"American Sniper": Ein historischer Faktencheck

"American Sniper": Bradley Cooper mimt Chris Kyle.
"American Sniper": Bradley Cooper mimt Chris Kyle.(c) Warner Bros.
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Wie historisch akkurat ist der Hollywood-Film über Chris Kyle, den "tödlichsten Scharfschützen der US-Militärgeschichte"?

Chris Kyle gilt mit bestätigten 160 Tötungen als der tödlichste Scharfschütze der US-Militärgeschichte. Hollywood-Legende Clint Eastwood hat nun sein Leben unter dem Titel "American Sniper" verfilmt. Der Film läuft ab Donnerstag in den Kinos. "Presse"-Filmkritiker Markus Keuschnigg hat den Streifen bereits besprochen ("Ein Cowboy gegen die "Wilden" im Irak"). Hier soll der Film nun auf seinen historischen Wahrheitsgehalt geprüft werden:

  • Tötete Kyle je ein Kind?

Nein. Zu Beginn des Films liegt Chris Kyle im Irak auf dem Dach eines Hauses. Aus diesem kommt eine Frau mit einem kleinen Buben, dem sie eine große Granate aushändigt, um damit US-Soldaten zu töten. Soll Kyle schießen? Für den Film wurde das moralische Dilemma allerdings überhöht. Denn die Sache ist klar: Die superböse Frau will das Kind wissentlich in den Tod schicken, Kyle bleibt eigentlich keine Wahl, als abzudrücken. In seiner Autobiografie "American Sniper" schildert Kyle diese Szene, jedoch ist von keinem Kind die Rede. "Es war meine Pflicht, zu schießen. Und ich bereue es nicht. Die Frau war bereits tot. Ich stellte nur sicher, dass sie keine Marines in den Tod mitnahm", beschreibt Kyle seinen ersten tödlichen Schuss mit einem Scharfschützengewehr im Irak. "Meine Schüsse retteten Amerikaner, deren Leben klarerweise mehr Wert sind als die Seele dieser verwirrten Frau."

  • Besonnener Soldat oder Tötungsmaschine?

Clint Eastwood porträtiert Chris Kyle einfühlsam als besonnenen Soldaten, der nur seinen Job tut. Er will dem Menschen hinter der Legende gerecht werden. Die Botschaft ist klar: Kyle tötete, um amerikanische Menschenleben zu retten. "Es sind nicht die Menschen, die du gerettet hast, an die du dich erinnerst. Es sind die, die du nicht retten konntest", schreibt Kyle dazu auch in seiner Autobiografie. Eastwood erzählt, was Krieg mit Soldaten und deren Familien macht. Auch Kyle tut das, indem er seine Frau in seiner Autobiografie zu Wort kommen lässt.

Kyle offenbart sich in seinem Buch aber auch als jemand, dem Töten Spaß macht. "Das wird gut", freut er sich etwa vor Kampfhandlungen: "Wir werden viele 'bad guys' töten - und ich werde mittendrin sein." Im Film bezeichnet Kyle die Iraker einmal als "Wilde", in seinem Buch sind sie aber durchgehend Wilde oder eben bad guys. Er sieht sich im Kampf gegen das "wilde, verachtenswerte Böse". Die Zahl der von ihm getöteten Feinde sei nicht wichtig, schreibt Kyle prahlerisch. "Ich wünschte nur, ich hätte mehr getötet". Es habe ihn auch nicht gestört, so viele Menschen getötet zu haben. "Du tust es, damit der Feind nicht dich und deine Landsleute tötet. Du tust es, bis da niemand mehr ist, den du töten kannst." Und Kyle gibt zu: "Ich habe geliebt, was ich getan habe - und tu es immer noch." Wenn ihn seine Familie nicht brauchen würde, er wäre in einem Herzschlag wieder zurück auf den Schlachtfeldern im Irak, schreibt Kyle.

  • Totenköpfe auf US-Uniformen?

