VfGH: Entscheidung mit weitreichenden Folgen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der OGH hält eine Bestimmung, welche die Befangenheit von Sachverständigen betrifft, für verfassungswidrig. Hebt der VfGH die angefochtene Regelung auf, kann das für so manches Verfahren „Zurück an den Start!“ bedeuten.

Wien. Am Donnerstag fand im Sitzungssaal des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt.

Anlass dafür waren drei Anträge des Obersten Gerichtshofes (OGH) zur Bestellung von Sachverständigen. Jeder Antrag betraf unterschiedliche Verfahren, die derzeit beim OGH anhängig sind. Eines davon betrifft den Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics. Anlässlich seiner Verurteilung beschloss der OGH, den VfGH mit § 126 Abs 4 der Strafprozessordnung zu befassen.

Obwohl es sich bei dieser Bestimmung seit 1. Jänner 2015 um alte Rechtslage handelt, ist die Entscheidung des VfGH für viele Verfahren, die von der Instanz noch nicht entschieden worden sind, höchst relevant. Erklärt er die zitierte Bestimmung für verfassungswidrig und hebt sie auf, kann das etwa im Fall Petrikovics und auch in anderen Verfahren „Zurück an den Start!“ bedeuten. Die Causa Petrikovics etwa müsste ans Erstgericht verwiesen werden, ein neuer Schöffensenat hätte einen neuen Sachverständigen zu bestellen und sein Urteil zu fällen.

OGH: „Verfassungsrechtlich bedenklich“

Doch um welches Problem geht es eigentlich? Seit Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes 2004 leitet der Staatsanwalt (und nicht mehr der Untersuchungsrichter) das Ermittlungsverfahren. Wenn er die Bestellung eines Sachverständigen für nötig erachtet, entscheidet er allein über dessen Auswahl. Kommt es zur Anklage, stützt sich der Staatsanwalt in aller Regel auf die Expertise dieses – von ihm bestellten – Sachverständigen.

Mit Beginn des Hauptverfahrens wechselt der Staatsanwalt aber seine Rolle. Er wird vom Leiter des Ermittlungsverfahrens mit einem Schlag zum Vertreter der Anklage, also zum Gegner des Angeklagten. Und der Sachverständige? Ob ein neuer bestellt wird oder jener Sachverständige, den schon der Staatsanwalt bestellt hat, bleibt, hat im Hauptverfahren das Gericht zu entscheiden. In der überwiegenden Zahl der Fälle hält der Richter an demselben Experten fest. Ein Wechsel ist die Ausnahme. Sollte der Angeklagte nun der Meinung sein, diesem Sachverständigen fehle dem Anschein nach die erforderliche Neutralität und Unparteilichkeit, ist dies nach der alten Regelung aber kein Befangenheitsgrund. Genau das hält der OGH, allen voran sein Präsident, Eckart Ratz, für verfassungswidrig. Insbesondere sei das Gebot der Waffengleichheit, wie es Art 6 Abs 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorsieht, damit nicht gewahrt, referierte Hagen Nordmeyer für den OGH.

Das sieht die Bundesregierung, die von Sektionschef Christian Pilnacek und Ronald Faber vom Verfassungsdienst vertreten wird, anders. Die Unabhängigkeit der Sachverständigen und das faire Gleichgewicht zwischen den Verfahrensparteien, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fordert, werden ohnehin durch zahlreiche Bestimmungen des Strafprozessrechts abgesichert. „Es gibt das Recht, Privatgutachter in jedem Verfahrensstadium unterstützend beizuziehen, es gibt das Recht, schon im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung Einwendungen gegen des Sachverständigen zu erheben, und es gibt auch das Recht, durch Beweisanträge den Umfang der Gutachtenstätigkeit zu beeinflussen“, betont Pilnacek.

„Auch Sachverständiger ist Partei“

So entspannt sehen die anwesenden Parteienvertreter die Lage jedoch nicht. Otto Dietrich, der Anwalt von Karl Petrikovics, macht auf folgendes Problem aufmerksam: Allzu oft werde vergessen, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige Partei des Verfahrens wird: „Dann nämlich, wenn es um seine Gebühren geht. Wenn der Angeklagte verurteilt wird, muss er die Gebühren des Sachverständigen zahlen. Daher muss sich der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren über seine Verteidigung allenfalls gegen dessen Gebührennoten aussprechen.“ Man würde die menschliche Psyche überschätzen, ginge man davon aus, dass in so einem Fall der Sachverständige noch immer unvoreingenommen bleibe, wenn man seine Gebührennote angreift, so Dietrich.

Und noch etwas gibt er den Verfassungsrichtern zu denken auf: „Ohne einem Sachverständigen etwas unterstellen zu wollen: Wenn ich weiß, dass ich in der Hauptverhandlung wieder bestellt werde, habe ich schon ein Interesse an einer Anklage. Da könnten auch Gebühren in einer bestimmten Größenordnung eine Rolle spielen.“
Wann der VfGH seine Entscheidung fällt, ist derzeit noch nicht absehbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2015)

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