Recycling: Kapitulation vor dem Müllberg

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Nachdem die neue EU-Kommission eine Initiative zur Kreislaufwirtschaft gestoppt hat, warnen Experten vor negativen Folgen für die Umwelt und bei der Rohstoffabhängigkeit.

Wien/Brüssel. „Europa bleibt weit von einer Kreislaufwirtschaft entfernt“, kritisiert ein aktueller Bericht der EU-Umweltagentur (EEA). Noch immer wird ein Großteil (58,7%) des Siedlungsabfalls nicht recycelt. Statt dass man die Materialien in die Produktion zurückführt, werden sie verbrannt oder auf Mülldeponien gelagert. Insgesamt nimmt das Abfallvolumen in der Union weiter zu (siehe Grafik). Zwar ist in einzelnen Ländern wie Deutschland und Österreich die Recyclingquote mittlerweile sehr hoch, doch spitzt sich EU-weit das Umweltproblem durch wachsende Deponien zu. Gleichzeitig wird die Chance, die Rohstoffabhängigkeit der EU zu reduzieren, nicht genutzt.

Dass die neue EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker die Pläne für eine Kreislaufwirtschaft vorerst ad acta gelegt hat, irritiert auch den Präsidenten des Verbands österreichischer Entsorgungsbetriebe, Hans Roth. „Das war eine kurzsichtige Entscheidung.“ Das langfristige Ziel, den nicht verwertbaren Müll auf null zu reduzieren, hätte laut Roth europaweit hunderttausende Arbeitsplätze geschaffen und die CO2-Bilanz deutlich verbessert. Vor allem aber hätte sich die EU ausreichend eigene Rohstoffressourcen für ihre Wirtschaft gesichert.

Die Pläne zur Kreislaufwirtschaft wurden von der Barroso-Kommission entwickelt, sind aber der Entbürokratisierungsinitiative der neuen Kommission zum Opfer gefallen. Obwohl der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, nach heftigen Protesten im Europaparlament eine „ehrgeizigere“ Version des Gesetzesentwurfs angekündigt hat, ist bisher kein neuer Vorstoß unternommen worden. Die Kommission habe derzeit andere Prioritäten, hieß es auf Anfrage der „Presse“ – allen voran die Ankurbelung der Wirtschaft. Der ehemalige Entwurf hatte einen Zeitplan für die vollkommene Eliminierung des nicht verwertbaren Mülls vorgesehen und alle EU-Regierungen, die Unternehmen, aber auch die Verbraucher in die Pflicht genommen.

Wird 2020-Ziel verfehlt?

Die EU-Umweltagentur fürchtet mittlerweile, dass die EU-Mitgliedstaaten das vereinbarte Ziel, die Recyclingrate von Siedlungsabfällen bis 2020 auf 50 Prozent zu heben, verfehlen werden. Derzeit würden nur 41 Prozent dieses Mülls wiederverwertet. Obwohl insgesamt die Recyclingquote steigt, gibt es in einzelnen Ländern– darunter auch beim ehemaligen Musterschüler Österreich – einen Rückschritt. Die Recyclingquote fiel seit 2008 von 63,2 Prozent auf 59,4 Prozent zurück. Ein Grund für diese Entwicklung sind laut dem EEA-Bericht „Kapazitätsüberhänge bei Verbrennungsanlagen“.

Um die Recyclingquote EU-weit auf 50 Prozent zu heben, müssten die EU-Mitgliedstaaten laut der Umweltagentur „beträchtliche Anstrengungen“ unternehmen. „Die Abfallwirtschaft muss radikal überarbeitet werden“, empfehlen die EEA-Experten. Doch die EU-Kommission setzt vorerst auf Zeit. Angesichts von sinkenden Rohstoffpreisen – vor allem bei Öl – ist auch bei den Unternehmen der Ehrgeiz gesunken, die Produktion auf recyclingfähige Materialien umzustellen. Widerstand gegen verpflichtende Recyclingziele und Abfallauflagen kommt denn auch von der Industrie. Sie fürchtet, dass die notwendigen Investitionen einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz in Asien verursachen würden. „Allerdings denken nicht alle Unternehmen so“, betont Roth. Der Chef des Entsorgungsbetriebs Saubermacher nennt den Autozulieferer Magna als positives Beispiel.

Stahl großteils wiederverwertet

Es ist eine Frage des Weitblicks: Einzelne Branchen profitieren bereits seit Jahrzehnten von wiedergewonnenen Rohstoffen. In der Stahlproduktion werden in der EU beispielsweise bereits 56 Prozent des Rohstoffs durch recyceltes Material gedeckt. Gleiches wäre in allen Sektoren der Kunststoffindustrie und vielen anderen rohstoffintensiven Produktionen möglich.

LEXIKON

Kreislaufwirtschaft. Ziel ist die Wiederverwertung aller in der Produktion verwendeten Materialien. Die eingesetzten Rohstoffe sollen über den Lebenszyklus einer Ware hinaus wieder vollständig in den Produktionsprozess zurückgeführt werden. Voraussetzung dafür ist der Einsatz von recyclingfähigem Material in der Herstellung und eine konsequente Abfallwirtschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2015)

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