Hinkley Point: Wie man Freunde verärgert

Bundeskanzler Werner Faymann schießt quer gegen ein britisches AKW. Klar, Österreich kann sich das Spielchen „atomfreies Dorf“ leisten, denn rundherum wird ausreichend Elektrizität aus Kernkraftwerken produziert.

Nun also Hinkley Point. Offenbar muss sich Österreich überall lächerlich machen. Reicht es nicht, dass wir uns zu Hause unser Wolkenkuckucksheim auspolstern mit verlogenen Herkunftsnachweisen über unseren Strom, den wir aus tschechischen Braunkohle- und Kernkraftwerken beziehen, für den wir aber Wasserstom-Herkunftsnachweise aus Norwegen kaufen, worüber sich die Norweger ins Fäustchen lachen? Wir dumm gehaltene Stromkunden bezahlen auch noch für diese Ablasszettel, dafür, dass wir uns gern hinters Licht führen lassen!

Denn wir haben nicht genug Strom aus unserer Donau und ihren Zuflüssen, über deren manchmal reiche (aber wie jetzt im Winter leider magere) Wasserführung wir uns freuen dürfen.

Weniger freuen dürfen wir uns schon über die Speicherseen mit ihren hoffentlich unproblematischen Staumauern und den hässlich schwankenden Wasserpegeln, die manche unserer schönsten Almen zu unschönen Stauseen verwandelt haben. Die Tiroler Wasserkraft AG würde gern auch noch die letzten Hochtäler des Bundeslandes zubetonieren.

Vizemeister im Verdrecken

Doch, doch: Wir beziehen netto, den Stromexport also schon abgerechnet, fast 20Prozent unseres Stroms aus tschechischen und anderen Braunkohle- und Kernkraftwerken. Daher steigt auch unser Treibhausgaspegel (vulgo CO2), obwohl wir uns mit den Auspuffgasen unserer Kraftfahrzeuge sehr darum bemühen, nicht ganz so schnell, wie er – so haben wir es am Weltklimagipfel in Kyoto 1997 versprochen – eigentlich fallen sollte.

Wenn wir den Dreck, den die Tschechen stellvertretend für uns ausstoßen, damit wir unsere Geschirrspüler und Waschmaschinen, unsere Stahlwerke und Hotels, unsere Beschneiungsanlagen und Sessellifte betreiben können, dazuzählen müssten, dann sähe es noch schlimmer aus. Aber unser Lebensminister nennt die Vorgabe der EU für 2030 (Absenkung der Treibhausgase um 40Prozent) „mutlos“. Ja weiß erdenn nicht, dass wir auf Teilgebieten Vizeeuropameister im Verdrecken sind und überhaupt nicht die geringste Chance haben, das EU-Ziel für 2030 – nämlich 40Prozent weniger Treibhausgase als 1990 – zu erreichen?

Wir leben in einer Scheinwelt, einem elektrisch beheizten Glashaus, und unser Herr Bundeskanzler schmeißt Steine gegen das britische AKW Hinkley Point in 1200 Kilometer Entfernung. Wir können ja unser Spielchen „atomfreies Dorf“ spielen, denn rundherum wird genug Elektrizität aus Kernkraftwerken produziert.

Selbst die Deutschen können vermutlich reuefrei ihre Wende zelebrieren, denn die wirtschaftsschwachen Franzosen, die Tschechen, die Belgier, die Schweden und die Briten, demnächst auch die Polen, werden ihnen gern Strom aus ihren Kernkraftwerken verkaufen, um die Zahlungsbilanzen etwas auszugleichen.

Nur stehen die Kernkraftwerke an Deutschlands und Österreichs Grenzen, und wir können ihre Sicherheit nicht so kontrollieren, als ob sie auf eigenem Staatsgebiet stünden. Weder dürfen wir uns noch die Deutschen sich einbilden, mit unserem erstaunlichen „Sonderweg atomfrei“ die Welt verändern zu können. Eher schon das Klima mit den zusätzlichen Treibhausgasen, die wir ausstoßen oder – etwa in Tschechien – ausstoßen lassen.

Wie ist das mit Subventionen?

