Auftraggeber mietet sich dort nur ein und zahlt monatlich eine Pauschalmiete. Erst nach zirka 20 bis 30 Jahren Vertragslaufzeit geht die Schule ins Eigentum des Auftraggebers über. Entwickelt wurden PPP-Projekte mit dem Gedanken, dass der Bau von öffentlichen Einrichtungen dadurch effizienter sein könnte. Vor allem hat es aber budgetäre Gründe: Errichtet und finanziert der PPP-Partner das Objekt, muss sich der öffentliche Auftraggeber dafür nicht verschulden. Nach den Maastricht-Kriterien macht es sich besser, jahrzehntelang Miete zu zahlen, als für ein Bauprojekt viel Geld auf einmal in die Hand zu nehmen.

Das Modell ist teuer. Doch in der Praxis hat sich im Hinblick auf PPP-Verfahren schon längst Ernüchterung breitgemacht. Nicht nur in Österreich, sondern vor allem im Ausland. „Ein Privatinvestor muss die ganze Schule, inklusive des Betriebes, für die nächsten 20 bis 30 Jahre planen. Da brauchen sie erstens ein Vis-à-Vis, das alles vorausdenken kann, und zweitens müssen Privatinvestoren natürlich den Risikozuschlag für diese gewaltige Unsicherheit kalkulieren“, sagt Bauer.

Ein Kostentreiber sei auch die Tatsache, dass private Baufirmen bei der Bank schlechtere Konditionen bekommen als ein öffentlicher Auftraggeber wie die Stadt Wien. Und damit nicht genug: Während Schulen normalerweise in einem mehrstufigen Planungsverfahren entwickelt werden, werde bei PPP-Projekten von dem von der Stadt beauftragten Architekten nur grob geplant. Die Pläne, erklärt ein Architekt, der nicht genannt werden will, seien so genau, „wie eine Einreichplanung im Maßstab 1:100 eben ist“. Was dann daraus werde, liege völlig im Ermessen des PPP-Partners.

„Das heißt, der Architekt plant zum Beispiel einen hochwertigen lichten Klassenraum und sein Vis-à-Vis macht daraus die Mindestfensterfläche, weil es die Bauordnung zulässt und weil er die Schule ja pauschal anbietet“, erklärt Architektenkammer-Chef Bauer. Ein detaillierteres Verfahren sei rechtlich gar nicht möglich. „Damit der Auftragnehmer Maastricht-konform anbieten kann, muss er einen gewissen Gestaltungsspielraum haben. Das heißt, ich bin als Auftraggeber in der absurden Lage, dass ich etwas kaufe, was ich gar nicht genau beschreiben darf.“ Was für Fliesen verwendet werden, welche Art von Fenstern, billige oder qualitativ bessere – all das dürfe der Auftraggeber dem Anbieter nicht vorschreiben. Denn wenn die Vorgaben zu strikt sind und der Anbieter keinen eigenen Gestaltungsspielraum hat, entspricht das Projekt nicht mehr den Maastricht-Kriterien. Die Errichtungskosten werden dann bilanztechnisch dem Auftraggeber zugerechnet und vergrößern dessen Schuldenlast.

Kaum Kontrolle. Auch Kontrollmechanismen gebe es nicht, sagt Bauer. Etwa einen Architekten, der von der Stadt bezahlt wird und die ausführenden Arbeiten überwacht. Es könnte also passieren, meint er, dass eine Schule so gebaut wird, „dass sie, wenn sie laut Vertrag nach 20 Jahren in die öffentliche Hand übergehen soll, 22 Jahre hält“.

Spricht man mit der Stadt, versucht diese gar nicht, das Problem zu leugnen. „Ich teile die Kritik, dass es langfristig das teurere Modell ist. Aber derzeit gibt es kein anderes. Jeder, der ein besseres Modell hat, der soll es vorschlagen“, sagt Stadtrat Oxonitsch. Er fordere schon länger, dass Infrastrukturprojekte wie Schulen oder Krankenhäuser von den Maastricht-Kriterien ausgenommen werden.

