EU-Außenbeauftragte Mogherini und London drohen mit weiteren Sanktionen gegen Russland, auch Berlin spricht von "Bruch der Waffenruhe".
Die ukrainische Armee hat eine weitere strategisch wichtige Stadt an die prorussischen Rebellen verloren. Präsident Petro Poroschenko bestätigte am Mittwoch, dass sich die ukrainischen Soldaten aus dem ostukrainischen Debaltsewo "organisiert" zurückgezogen haben. Zuvor hatte die russische Nachrichtenagentur den Rückzug gemeldet.
Poroschenko reiste noch am Dienstag zu einem Truppenbesuch in die Ostukraine. Ein Foto auf seinem Twitter-Account zeigt ihn in Militärkleidung inmitten ukrainischer Soldaten. Für den Abend hat er eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrates in Kiew angesetzt.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini droht mit weiteren EU-Sanktionen, falls die Kämpfe und weitere Verstöße gegen das Abkommen von Minsk anhalten. Das Vorgehen der prorussischen Separatisten in Debaltsewo sei ein klarer Verstoß der Waffenstillstands-Vereinbarungen.
Der britische Außenminister Philip Hammond kündigte ebenfalls an, die EU werde ihre Sanktionen gegen Russland ausweiten, wenn die Waffenruhe nicht halte. Auch Berlin sprach von einem klaren Bruch des Minsker Abkommens.
Nato-Chef drängt Russland zum Abzug
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, die Weigerung der Separatisten, die Waffenruhe einzuhalten, gefährde das Minsker Abkommen. "Ich dränge Russland, all seine Truppen aus dem Osten der Ukraine abzuziehen, seine Unterstützung für die Separatisten einzustellen und die Minsker Vereinbarung einzuhalten", sagte er am Mittwoch in der lettischen Hauptstadt Riga.
Die französische Präsidentschaft wollte das Minsker Abkommen noch nicht für tot erklärten. Frankreich werde "alles tun, um dieses Abkommen mit Leben zu erfüllen", sagte Regierungssprecher Stephane Le Foll in Paris. Am Abend ist eine Telefonkonferenz mit Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine geplant, um über die Krise zu beraten.
Der Verkehrsknotenpunkt Debaltsewo zwischen den selbst erklärten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk (Lugansk) ist seit Tagen heftig umkämpft. Am Dienstag hatten die prorussischen Rebellen gemeldet, sie hätten die Stadt zum größten Teil eingenommen.
Zynischer Angriff auf Minsker Abkommen
Die Offensive der prorussischen Rebellen auf die strategisch wichtige Stadt Debaltsewo sei "ein zynischer Angriff auf das Abkommen von Minsk", erklärte indes der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nach einem Telefonat mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Die Welt muss den Aggressor stoppen", sagte Poroschenko und verlangte von seinen westlichen Verbündeten eine "entschiedene Reaktion auf das heimtückische Vorgehen der Rebellen und Russlands".
Der russische Präsident Wladimir Putin hat hingegen die Ukraine zur Kapitulation in der im Osten des Landes umkämpften Stadt Debaltsewo aufgerufen. "Die ukrainischen Offiziellen sollten ihre Soldaten nicht daran hindern, die Waffen niederzulegen", sagte Putin am Dienstag bei einem Ungarn-Besuch. Dann würde die vergangene Woche vereinbarte Waffenruhe auch Bestand haben. Putin betonte zugleich, zur Beilegung des Konflikts könne es "keine militärische Lösung" geben. Dem Westen warf der russische Präsident vor, der Ukraine bereits Waffen zu liefern. Der UN-Sicherheitsrat forderte einstimmig die sofortige Einhaltung der Waffenruhe.
Theoretisch gilt zwar seit Sonntag 0 Uhr in der Ostukraine eine Waffenruhe, eingehalten wird sie jedoch nicht. Stattdessen sind die Kämpfe um Debaltsewo
am Dienstag eskaliert.
Minsk II vor dem Scheitern
Wegen der neuen Kämpfe wankt "Minsk II": In der weißrussischen Hauptstadt waren vergangene Woche Vereinbarungen zur Beilegung des Ukraine-Konflikts getroffen worden. So sollten eben ab Sonntag die Waffen schweigen und ab Dienstag schwere Waffen aus der Kampfzone abgezogen werden. Beide Seiten lehnten ab.
"Es gibt vonseiten der Aufständischen aber keine wirkliche Waffenruhe, deshalb sind die Voraussetzungen nicht gegeben", hatte Militärsprecher Andrej Lyssenko schon am Dienstagvormittag in Kiew gesagt. Die Armee sei zwar weiter bereit zur Bildung einer Pufferzone. "Unsere Stellungen werden aber wiederholt unter Feuer genommen", beklagte er.
USA drohen mit "höheren Kosten"
US-Vizepräsident Joe Biden drohte Russland "höhere Kosten" an, sollte Moskau weiter gegen die Minsker Vereinbarungen verstoßen. Die Separatisten handelten bei Debaltsewo im Einvernehmen mit Russland, hieß es in einer Mitteilung aus Bidens Büro. Er hatte zuvor mit Poroschenko telefoniert. Der UN-Sicherheitsrat rief alle Seiten des Konflikts auf, die Ergebnisse des Minsker Gipfels zu respektieren und umzusetzen, hieß es in einer von den 15 Mitgliedern am Dienstag in New York einstimmig verabschiedeten Resolution. Russland hatte den Entwurf eingebracht.
Westliche Diplomaten werteten die Verabschiedung als Erfolg, weil sich der Sicherheitsrat darin erstmals ausdrücklich zu den Minsker Ergebnissen bekennt. Doch es gab auch Misstöne. Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, etwa schrieb bei Twitter, Russland bringe eine Resolution zur Beendigung des Konflikts ein, gleichzeitig belagerten die von Russland bewaffneten Separatisten weiterhin Debalzewo.

Kritik aus USA an Merkel
Zwei US-Senatoren warfen Kanzlerin Merkel inzwischen "unentschuldbare" Nachgiebigkeit gegenüber Russland vor. "Deutschlands Kanzlerin und Frankreichs Präsident legitimieren mit Unterstützung des US-Präsidenten erstmals in sieben Jahrzehnten die Aufteilung einer souveränen Nation in Europa", schrieben die Republikaner John McCain und Lindsey Graham in einer am Dienstag in Washington verbreiteten Mitteilung.
Es sei "unentschuldbar, an einem gescheiterten Waffenstillstandsabkommen festzuhalten", während Russland und seine "Erfüllungsgehilfen" die Kämpfe in der Ostukraine verschärften. Die Senatoren forderten erneut Waffenlieferungen an die Ukraine und zusätzliche Sanktionen gegen Russland.
Die Vereinbarung
Der in der vergangenen Woche in Minsk vereinbarte Friedensplan sieht vor, dass der Abzug schwerer Waffen am 2. Tag nach der Feuerpause beginnt. Für den Abzug aus einer - je nach Reichweite der Waffenart - 50 bis 140 Kilometer breiten Sicherheitszone haben die Konfliktparteien zwei Wochen Zeit. Die Regierungseinheiten müssen sich hinter die aktuelle Frontlinie zurückziehen, die Separatisten hinter eine im September vereinbarte Waffenstillstandslinie.
(APA/Reuters/dpa)