Aktion "3 Tage fremd": Drei Tage als Flüchtling im eigenen Land

Erich Kocina
Erich Kocina(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Verdammt zum Nichtstun, keine Möglichkeit zur Ablenkung, von der Bevölkerung schief angesehen: Die Aktion „3 Tage fremd“ zeigt, wie das Leben als Asylwerber aussieht.

Ich verstehe kein Wort. Noch mit der Reisetasche in der Hand werde ich von Selim durch das Gebäude getrieben. Er öffnet eine Tür, zeigt auf ein Waschbecken und sagt etwas in einer fremden Sprache. Was der tschetschenische Asylwerber mir zeigen will, ist klar: die Einrichtung des Hauses, in dem ich die nächsten Tage verbringen soll. Es ist ein Flüchtlingsheim. Sein Flüchtlingsheim.

„3 Tage fremd“ ist der Name der Aktion, die zeigen will, wie Asylwerber ihren Tag verbringen, wie sie über die Runden kommen. Und das nicht aus der bequemen Sicht des Zuschauers – sondern mittendrin. Als Flüchtling.

Fünf Euro pro Tag. „Ausweis, Unterschrift, das sind die Regeln.“ Ein wenig kafkaesk wirkt die Situation schon. Immerhin steht das Flüchtlingsheim in Kirchschlag bei Linz mittlerweile leer, wurde vor wenigen Tagen aus Kostengründen geschlossen. Der Betreiberverein bekam keine Förderungen mehr. Die Aktion setzt einen Schlusspunkt, ehe das Gebäude von seinem neuen Mieter zu einem Wohnhaus umgebaut wird. Wie auch immer – die zunächst herrschende Vorstellung von kasernenhaftem Drill weicht schnell einer entspannten Sozialarbeiteratmosphäre. „Nein, es gibt keine Verpflichtungen“, sagt Initiatorin Karina Stockhammer, die die Heimleiterin mimt. „Aufstehen kann man, wann man will.“ Auch ein Programm gibt es nicht. Lediglich einen Putzplan. Wer sich an den nicht hält, bekommt nur die Hälfte des Taggeldes. Das wären dann 2,50 Euro. Aber selbst mit dem ganzen Betrag scheint es schwierig, überhaupt durchzukommen. Denn mit den fünf Euro muss auch die Verpflegung bestritten werden – als Selbstversorger.

Verständlich, dass das Tagesprogramm dadurch eher eingeschränkt ist. Zwar fährt ein Postbus alle heiligen Zeiten nach Linz, doch allein der Fahrschein dafür braucht fast das gesamte Budget auf. Und selbst wenn der Wirt in Kirchschlag geöffnet hätte, würde ein Bier – geschweige denn eine Mahlzeit – den finanziellen Rahmen bei Weitem sprengen. Und so lernt die Gruppe von 15 Freiwilligen recht schnell, dass die Hauptbeschäftigung eines Asylwerbers vor allem daraus besteht, die Zeit totzuschlagen. Wie in „Big Brother“, nur ohne Kameras. Und ähnlich wie in der Containershow beginnt der erste Abend damit, dass sich die Teilnehmer im Aufenthaltsraum beschnuppern, über sich erzählen, und warum sie bei der Aktion mitmachen.

30 Menschen wohnten zuletzt hier: Tschetschenen, Somalier, Mongolen, Männer, Frauen, Kinder. Ein Gemisch, das um einiges weniger homogen ist als die 15 Österreicher, die jetzt um den Tisch sitzen. Man hat denselben kulturellen Hintergrund, versteht einander – und hat die Gewissheit, dass die Aktion in einigen Tagen beendet sein wird. Ein Gefühl, das Asylwerbern fremd sein muss. Sie wissen nicht, wie lange sie bleiben werden. Sie können nachher nicht einfach nach Hause fahren und sich an ein paar Tage in den Bergen erinnern. Über ihnen schwebt ständig das Damoklesschwert eines negativen Asylbescheids.

