Schlummern unter Sauriern

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In Wien hat sich das Naturhistorische Museum ein Herz gefasst und 40 Kinder und Eltern zu einer Abenteuernacht zugelassen.

Die Gruppe ist beim Dessert angelangt. „Hier haben wir etwas Besonderes für euch“, sagt unser Betreuer, Hans, und hält zwei Plastikdöschen hoch. Von der Verpackung her könnten es Kaubonbons sein, so genau sieht man das im Dunkeln nicht. „Gut möglich, dass diese Nachspeise vor einigen Tagen noch gelebt hat.“ Okay, definitiv keine Kaubonbons. Mein Sohn Tobias schaut etwas skeptisch. Zu Recht: „Für die Kinder“, sagt Hans, „gibt es getrocknete Mehlwürmer. Und für die Erwachsenen Heuschrecken. Aber immerhin ohne Beine.“

Die eiweißreiche Nachspeise – die einige von uns kosten, andere aus ideologischen Gründen, wie zum Beispiel Instant-Vegetarismus, dankend ablehnen – ist einer der Höhepunkte in einer an bemerkenswerten Ereignissen nicht gerade armen Nacht – einer Nacht im Museum. Am 21. Februar lud das Wiener Naturhistorische Museum (NHM) zum ersten Mal in größerem Stil Kinder zu einer Abenteuernacht ein. Es war eine Premiere für alle Beteiligten, Veranstalter wie Besucher. Im Gegensatz zu so mancher Theateraufführung waren sich am Morgen danach allerdings alle einig: Diese Nacht war ein voller Erfolg!

Die Idee, auch in Wien eine Nacht im Museum zu veranstalten, hatte NHM-Generaldirektor Christian Köberl. Das Naturhistorische Museum schloss damit zu Sammlungen in den angelsächsischen Ländern auf, in denen der Schlafsack etwa unter dem kecken Label „Dinosnores“ schon seit Längerem ins Museum mitgebracht werden darf – und zwar nicht erst, seit lebendig gewordene Mumien, Cowboys und Dinos durch den Film „Nachts im Museum“ galoppierten.

Dieser Vorsprung mag sich daraus erklären, dass angelsächsische Länder einen entspannteren und weniger ehrerbietigen Zugang zum Konzept „Museum“ haben. An der mangelnden Nachfrage kann es jedenfalls nicht liegen: Sowohl die Kindertermine des Naturhistorischen Museums im Februar und im März (für Kinder von sieben bis elf Jahren) als auch das Galadiner mit anschließender Übernachtung für Erwachsene im April waren in Windeseile ausgebucht. Für Herbst sind weitere „Dino-Dates“ geplant.

Wir 40 Pioniere haben jedenfalls jede Menge Fragen. In der blutrot illuminierten Eingangshalle des Naturhistorischen Museums drängen sich Kinder und Begleitpersonen um unsere drei Betreuer, Hans, Monika und Andreas. „Ich schlaf sicher überhaupt nicht“, sagt ein Bub. „Was ist, wenn ich in der Nacht aufs Klo muss?“, fragt ein anderer.

Alles wird erleuchtet – und beantwortet, im Sitzkreis der anderen Art im Sauriersaal, flankiert von einem Triceratops-Modell und dem beweglichen Allosaurus, einer der großen Attraktionen des NHM. „Die Kleinen nach vorn“, sagt Hans. „Ah, so, du willst nicht. Du denkst dir wahrscheinlich, wenn ich schon da schlafen muss, dann will ich lieber nicht genau sehen, was da so alles herumsteht.“ Die ersten Lacher, das Eis schmilzt dahin. Natürlich interessiert alle, wo und wie wir schlafen und uns die Zähne putzen werden (das zumindest die Erwachsenen), die inhaltlichen Informationen sind allerdings auch nicht zu verachten: zum Beispiel, dass das Langhals-Saurier-Modell, das sich über unseren Köpfen erstreckt, der Diplodocus Carnegii ist – ein Geschenk des amerikanischen Stahl-Tycoons Andrew Carnegie, der von dem Fund so begeistert war, dass er ein Replikat dem deutschen Kaiser und eines dem österreichischen Kaiser verehrte.

„Aber jetzt“, sagt Hans, „kommt der spannende Teil. Jetzt werden wir sehen, wer sein Bett aufstellen kann.“ Geschickt demonstrieren er und sein Kollege Andreas, wie in wenigen Sekunden mit drei Griffen aus dem Inhalt einer länglichen Tasche ein durchaus stabil wirkendes Feldbett entsteht. Die einzige Herausforderung ist allerdings, dass wir zu vierzigst hantieren müssen, zwischen Dino-Modellen und Schaukästen aus Glas, mit Metallstreben, die unter den ungeübten Händen von Eher-nicht-Pfadfindern in alle Richtungen schnalzen. Doch auch das funktioniert besser als gedacht und – abgesehen von dem einen oder anderen unterdrückten Fluch, wenn sich wieder jemand die Finger eingezwickt hat – ohne größere Schäden an Mensch oder Tier. Die letzte Hand legen die NHM-Mitarbeiter an, während die Kinder das tun dürfen, was Kinder besonders gern tun: Sie sehen einen Film über Dinosaurier, und zwar im sogenannten Planetarium, einer sich über die Köpfe des Publikums wölbenden Kinoleinwand.