Kyle sieht sich als Krieger, der für Gerechtigkeit kämpft. Nicht zufällig benennt sich Kyles SEAL Team 3 (nicht zu verwechseln mit SEAL Team 6, das nach der Tötung von Osama Bin Laden weltbekannt wurde) nach der Comicfigur "Punisher", einem selbsternannten Verbrecherjäger, der Selbstjustiz übt. "Wir alle dachten, was der Punisher macht, ist cool: Er richtet Übeltäter. Er tötet die Bösewichte. Er sorgt dafür, dass ihn die Übeltäter fürchten." Wer sich also im Film wundert, warum Kyle und seine Kameraden Totenkopf-Symbole auf Panzer, Helme, Uniform und Waffen gesprayt haben: Es ist das Symbol des Punishers.

Kyles Kamerad blättert in "Punisher"-Comic.
Kyles Kamerad blättert in "Punisher"-Comic.(c) Warner Bros.

Warum das Totenkopf-Logo? Kyle erklärt es in seinem Buch:

"We wanted people to know, we're here and want to fuck with you. It was our version of psyops. You see us? We're the people kicking your ass. Fear us. Because we will kill you, motherfucker."

Eastwood malt das in seinem Film nicht schön. Die US-Soldaten wirken nicht wie Befreier, die sich um das Leid der Zivilbevölkerung kümmern. Im Gegenteil, sie wirken wie eine angsteinflößende Besatzungsmacht. Auch bei öffentlichen Auftritten nach dem Krieg - wie seinem "Time-10-Questions"-Interview - trägt Kyle immer eine Kappe mit Totenkopf-Logo (seine von ihm nach seiner SEAL-Zeit gegründete Firma Craft hat ebenfalls einen Totenkopf im Logo).

  • Nach Terroranschlägen zu den SEALS?

Am 7. August 1998 werden auf dem afrikanischen Kontinent in Daressalam (Tansania) und Nairobi (Kenia) zwei Terroranschläge auf die Botschaften der USA verübt. Insgesamt sterben 224 Menschen, über Tausend werden verletzt. Im Film "American Sniper" meldet sich Chris Kyle, der gebannt die TV-Bilder gesehen hat, daraufhin freiwillig bei den Marines. Das ist schlicht falsch. Nach dem Ende seiner Rodeo-Karriere beschloss Kyle, das College abzubrechen und auch nicht länger auf einer Farm zu arbeiten. Die beiden Anschläge hatten damit nichts zu tun.

  • Gab es den grausamen "Butcher" wirklich?

Den grausamen al-Qaida-Folterer "The Butcher" gibt es nur im Film. Er basiert aber auf dem shiitischen Massenmörder Abu Deraa, der für den Mord an tausenden Sunniten verantwortlich gemacht wird.

  • Privattelefonate während des Feuergefechts?

Im Film telefoniert Chris Kyle mitten im Gefecht mit seiner Frau per Satellitentelefon, um ihr mitzuteilen, dass er genug vom Krieg hat. Das ist unrealistisch.

Filmausschnitt: Kyle telefoniert mit seiner Frau.
Filmausschnitt: Kyle telefoniert mit seiner Frau.(c) Warner Bros.

Tatsächlich wurde aber einmal ein Gebäude attackiert, in dem sich der mit seiner Frau telefonierende Kyle befand. Er ließ daraufhin das Telefon fallen, ohne den Anruf zu beenden. Taya Kyle musste am anderen Ende der Leitung die Feuergefechte und Flüche der Soldaten mithören. Erst dann brach die Verbindung ab. Erst nach zwei oder drei Tagen konnte Kyle mit seiner völlig aufgelösten Frau wieder telefonieren, die bis dahin nicht wusste, ob ihr Mann wohlauf war. In einer ähnlichen Filmszene offenbart Taya ihrem Mann das Geschlecht des Kindes, das sie in ihrem Bauch trägt, ehe es zu einem Feuergefecht kommt, im Zuge dessen ebenfalls die Verbindung abbricht. Dieses Filmdetail ist allerdings - wohl aus dramaturgischen Gründen - erfunden.

  • Wurde Chris Kyle wirklich in den USA erschossen?

Ja, es stimmt. Chris Kyle wurde 2013 auf einem Schießplatz von dem unter posttraumatischem Stress leidenden Kriegsveteranten Eddie Ray Routh erschossen. Der Prozess gegen den Täter ist in den USA kürzlich zu Ende gegangen, Routh wurde zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteit.

