Vertrauen ist gut, Misstrauen ist besser

Die Staaten wollten beim G20-Gipfel in London unser Vertrauen gewinnen. Sie haben es nicht verdient.

Vertrauen ist der Schlüsselbegriff des gegenwärtigen Krisendiskurses. Auf allen Ebenen: Beim G20-Gipfel in London ging es darum, durch gemeinsames Agieren – und sei es nur auf der Überschriftenebene – das Vertrauen der Weltbevölkerung in die Lösungskapazität der internationalen Politik zu stärken. Die Initiative des österreichischen Finanzministers zur Lösung der Kreditklemme durch staatliche Garantien zielt auf die Wiederherstellung des Vertrauens im Bankensektor. Die Verhaftung von Julius Meinl V. diente der Stärkung des Vertrauens in die österreichische Justiz, der man seit Langem nicht ganz zu Unrecht einen allzu entspannten Umgang mit den Vorgängen bei Immofinanz, Meinl und Co. vorgeworfen hat. Und über allem kreist die philosophisch-ideologische Debatte über die „Zähmung“ eines wild gewordenen Kapitalismus um die Frage, wie man das Vertrauen der Menschen in ein System wiederherstellen könne, das von gewissenlosen Zockern an die Wand gefahren worden ist.

Das Vertrauensbedürfnis, das die gegenwärtige Krise erzeugt, bezieht sich auf nichts Geringeres als das Anbrechen eines neuen Zeitalters, in dem nicht mehr die Gier und der Egoismus den Ton angeben, sondern die Sorge um das größte Glück der größten Zahl. Dafür, heißt es, brauche es eine Rückbesinnung auf die alten Werte, einen starken Staat, der verhindert, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Ein neues Regelwerk müsse her, das Steueroasen austrocknet, Managerbezüge begrenzt und der ungezügelten Spekulation den Garaus macht.

Die Sehnsucht nach einem neuen Zeitalter ist seit jeher mit der Sehnsucht nach messianischen Figuren verbunden. Sie konzentriert sich derzeit auf den amerikanischen Präsidenten Barack Obama. Ihm traut man zu, dass er das Steuer nicht nur in seinem Heimatland herumreißt. Er soll nicht nur aus dem bösen Bush-Amerika das gute Obama-Amerika machen, von ihm wird auch erwartet, dass er die böse Kapitalistenwelt in eine gute Sozialarbeiterwelt verwandelt.


Er tut es nur nicht. Die bisher vorgestellten Pläne der Obama-Administration bedeuten im Kern vor allem eines: dass die Krise mit genau denselben Maßnahmen bekämpft wird, die die Krise hervorgerufen haben. Die imposanten Konjunkturpakete, die jetzt in den USA und in weiten Teilen Europas geschnürt werden, setzen allesamt auf die kurzfristige Befriedigung des Vertrauensbedürfnisses, das sich auf Staat und Politik konzentriert. Langfristig werden sie möglicherweise zur Verschlimmerung der Krise führen.

Das heißt: Vertrauen ist gut. Denken ist besser. Und Denken ist nichts anderes als strukturiertes Misstrauen.

Schon der Blick auf die Ursachen der Krise macht klar, dass Vertrauen nicht die Lösung ist, sondern das Problem: Die Immobilienblase, deren Platzen die globale Finanzkrise ausgelöst hat, basierte zunächst auf dem politischen Wunsch nach Krediten für nicht kreditwürdige Bürger, dann auf dem Vertrauen darauf, dass sich Konsumkredite dauerhaft über die Wertsteigerung der als Sicherheit gegebenen Immobilien finanzieren lassen würden. Und dass das Platzen der Immobilienblase nicht nur die Branche, sondern das globale Finanzsystem an den Rand des Abgrunds brachte, hatte mit dem Vertrauen darauf zu tun, dass die „Finanzinstrumente“, die man mit der Umwandlung eines jeden Schuldtitels in ein handelbares Asset geschaffen hatte, zu einer Streuung und damit Minimierung des Risikos führen würden.


Klar, es wird und soll im Gefolge der Krise auch zu neuen Regeln kommen, und die Überschriften, die beim Londoner Gipfel verkündet wurden, wie etwa die stärkere Kontrolle von Hedgefonds und Ratingagenturen, klingen vernünftig. Aber darauf zu vertrauen, dass solche Regulative Krisen in Zukunft verhindern können, ist angesichts der gegenwärtigen absurd: Das Hauptproblem mit den „giftigen Papieren“ haben nicht die unkontrollierten Hedgefonds, sondern der vergleichsweise jetzt schon streng regulierte Bankensektor.

Wie sehr Misstrauen statt Vertrauen angebracht ist, zeigen auch jene Kommentare, die den österreichischen „Fall Meinl“ als Beispiel dafür nennen, wie dringend ein neues Regelwerk wie das in London angestoßene sei. Wie in vielen anderen Fällen auch haben wir es im Fall Meinl nicht mit einem Mangel an Regulierung zu tun, sondern mit einem Mangel an Bereitschaft und Mitteln, ihre Einhaltung zu kontrollieren und Verstöße zu sanktionieren.

Das Einzige, worauf wir vertrauen sollten, ist also ein gesundes Misstrauen.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2009)

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