Nach dieser Ruhepause geht es zuerst in die Cafeteria, wo der von zu Hause mitgebrachte Abend-Snack verzehrt wird, und danach ans Eingemachte: eine Taschenlampentour durch das Museum, der wohl spannendste Programmpunkt. Denn ganz langsam ändert sich die Stimmung. Die ständige Sammlung im ersten Stock liegt völlig im Dunkeln, nur punktuell beleuchtet von 40 Taschenlampen, von denen jede sich aussucht, was sie am meisten interessiert. Gut gefüllte Schaukästen, die das Auge bei Tageslicht in ihrer Gesamtheit wahrnimmt, reduzieren sich auf das Punktuelle: ein beschaulicher, auf jeden Fall aber beeindruckender Moment in den dunklen Räumen des Naturhistorischen.

Wäähh- und Wow-Momente. Die Kinder, deren Aufgabe es ist, anhand von Rätselkarten Tiere zu suchen, erleben derweilen eher „Wääähh“- und „Wow“-Momente, voll Grauen und Grusel. Zum Beispiel die Kobra, die sie angreifen dürfen. Ganz weich ist sie, mit Watte ausgestopft. „Echt, aber tot“, wie Hans lakonisch meint. Oder die kurze Lektion in Tierpräparation anhand eines etwas verschrumpelten Katzenhais: „Er wird dort aufgeschnitten, wo man es am wenigsten sieht, es wird alles rausgeräumt, was verwesen kann. Dann wird ihm sozusagen das Fell über die Ohren gezogen und das Gehirn rausgeholt.“ – „Wääähhhh!“ Wieder ein Berufswunsch weniger. Nachdem sie auch noch die Speiballen von Eulen – komplett mit Mäuseknochen – angreifen dürfen, ist die Gruppe reif für ein Betthupferl. „Jetzt gibt's wieder Tiere zu essen“, sagt Hans. „Wääähhhh.“ – „Schulmäuse.“ – „Wow!“

Die Abendhygiene fällt im NHM sehr kinderfreundlich aus: Auf dem Klo putzt man sich die Zähne, zwei Tropfen Wasser fürs Gesicht, die Umsichtigen haben ein kleines Handtuch dabei, die anderen nehmen Klopapier. Alle hüpfen in die Schlafsäcke, einige Kinder verbrennen ihre Restenergie mit Rundenlaufen. Doch bald wird es immer leiser. Das Licht geht aus, und man liegt da, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen den lang ausgestorbenen Beherrschern des blauen Planeten und seinen zukünftigen Chefs. Von denen schon wieder einer durch die „Rettungsgasse“ zwischen den Feldbetten trappelt, weil er aufs Klo muss.

Um sieben ist Tagwache. Müde öffnet man die Augen, Durchschlaf und Feldbett sind dann doch zwei verschiedene Dinge. Aber offensichtlich ist man noch nicht ganz munter, kurz hatte man den Eindruck, der Allosaurus habe sich bewegt. Was ist das? Fauchen und brüllen? Sind schon alle Kinder wach? Obwohl, ein bisschen laut ist das doch. Und jetzt hat sich der Allosaurus definitiv bewegt: ein Weckruf der ganz besonderen Art! Das Untier zieht seine Show ab, es wirft den Kopf hin und her, es wackelt mit dem Schwanz, es schaut böse. Wir hingegen schauen begeistert. Ein „Wow“-Moment um sieben Uhr morgens.

Zum Frühstück gibt es wieder Tiere, diesmal einen gebackenen Dino, Kakao und ein Erinnerungshäferl für alle. Wer möchte, kann noch den Tag im Museum verbringen und alles bei Licht betrachten, was einige Stunden davor im Dunkeln so beeindruckt hat. Wer keine Zeit mehr hat und gehen muss, tut das nicht leichten Herzens. Und mit dem festen Vorsatz, wiederzukommen.

Compliance Hinweis:
Die Autorin und ihr Sohn nahmen auf Einladung des Naturhistorischen Museums an der Abenteuernacht teil.

Abenteuer oder Gala

Das Kinderprogramm (7 bis 11 Jahre) besteht aus einem Film, einer Taschenlampentour, der Übernachtung im Dino-Saal und Frühstück. Abendsnack und Schlafsack müssen mitgebracht werden. Die Kosten betragen 75 Euro pro Person.

Auf die Erwachsenen warten unter anderem ein Film, ein Galadiner mit Musik und ein Cocktail auf dem NHM-Dach.

Informationen gibt es Montag 14 bis 17 Uhr und Mittwoch bis Freitag von 9 bis 12 Uhr unter 01/52177335 oder anmeldung@nhm-wien.ac.at. Die Termine im Frühjahr sind ausgebucht, im Herbst sind jedoch weitere geplant.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2015)

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