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Bilderbuch: Rock it, Gigolo!

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bilderbuch(c) Niko Ostermann
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Bei „Spex“ genauso beliebt wie bei „Bravo“: Die österreichische Band Bilderbuch hat den Erfolg, den sie verdient. Am Freitag erscheint ihr neues Album, „Schick Schock“.

Frauen finden es meist wenig attraktiv, wenn sich Männer in Selbstmitleid und Selbstzweifeln suhlen: 90 Prozent der heterosexuellen Männer in der westlichen Zivilisation haben diese Tatsache spätestens mit 22 (zumindest theoretisch) kapiert; die restlichen zehn Prozent singen oder spielen Indie-Pop, auch Alternative Pop genannt, mit viel Gitarre und wenig Groove.

Gut, das war jetzt ein bisschen polemisch, aber es ist wirklich erstaunlich, wie treu diese hochgradig struktur- und wertkonservativen Genres den Mottos sind, die Radiohead bzw. Beck 1992 bzw. 1993 vorgaben: „I am a creep, I am a weirdo“; „I'm a loser, baby, why don't you kill me“. Überhaupt: Es gibt im Pop seit Langem keine ernsthaften männlichen Pendants zu den selbstbewussten, auf ihre Sexualität stolzen Frauen von Madonna über Lady Gaga bis Charlie XCX; nur die zu Zerrbildern übersteigerten Macho-Posen des Gangsta-Rap.

Auftritt Maurice Ernst, Sänger der österreichischen Band Bilderbuch. Er kombiniert zwar im Video zu „Om“ ein Goldketterl zu einem Pyjama/Trainingsanzug-Hybrid, ist aber ganz offensichtlich kein Gangster. Und er singt Zeilen wie „Sag es laut, du bist hinter meinem Hintern her!“ Oder: „Ich bin wieder da, gestochen scharf, an der Bar deiner Wahl, ein Rebell.“ Oder: „Willst du meine Frau werden? Dann kauf ich uns ein Haus aus Gold und Perlmutt.“ Oder, und hier meint man den Absolventen des Stiftsgymnasiums Kremsmünster schon fast erröten zu sehen: „Ich lese Proust, Camus und Derrida; mein Schwanz, so lang wie ein Aal; deine Mutter, so dick wie ein –.“

Ja, darf er denn das? Wie macht er das, ohne peinlich zu sein? Es gibt darauf zwei Antworten, beide sind ziemlich österreichisch. Die erste heißt wie das neue Programm von Lukas Resetarits: Schmäh. Wobei wichtig ist: Einer, der Schmäh führt, nimmt sich selbst sehr wohl ernst. Aber das Leben nicht ganz. Im großartigen Song „Rosen zum Plafond“ etwa: Zu einem aufs Gerippe reduzierten Funkrhythmus à la Prince skandiert Maurice Ernst unisono mit einer Flöte (!) den Satz, den man als Fünfundzwanzigjähriger allzu oft hört: „Du sagst, es ist besser, wenn ich jetzt geh.“ Da geht man halt und macht ein Lied daraus...

Falco ist ein Vorbild, ja und?

Die zweite Antwort heißt Falco. Auch wenn Maurice Ernst nicht so offen Zeilen und Motive dieses Großen variieren würde („Zu viel Hitze im Tiefkühlfach“, „Frau Professor haben mich erwischt“, „Quit living on dreams“, „Rock it, Gigolo!“), wäre es unüberhörbar: Hans Hölzel ist ihm ein Vorbild, in der Tändelei mit der eigenen Rolle als Charmeur, als Gigolo, als Dandy; im lässigen Gesangsduktus, im Spiel mit der Kopfstimme. Natürlich auch im sorglosen Umgang mit englischen Brocken: „Wir leben high, nie down“, wie soll man das sonst sagen?

Noch eine Verwandtschaft: Wie die Falco-Produzenten scheut die Band Bilderbuch auf ihrem neuen Album vor keinem Siebzigerjahre-Sound zurück. Besser, der Synthesizer erinnert an Yes als an Yello, besser, die Gitarre klingt nach Brian May als nach The Clash. Besser zwei oder vier Akkorde als drei! Nur keine Angst vor Effektgeräten! Auch wenn wir New-Wave-Veteranen es höchst ungern zugeben: Nichts ist heute so altväterlich wie Post-Post-Punk.

Schmäh und Falco also. Kein Wunder, dass die Deutschen dieser Band zu Füßen liegen. Gut, da sind sie nicht die Ersten: Auch Kreisky, Soap & Skin und Ja, Panik haben das deutsche Feuilleton verzückt, Wanda sind gerade dabei, alle zu Recht übrigens, und alle auch durch ihren geschmeidigen, trickreichen Umgang mit der (deutschen) Sprache. Aber dass eine Band sowohl auf dem aktuellen Sampler des Popintellektuellen-Magazins „Spex“ als auch auf den „Bravo Hits“ (wobei das Lied auf diesen, „Om“, weniger eingängig ist als „Spliff“, das „Spex“ ausgewählt hat!) vertreten ist, das ist doch eine neue Qualität. Und soll nur all jene Nörgler ärgern, die sich schon über den Hype aufregen, nach dem öden Indie-Pop-Motto: Jetzt, wo sie alle mögen, mag ich sie nicht mehr. Unsinn: Alle mögen sie, und das ist gut so. „Mit Laissez-faire zum Trillionär“, singt Ernst. Sei ihm gegönnt.

Die Österreich-Konzerte im März/April sind ausverkauft, so wie die Auftritte in München und Berlin. Für den 18.Juni in der Wiener Arena (Open Air) gibt es noch Karten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2015)

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