Fast stellt sich deswegen ein schlechtes Gewissen ein, dass wir alle hier gerade einmal eine Art Schullandwoche machen – wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Kein heißes Wasser in der Dusche etwa. „Das Wasser war immer schon kalt“, sagt Selim, der im Rahmen des Projekts die Rolle eines Zivildieners im Heim spielt, lachend, als am Morgen ein paar über die Kälte in den Zimmern klagen.

Doch das größte Problem ist die Langeweile, das Gefühl, einfach nichts tun zu können. Nichts tun zu dürfen. Abwechslung bringen die wenigen Fixpunkte des Tages – wie die Mahlzeiten. Und das Einkaufen natürlich, das erstaunlich gut funktioniert, weil alle ihr Tagesgeld zusammengelegt haben. Damit lassen sich beim Diskonter im Nachbarort einige Großpackungen kaufen – Reis, Nudeln, Suppenwürfel, Kaffee. Natürlich, einige Kunden schauen etwas erstaunt. Doch auf den zweiten Blick wissen sie, wer hier gerade seine Vorräte auffüllt – die Asylwerber aus dem Heim. Erkennbar an eigens für die Aktion angefertigten T-Shirts, auf denen in rosa Lettern „Fremder“ prangt. Und wieder regt sich das schlechte Gewissen, immerhin können wir die Leibchen ja jederzeit ablegen. Ein somalischer Asylwerber wird diese Blicke wohl länger – und weitaus intensiver – aushalten müssen.


Gegen das Nichtstun. Es sind ähnliche Blicke, die uns auch bei einem jener Programmpunkte begegnen, die Abwechslung in den Flüchtlingsalltag bringen: gemeinnütziger Arbeit im Dorf. Mit Besen und Schaufeln ausgestattet, säubern wir die Gehsteige rund um Kirche und Gemeindeamt vom Streusplitt. Nein, die Blicke sind nicht unbedingt böse. Viele plaudern darüber, wie gut es mit den Asylwerbern aus dem Heim gelaufen ist, zeigen sich dankbar für die Arbeit und bringen sogar kleine Geschenke – ein Sackerl „Mohnflesserln“. Vier Euro pro Stunde bekommen die Asylwerber danach für die Arbeit. Geld, das den Alltag etwas leichter macht. Viel mehr geht nicht, denn Arbeitsbewilligungen für andere Jobs gibt es so gut wie nie. Und doch ist man dankbar, schließlich lassen sich so die langen Stunden der Untätigkeit vertreiben, stellt sich zumindest ein wenig das Gefühl ein, etwas geleistet zu haben.

Doch nicht bei allen Bewohnern von Kirchschlag ist eine positive Grundhaltung zu spüren. Viele waren dagegen, als das alte Erholungsheim für Gehörlose 2005 zum Flüchtlingsheim umfunktioniert wurde. Und auch wenn die Ängste vieler nicht bestätigt wurden, hört man bei manchen eine gewisse Zufriedenheit heraus, dass das Kapitel nun beendet ist. „Wir haben damals eine Alarmanlage installiert“, erzählt eine Frau. „Wer zahlt uns das?“ Ob seit Eröffnung des Heims bei ihr etwas vorgefallen sei? Nein, das nicht. Bei der Polizei heißt es, dass kaum etwas passiert sei. „Aber“, so die Dame, „es wird ja alles vertuscht.“ Zu uns ist sie freundlich – trotz der T-Shirts, die uns als Asylwerber ausweisen.


Ausgeliefert. Das, so stellt sich nach und nach heraus, ist wohl das große Manko der Aktion: Man mag zwar besser verstehen, unter welchen Bedingungen Asylwerber leben, unter welcher psychischer Belastung sie schon allein wegen der teils widrigen Bedingungen im Heim, der Enge, der finanziellen Knappheit und der Langeweile leben. Doch nie lässt sich das Gefühl der Fremdheit, des Ausgeliefertseins an ein System, das man nicht kennt und nicht versteht, so verinnerlichen, wie es ein Flüchtling erlebt. Wenn Selim also über seine Erfahrungen spricht – nicht auf Tschetschenisch oder Russisch, sondern auf Deutsch –, werde ich wahrscheinlich trotz des Aufenthalts im Heim resignierend eingestehen müssen: Ich verstehe kein Wort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2009)

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