Unser Bundeskanzler hat ja auch gar nicht angedroht, gegen das britische AKW als solches Einspruch zu erheben, sondern gegen dessen Subventionierung mit circa zwölf Cent pro kWh als Wettbewerbsverzerrung. Weiß der Kanzler, dass unsere Solarenergie bisher mit bis zu 60 Cent und jetzt (seit Ende 2014) immer noch mit durchschnittlich 26 Cent pro kWh von uns Stromkunden über die diversen Ökozulagen subventioniert wird, die auf unseren Stromrechnungen zwar etwas verteilt, aber bei einiger Anstrengung durchaus durchschaubar als beträchtliche „Ökostromförderbeiträge“ aufscheinen?

Warten auf die Retourkutsche

Wer kontrolliert im Kanzleramt die Stromrechnung und wer bei der Familie Faymann zu Hause? Aber gegen Hinkley Point, 1200 Kilometer weit entfernt, munter draufloswettern! Was für ein Präzedenzfall, sagt das Kanzleramt!

Weiß Werner Faymann, dass in Deutschland die Braunkohlekraftwerke, die als Ersatz für die heruntergefahrenen Kernkraftwerke zugeschaltet wurden, mit weit mehr als zehn Milliarden Euro pro Jahr subventioniert werden, weit stärker als die keine Treibhausgase ausstoßenden Kernkraftwerke? Diese Braunkohlekraftwerke sind die größten denkbaren Dreckschleudern, die dazu beitragen, dass der deutsche Treibhausgasausstoß 2013 und 2014 prozentuell noch stärker gestiegen ist als der österreichische.

Die Retourkutsche – die Aufdeckung der Verlogenheit unserer lückenlosen (!) schwedischen und norwegischen „Herkunftsnachweise“ und die Klagsdrohung – war bei den pünktlichen Briten zu erwarten, und sie kam auch pünktlich.

Ja, wird man bei den Faymanns sagen, wir haben ja nicht nur den unerhört gut subventionierten Solarstrom, sondern auch noch die Windräder, und die subventionieren wir nur mit 8,6 Cent pro kWh. Die sind ja schon apart, nur stoßen sie inzwischen an ihre Grenzen – sowohl was das Windaufkommen als auch was die Bürgerakzeptanz betrifft. Und dann auch noch das leidige Problem, dass der Wind bläst, wann er will. Dass die Meteorologen das nicht endlich in den Griff bekommen! Sozusagen den „Sollwind“, der bläst, wenn wir gerade den Strom brauchen. Oder wenigstens die Physiker und Chemiker die Akkumulatoren endlich entwickeln, um den Windstrom zu speichern, wie einst Josef im alten Ägypten das Korn in den fetten Jahren. Ja, leider sind die Physiker noch nicht so weit, und sie werden es auch nicht so schnell sein – wenn überhaupt jemals.

Strom aus Holz: Ein Irrweg

Aber was ist in unserem waldreichen, schönen Land mit Strom aus Hackschnitzeln? Leider ist das auch nicht das Gelbe vom Ei, wie uns Umweltbundesamt und Holz verarbeitende Industrie in den vergangenen beiden Jahren nicht aufgehört haben zu predigen. Strom aus Holz ist wohl Vergangenheit, er war ein Irrweg, noch dazu ein umweltschädigender. Dafür aber war er hoch subventioniert (mit mehr als 13 Cent pro kWh). Er ist also Vergangenheit, so wie Arnie, der vor wenigen Jahren noch Güssing bewundert hat.

Wir haben in Brüssel jüngst dafür gestimmt, dass der europäische Stromverbund ausgebaut wird. Eingebettet in eine freundliche europäische Nachbarschaft, die uns auch in Zukunft mit Atomstrom aushelfen wird, kann Österreich sich den Sonderweg als Kleinstaat wohl leisten. Nur sollten wir lieber nicht zu „goschert“ werden und Freunde verärgern. Wir werden sie noch bitter nötig haben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Gero Vogl ist seit 2009 emeritierter ordentlicher Professor für Physik an der Universität Wien; er ist Materialforscher. Er war vor 1985 und von 1999 bis 2002 Professor an der Freien Universität Berlin und Direktor am heutigen Berliner Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2015)

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