Servitenviertel: Das kleine Dorf in der Stadt

Gasthaus Rebhuhn
Gasthaus Rebhuhn(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Das Servitenviertel ist nicht weit von der Innenstadt entfernt und fühlt sich doch schon an wie Vorstadt. Ein Cityguide mit einer, die hier arbeitet, der Buchhändlerin Rotraut Schöberl.

Es ist wie ein Dorf mitten in der Stadt, das Servitenviertel. Nur einige Gehminuten von der Innenstadt entfernt liegt es, begrenzt von zwei Hauptverkehrsadern der Stadt, dem Ring und der Rossauer Lände, und unweit vom Donaukanal. So nah es dem Zentrum ist, so wenig großstädtisches Flair hat dieser Teil vom Alsergrund.

Das Dorf in der Stadt lebt von seinen Bewohnern, den vielen Psychoanalytikern, die hier wie ihr Vorbild Sigmund Freud (Museum, Bergg.19, So: 9–17 Uhr) ihre Praxis eröffnet haben. Es lebt von den vielen Theatern, wie dem Schauspielhaus oder dem Theater am Alsergrund, das der Kabarettist Josef Hader jüngst vor dem Untergang gerettet hat. Es lebt von den vielen Lokalen und den kleinen Geschäften, darunter überdurchschnittlich viele Blumenläden.

Rotraut Schöberl hat 1993 ihre erste Buchhandlung, das Leporello, an der Ecke Liechtensteinstraße/Berggasse eröffnet. „Weil ich in der Nähe der Uni sein wollte, und den ersten Bezirk konnte ich mir damals nicht leisten“, sagt sie. Die Buchhändlerin mit der Hochsteckfrisur und der roten Brille wohnt zwar in Altmannsdorf, das Viertel rund um ihre Buchhandlung begreift sie aber längst als zweiten Lebensraum. Sie weiß, welche Autoren hier wohnen, und zeigt beim Spaziergang auf die Häuser: „Da wohnt der Ilja Trojanow, daneben der Udo Samel.“ In der Mittagspause dreht sie ihre Runden, besucht bekannte Geschäftsbesitzer wie den Optiker Waluna (Porzellangasse 12) oder macht eine kurze Pause in der „Zweigstelle“ (Porzellang.49), dem Blumengeschäft mit den ausgefallenen Arrangements.

Schon am Weg von der Berggasse hinunter in Richtung Porzellangasse, vorbei am Seifengeschäft Savanna, begegnet sie Stammkunden und Nachbarn wie dem Kabarettisten Gunkl und der Schauspielerin Birgit Doll. Das Gasthaus Rebhuhn „mit dem phänomenalen Innenhof und dem wirklich guten, billigen Essen“ nennt sie „einen Kulturtreffpunkt im Bezirk“.

Das Viertel würde aber auch von noch etwas besonders profitieren, sagt Schöberl: vom Lycée Français, der französischen Schule. „In keinem anderen Teil der Stadt hörst du so viel Französisch.“

Ein Geheimtipp für Theatergeher ist (noch) das kleine Kabinetttheater. In einem Innenhof in der Porzellangasse 49 liegt es gut versteckt, die Fassade ist im Sommer tief begrünt. Julia Reichert, die Inhaberin des Theaters, hat die Räumlichkeiten der ehemaligen Porzellanmanufaktur hergerichtet. Jetzt wohnt und arbeitet sie in dem riesigen Loft, spielt viermal im Jahr (Termine: 5. bis 9. Mai, 13. bis 15. Mai. Am Spielplan stehen: „Neue Minidramen“) mit ihren selbst gefertigten Puppen für maximal vierzig Gäste. Danach wird gekocht. Rotraut Schöberl ist eine enge Freundin, die alte Puppenoma, „Frau Elise“, die am Esstisch sitzt, wird von Schöberl freundlich begrüßt.
Jüdischer Alsergrund. Das Servitenviertel ist vor allem auch ein jüdisches. Der kleine jüdische Friedhof, der nur über den Eingang des Pensionistenheims in der Seegasse 9 zugänglich ist, ist kaum einem Touristen und auch den wenigsten Wienern bekannt. In der Servitengasse erinnern gleich zwei (erst vor wenigen Jahren angebrachte) Gedenktafeln an die 1938 vertriebenen Bewohner.

Der Kern des Viertels ist die Servitenkirche. „Alles führt dorthin.“ Auf dem Kirchenplatz haben die Lokale, wie das Café Bürger und der Ägypter „Luxor“, schon ihre Tische und Stühle aufgestellt. „Nur wird hier nicht darüber geredet. Das ist eben nicht der Spittelberg.“ Auch in der Servitengasse reiht sich ein Lokal ans andere, wie die Serviette (So: ab 18 Uhr) oder La Pasteria.

Den ersten Bezirk, den sie sich vor 15 Jahren noch nicht leisten konnte, wird sich Schöberl jetzt bald ebenso erobern wie das Servitenviertel. Seit dieser Woche ist es fix: Das Leporello eröffnet im Mai neben dem Stephansdom sein drittes Geschäft (Ecke Singerstr./Kurhausstr.). Dann zieht sie also wirklich vom Dorf in die Stadt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.