Als „American Sniper“ machte Chris Kyle im Irak-Krieg Furore. Den großen Ruhm erlebte er nicht mehr. Sein Mörder erhielt lebenslang.
In der Eröffnungssequenz des Clint-Eastwood-Films „American Sniper“ lauert Chris Kyle, der Scharfschütze der US-Eliteeinheit Navy Seals, auf dem Dach eines Hauses in der irakischen Rebellen-Hochburg Falluja und nimmt eine Mutter und ihren kleinen Sohn ins Fadenkreuz, der im Begriff ist, eine Granate auf einen US-Trupp zu schleudern. Der erfolgreichste Kriegsfilm in der Geschichte Hollywoods, der seit seinem Start Mitte Jänner mehr als 300 Millionen Dollar eingespielt und in den USA eine veritable Kontroverse über Heldentum und Patriotismus ausgelöst hat, greift mitten hinein in die Kriegsrealität. Die Milizen des sogenannten Islamischen Staats in Nahost oder von Boko Haram in Nigeria missbrauchen mittlerweile längst Kinder als Selbstmordattentäter.
In der Filmvorlage – dem gleichnamigen Bestseller „American Sniper“, der mehr als eine Million Mal über die Ladentische ging – rühmte sich Chris Kyle, 160 Feinde, in dessen Jargon „Wilde“, zur Strecke gebracht zu haben. Die Glorifizierung, die der Film nun evoziert, erlebte der Texaner, als „amerikanischer Held“ nicht nur im „Lone Star State“ gefeiert, aber nicht mehr. Der Film spart das bittere Ende aus. Denn vor zwei Jahren strecken auf einem Schießstand in Texas 13 Kugeln den 38-jährigen Kyle und dessen Freund Chad Littlefield hinterrücks nieder. Der von ihm stets beschworene Schutzengel hatte Kyle jäh verlassen.
Just während des anhaltenden Höhenflugs des Eastwood-Films und des beinahe zu Oscar-Würden gekommenen Hauptdarstellers Bradley Cooper verurteilte ein texanisches Geschworenengericht in Kyles Heimatstadt Sharpeville den Mörder, den traumatisierten Ex-Marinesoldaten Eddie Ray Routh, zu einer lebenslangen Haftstrafe – ohne Chance auf vorzeitige Begnadigung, aber auch ohne das Damoklesschwert einer Todesstrafe.
Bodyguard Sarah Palins
Rouths Anwälte plädierten auf Unzurechnungsfähigkeit, weil ihr Mandant unter schizophrener Psychose leide, von Dämonen besessen sei und sich von „Halbschweinen“ verfolgt wähne. Die Staatsanwaltschaft zerpflückte deren Argumente, hielt sie für fabriziert. Weder sei Routh im Irak im Kampfeinsatz gestanden noch sei er auf Haiti unmittelbar mit den Schrecken der Erdbebenkatastrophe konfrontiert gewesen, wie er es dargestellt hatte.
Stattdessen neigte der Mittzwanziger nach seiner Rückkehr in die Heimat zu übermäßigem Alkohol- und Drogenkonsum, und seine Mutter meldete ihn bei der Stiftung Fitco Cares an, die sich um orientierungslose Veteranen kümmerte. Bevor Kyle und Littlefield ihren Mörder am 2. Februar 2013 im Pick-up-Truck abholten, um ihn im Rücksitz zum Schießstand mitzunehmen und sich dort abzureagieren, dröhnte sich Routh mit Marihuana voll. „Der Typ ist total verrückt“, bedeutete Kyle während der Fahrt seinem Freund Littlefield.
Chris Kyle wuchs in einer Waffenkultur auf, schon als Kind ging er mit seinem Daddy auf Waschbärenjagd. Als Idol verehrte er John Wayne, im Irak-Krieg lieh er sich gerne Clint-Eastwood-Filme aus. Als es mit der Karriere eines Cowboy oder eines Rodeoreiters nichts wurde, meldete er sich für die Navy Seals. Vier Mal diente er als Sniper monatelang im Irak, bei seiner Heimkehr plagten ihn Albträume und traumatische Störungen. Er flüchtete sich in den Alkohol. Realität und Fiktion verschwammen, er schwadronierte über Lynchjustiz und agierte als selbst ernannter Sheriff. So behauptete er, Plünderer und Tankstellenräuber in Texas gezielt getötet zu haben – ohne Basis.
Kyle verdingte sich als Bodyguard von Sarah Palin, und als er in der Football-Arena der Dallas Cowboys aufgebahrt wurde, erwies ihm die republikanische Galionsfigur ihre Reverenz. Noch nach seinem Tod polarisiert Chris Kyle die Nation. Der prononciert linke Regisseur Michael Moore schimpfte ihn einen Feigling, First Lady Michelle Obama und Jane Fonda warfen sich hingegen für ihn in die Bresche.
mehr auf www.diepresse.com/sniper
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2015)