Asylbewerber aus Ex-Jugoslawien sollen für den Masernausbruch in Berlin verantwortlich sein. Obwohl dort Impfpflicht besteht, haben die Folgen der Kriege der 1990er-Jahre und Elternzweifel die Immunisierung aufgeweicht.
Belgrad. Erkrankte Asylbewerber aus Bosnien und Herzegowina sowie Serbien sollen den Ausbruch der Masernepidemie in Berlin ausgelöst haben. Doch die Impfpflicht, die nun in Deutschland diskutiert wird, ist in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens schon lang Realität. Ohne den Nachweis der gesetzlich vorgeschriebenen Impfungen gegen Kinderkrankheiten wie beispielsweise Keuchhusten, Röteln, Masern oder Mumps können Eltern ihre Zöglinge in der Regel weder in staatlichen Kindergärten noch Schulen anmelden. Erziehungsberechtigten, die gegen die Impfpflicht verstoßen, drohen in Kroatien und Bosnien und Herzegowina hohe Geldstrafen.
Wegen der Impfpflicht ist der Immunisierungsgrad in der Region relativ hoch. Einst gefürchtete Krankheiten wie Diphterie und Kinderlähmung gelten praktisch als ausgerottet. In Serbien liegt der Immunisierungsgrad bei den Impfungen gegen Kinderkrankheiten bei über 92, in Kroatien bei über 95 Prozent. Doch vor allem in Bosnien und Herzegowina und im Kosovo haben die Kriege der 1990er-Jahre nachträglich kaum mehr aufzufüllende Breschen in den Impfschutz geschlagen. Die in Deutschland erkrankten Asylbewerber stammten aus Regionen, in denen während des Kriegs „adäquates Impfen kaum möglich war“, sagt der serbische Epidemiologe Dragan Ilic. In Serbien seien in den vergangenen Monaten 140 bestätigte und 220 vermutete Fälle von Masern aufgetreten: „In 90 Prozent der Fälle waren die Erkrankten nicht oder nicht ausreichend geimpft.“
Eltern zweifeln an Impfstoffen
Es ist jedoch auch der eher schlechte Zustand des Gesundheitswesens in den ex-jugoslawischen Staaten, der Eltern an den verwendeten Impfstoffen zweifeln lässt. Obwohl die meisten Impfstoffe in Serbien produziert werden, erwerben dort viele Eltern in den Apotheken lieber teurere Impfstoffe aus dem Ausland. Bosniens Gesundheitsbehörden beziehen aus Kostengründen ihre Impfstoffe von verschiedenen Produzenten. Wenn die Erst- und die Auffrischungsimpfung mit Impfstoffen unterschiedlicher Anbieter erfolge, erhöhe sich das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen, warnt die Ärztekammer in Sarajewo.
Viele Kinder werden auch zu spät zur Auffrischungsimpfung geschickt. Zudem ist vor allem unter der Minderheit der Roma der Immunisierungsgrad trotz Aufklärung weiterhin gering. Elternzweifel am Sinn der Impfungen werden auch auf dem Balkan von Internetforen und Medienberichten über drohende Nebenwirkungen genährt. Zu ernsthaften oder gar lebensbedrohlichen Komplikationen sei es, beteuert Epidemiologie Ilic, in Serbien noch nicht gekommen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2015)