  • Gab es das Duell der Scharfschützen?

"American Sniper" ist auch ein Duell zweier Scharfschützen, denn Kyle sieht sich im Film mit einem irakischen Gegenspieler konfrontiert, der "Mustafa" genannt wird und ein ehemaliger syrischer Olympionike sein soll. Dieses Duell dient aber ausschließlich dramaturgischen Effekten und ist historisch nicht belegt. Denn Kyle selbst schreibt in seiner Autobiografie: "I never saw him, but other snipers later killed an Iraqi sniper we think was him."

Filmausschnitt: Der irakische Sniper "Mustafa".
Filmausschnitt: Der irakische Sniper "Mustafa".(c) Warner Bros.

Der bekannteste irakische Scharfschütze war aber "Juba". Er gehörte der "Islamischen Armee im Irak" an und rühmte sich selbst der Tötung von mehr als 500 Amerikanern, von denen zahlreiche auch auf Videos dokumentiert wurden. Diese Zahl scheint aber viel zu hochgegriffen und diente wohl reinen Propagandazwecken. "Juba" wurde allerdings von den Amerikanern und ihren Alliierten ebenso gefürchtet wie Kyle von den Irakern. US-Captain Brendan Hobbs hielt ihn für "ein Produkt des US-Militärs": Es habe mehrere einzelne Scharfschützen gegeben, aus denen der Mythos "Juba" entstanden sei.

  • Der tödlichste Scharfschütze der Geschichte?

Wohl im Zuge des Filmstarts hat sich nun auch ein britischer Scharfschütze zu Wort gemeldet, der behauptet, der tödlichste Scharfschütze der Welt zu sein. Er soll an einem einzigen Tag 90 Taliban erschossen haben, wie "focus.de" berichtete. Davon abgesehen gibt es aber zumindest zwei Scharfschützen, die mehr Menschen getötet haben als Chris Kyle:

Im Zweiten Weltkrieg soll der sowjetische Scharfschütze Wassili Saizew zwischen dem 10. November und dem 17. Dezember 1942 mehr als 200 Deutsche in der Schlacht von Stalingrad getötet haben. Wieviel davon reine Propaganda war, ist bis heute unklar. Jean-Jacques Annaud setzte Saizew, der von Jude Law verkörpert wurde, 2001 mit "Duell - Enemy at the Gates" ein filmisches Denkmal. Auch das im Film gezeigte Duell mit einem deutschen Scharfschützen dürfte übrigens ein Mythos sein.

Der finnische Scharfschütze Simo Häyhä wurde von den Soldaten der Roten Armee im Winterkrieg 1939/1940 als "Weißer Tod" gefürchtet. Häyhä soll innerhalb von 100 Tagen mehr als 500 sowjetische Soldaten getötet haben - mit offenem Visier, ohne Zielfernrohr. Er gilt jedenfalls als der Scharfschütze mit den meisten bestätigten Tötungen in einem Krieg. Im März 1940 wurde er von einem sowjetischen Scharfschützen ins Gesicht getroffen. Schwer verletzt überlebte er, blieb aber für sein Leben im Gesicht gezeichnet.

Kyle selbst bezeichnete den US-Soldaten Carlos Hathcock, der als "Weiße Feder" im Vietnamkrieg berühmt und berüchtigt wurde, als den größten Scharfschützen aller Zeiten. Er erreichte 93 bestätigte "Abschüsse". Hathcock trug eine weiße Feder auf seiner Kopfbedeckung ("Damit zeigte ich ihnen eine lange Nase (...). Scharfschützen machen sowas normalerweise nicht (...), aber ich war nicht normal") und bekam den Spitznamen von den Nordvietnamesen verpasst. Kyle sagte über Hathcock: "I have more kills, but that does not mean, I'm better than he is". "Ich bin bloß ein Affe mit einer Waffe", scherzte er bei Conan O'Brien. Denn er habe im Gegensatz zu Hathcock ballistische Computer verwendet.

>>> Chris Kyle bei Conan O'Brien

>>> "Time"-10-Questions with Chris Kyle

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