An der Qualität der Bauten zweifelt Oxonitsch nicht. „Deswegen bin ich ja Mieter. Der Vermieter ist zuständig, das Haus in Ordnung zu halten. Ich gebe mit PPP-Verfahren das Risiko ab. Je mehr Risiko ich abgebe, desto teurer wird es“, sagt er. Schließlich bestünden durch die lange Vertragsdauer Anreize, hochwertige Materialien einzusetzen, weil dadurch weniger Reparaturen anfallen. Auch werde seitens der Stadt ganz genau und sehr detailliert festgelegt, wie die Schule auszusehen hat, erklärt Oxonitsch. Dem PPP-Partner werden Raumblätter und Raumbücher mit bestimmten Ausstattungsqualitäten wie zum Beispiel „Boden aus Holz, xy mm dick“ gegeben. Diese Qualität müsse der PPP-Partner auch einhalten. Welchen Hersteller er nehme, sei aber ihm überlassen. Mit dem bereits fertigen Campus Gertrude-Fröhlich-Sandner hätte man jedenfalls gute Erfahrungen gemacht.

Für die Kammer ist das nicht genug. Es geht um Feinheiten. „Wo ordne ich Steckdosen an? Welche Qualität muss ein Produkt haben, damit es nicht gleich kaputtgeht?“, fragt Bauer. „Wie wird eine Installation angebracht? Unsichtbar oder so, dass jeder über die Kabel fällt?“ Dass diese Angst nicht unbegründet ist, zeigen Fälle in Deutschland und London (siehe Artikel unten), wo Autobahnen und Krankenhäuser schlecht gebaut wurden und die Kosten für Schulen um mehrere Millionen Euro explodiert sind.

Geheime Verträge. Auch lassen sich solche Projekte schwer kontrollieren. Da Verträge mit Privaten geschlossen werden, unterliegen Teile davon meist der Geheimhaltung. In Deutschland gibt es Fälle, bei denen selbst Abgeordnete nur in Datenräumen Teile der Verträge sehen durften, Kopien waren verboten, ebenso das Reden – auch mit anderen Abgeordneten – über das Gesehene. All das, obwohl der Steuerzahler zahlt.

Aus dem Büro von Oxonitsch heißt es, dass die Verträge Kontrollorganen wie dem Rechnungshof prinzipiell zur Einsicht offenstünden. Gleichzeitig gebe es aber auch „zivilrechtliche Schutz- und Sorgfaltspflichten der Stadt gegenüber dem privaten Vertragspartner“, auf die geachtet werden müsse. Doch selbst wenn jemand die Verträge ganz einsehen dürfte, hätte er wohl Probleme, sie durchzuarbeiten. Viele PPP-Verträge, erzählt die Kammer, hätten mehr als 20.000 Seiten.

Eine sinnvolle Lösung für das Problem? Die gibt es im Moment nicht. Die Kammer schlägt daher einen Kriterienkatalog vor, in dem zumindest festgehalten wird, welche Leistungen für wie viel Geld erbracht werden müssen und wie sie ersetzt werden können.

Doch ob diese Idee überhaupt umsetzbar ist, darüber scheiden sich die Geister auch unter Architekten. „Das ist total unüberschaubar“, meint ein Skeptiker. „Die Fliesen an der Wand können beschichtet sein, Mosaikfliesen sein oder Standardfliesen. Wenn ich jede Position in einer Qualitätsmatrix aufziehe und finanziell bewerte, dann habe ich ein unüberschaubares Gewirr.“ Es sei eben auch Teil des Bauprozesses, dass Dinge erst später entschieden werden.

So wie sich auch das Schulsystem laufend weiterentwickelt. Große Änderungen beim Bau der Schule sind bei PPP-Modellen eher schwierig, weil der Betrieb für 20 bis 30 Jahren festgelegt wird. Auch Oxonitsch sagt: „Mir wäre es sogar lieber, wenn ich flexibler sein könnte. Denn wenn ich später feststelle, dass ich einen Raum doppelt so groß brauche, dann geht das nicht mehr.“ Dabei steht auf der Homepage der Stadt Wien, dass es sich beim Campusmodell nicht um ein starres Programm handle: „Vielmehr wurde und wird der dynamischen Weiterentwicklung eine hohe Bedeutung beigemessen.“ Diese Erkenntnisse sollen dann in neue Bauten einfließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2015)

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