Polizeichef: Leichtfertigkeit ist zum „Grausen“

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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"Presse"-Streitgespräch: Experten fordern mehr Einbruchs-Prävention und mehr Effizienz der Polizei, diese will ihre Strategie verbessern und die Kräfte effizienter einsetzen.

Die Presse: In Wien explodiert die Zahl der Einbrüche. Es gibt immer mehr Bürgerinitiativen, die die Polizei unterstützen. Offenbar hat die Exekutive die Lage nicht im Griff.

Gerhard Pürstl: Wir haben immer die Philosophie vertreten: Der, der Eigentum hat, soll auch darauf schauen. Wenn man sich anschaut, wie leichtfertig manche Bürger in der U-Bahn unterwegs sind, mit offenen Rucksäcken und Taschen, oder wenn im Supermarkt die Geldbörse offen im Einkaufswagen liegt, dann kommt einem Polizisten das Grausen.

Ist es denn oberste Pflicht jedes Bürgers, sein Eigentum zu schützen?

Karl Brunnbauer: Die Polizei ist für die Aufrechterhaltung der Sicherheit verantwortlich. Es stört viele Menschen, wenn man sich plötzlich selbst darum kümmern muss.


Susanne Schubert-Lustig: Zahlreiche meiner Klienten sagen, viel zu wenig über Prävention gewusst zu haben. Das verursacht Schuldgefühle. So mancher wirft sich vor, nicht genug aufgepasst zu haben. Die Bevölkerung braucht mehr Informationen über Schutzmaßnahmen.

Sind Privatinitiativen dazu da, die Arbeit der Polizei zu erledigen?

Pürstl: Das Miteinander in der Nachbarschaft ist für die Polizei wichtig. Diese Initiativen dürften aber nicht so weit gehen, dass sich die Bürger bewaffnen. Was Herr Brunnbauer mit „proNachbar“ macht, ist genau das Richtige. Eines muss aber klar sein: Die Polizei alleine kann nicht lückenlos 1,7 Millionen Bürger schützen. Und auch nicht deren Eigentum.

Brunnbauer: Natürlich ist auch die Gesellschaft gefragt. Aber die Bürger wollen mehr Polizisten auf der Straße sehen. Vor allem dann, wenn die klassischen Deliktzeiten sind. Es hat wenig Sinn, wenn die Beamten während der Dämmerung im Büro Schreibarbeiten erledigen müssen.


Schubert-Lustig: Wirklich helfen würde mehr Beleuchtung, die in manchen Gegenden einfach schlecht ist. Neben der Abschreckung für Einbrecher hat das den Effekt, dass sich die Menschen sicherer fühlen. Eine Maßnahme, die einfach umzusetzen wäre.

Warum gab es zuletzt derart viele Einbrüche in Wien?

Pürstl: Eine Erklärung könnte die allgemeine wirtschaftliche Lage sein. Erfahrungsgemäß kann das die Belastungszahlen der Kriminalität nach oben treiben.

Was tut die Polizei dagegen?

Pürstl: Präventionsberatung und Schwerpunktstreifen. Wir planen, Schwerpunkte zu setzen, Kräfte aus ganz Wien zusammenzuziehen und in belasteten Gebieten auf die Straße zu schicken.

In Wien liegt die Aufklärungsquote bei 28 Prozent. In London werden 42 Prozent der Verbrechen geklärt, in Hamburg 45, in Berlin 50 %.

Pürstl: Ich versichere Ihnen, dass Wien nicht schlechter liegt als andere Großstädte in Europa. Es liegt tatsächlich an der Art der Statistik, wie wir sie führen. In Deutschland findet man bei manchen Delikten Aufklärungsquoten von über 100 Prozent. Das kann nicht stimmen. Was anderen Städten wie Barcelona in der Statistik auch zugutekommt: Dort ist Taschendiebstahl ein Verwaltungsdelikt, fließt also gar nicht in die Strafanzeigenstatistik ein. Man vergleicht hier also Äpfel mit Birnen.

Die UNO befragte in verschiedenen Ländern Bürger. Repräsentativ und vergleichbar. Dabei kam heraus: Jeder fünfte Wiener wurde innerhalb der vergangenen zwölf Monate Opfer einer Straftat. In Rom waren es 16, in Madrid 13, in Athen zwölf Prozent. Die Zählweise der Statistik allein kann es nicht sein.

Brunnbauer: Auch wir haben vergleichbare Studien, die diese Zahlen stützen.


Schubert-Lustig: Die Zahl unserer Opferkontakte ist vor diesem Hintergrund interessant. Nach 10.000 im Jahr 2007 waren es im Vorjahr bereits 18.000. Seriös ist nicht abzuschätzen, ob es tatsächlich mehr Verbrechensopfer gibt oder die gesteigerte Bekanntheit des Weißen Rings für den Zuwachs verantwortlich ist.

Welche Hilfe können Einbruchsopfer, die oft schwer traumatisiert sind, vom Gesetzgeber erwarten?

Schubert-Lustig: Für Opfer, die nicht mit dem Täter in Kontakt kommen, ist keine Unterstützung vorgesehen. Gerade Einbruchsopfer haben therapeutische Hilfe nötig.


Pürstl: Unsere Ermittler vor Ort erzählen oft, dass der materielle Schaden die Opfer von Einbrüchen weniger stört als der beängstigende Gedanke, dass ein Fremder in ihrer Wohnung war.


Brunnbauer: Besonders schwer trifft es jene, die trotz eingeschalteter Alarmanlage und während sie im Haus sind, Opfer werden.

Wie ist die Sicherheit in Wien denn überhaupt zu verbessern?

Pürstl: Die Polizei alleine wird das nicht lösen können. Auch nicht mit mehr Personal. Wir können aber die polizeiliche Strategie verbessern, die Kräfte effizienter einsetzen und den Leuten den Präventionsgedanken näherbringen. Mit einer Alarmanlage der neuesten Generation kann man schon einiges erreichen.


Schubert-Lustig: Mehr Präsenz der Polizei ist ein guter Ansatz.

In Wien kommen auf 1000 Einwohner etwa fünf Beamte. In Berlin sind es nicht einmal vier.

Brunnbauer: Es gibt Bereiche, bei denen man sich fragt, ob die Polizei effizient genug arbeitet. Vielleicht wäre es in Einzelfällen klüger, Anzeigen online aufzugeben.


Pürstl: Es stimmt, dass die Polizei viele administrative Aufgaben erledigen muss. Ich sehe mit Besorgnis, dass das oft lange dauert. Das ist ein Problem. Wir sind gerade dabei, Systeme auszuarbeiten, die das erleichtern sollen. Die Möglichkeit der Anzeige über das Internet gibt es schon. Sie wird nicht angenommen. Im vergangenen Jahr hatten wir drei Anzeigen.

Die Teilnehmer

Karl Brunnbauer ist Präsident der Bürgerinitiative „proNachbar“ in Wien-Hietzing. Seit zwei Jahren arbeiten Bürger in dem stark von Einbruchskriminalität betroffenen Bezirk direkt mit der Polizei zusammen, informieren über Prävention und teilen der Exekutive ihre Beobachtungen über Einbrüche mit.

Gerhard Pürstl ist seit Jänner 2008 Polizeipräsident in Wien und damit Chef von knapp 8000 Polizisten. Die Zahl der Einbrüche stieg zuletzt um über 30 Prozent.

Susanne Schubert-Lustig ist klinische Psychologin und praktiziert in Wien. Sie ist Mitglied des Vorstandes der Opferschutzorganisation Weißer Ring.

www.weisser-ring.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2009)

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