ÖBB-Chef Kern: "Man kann hier nichts in Ruhe machen"

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ÖBB-Chef Christian Kern über Gerüchte in und außerhalb des Konzerns, seine Bilanz nach fünf Jahren und neue Bus-Konkurrenz.

Die Presse: Bei Ihrem Antritt 2010 wollten Sie in fünf Jahren da sein, wo die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB, Anm.) sind. Bei den jüngsten Zahlen aus 2013 hatten die SBB geringere staatliche Zuschüsse und einen doppelt so hohen Gewinn. Haben Sie zu viel versprochen?

Christian Kern: Nein. Die Wahrheit ist, dass wir die einzige Bahn Europas sind, die die Infrastruktur und Finanzierung in den Büchern hat. Im Personenverkehr würde ich auch gern mit der Schweiz tauschen, denn da erhalten wir weniger staatliche Mittel. Im Güterverkehr sind wir profitabler. Wir haben weniger Mitarbeiter pro Streckenkilometer. Wir sind die einzige Bahn Europas, die seit 2010 rückläufige Gesamtaufwendungen hat.


Sie haben damals konkret einen Gewinn von 200 Millionen Euro im Jahr 2015 genannt. Wird sich das ausgehen?

Ja, das wird sich ausgehen.


Könnten die ÖBB in ihrer heutigen Form die vollständige Liberalisierung der Bahn 2017 schon überleben?

Wir haben die Situation im Güterverkehr schon heute. 2014 ist es uns dort erstmals gelungen, die Kapitalkosten zu verdienen. Aber wir müssen mit den Gewinnen von heute die Schulden der Vergangenheit mitfinanzieren. Beim Personenverkehr kommt der Wettbewerb sicher nicht 2017. Wir werden länger Zeit haben – und das ist für Österreich auch positiv.


Warum?

Größte Herausforderung sind geerbte Strukturen und Kosten. Die ÖBB sind auf hundert Prozent Marktanteil ausgerichtet. Wir müssen also Verwaltungskosten einsparen. Auch die Personalstruktur ist eine Herausforderung. Das typische Alter eines ÖBB-Zugbegleiters liegt bei 52 Jahren, bei der Westbahn GmbH unter 30 Jahren. Hier gibt es drei Möglichkeiten: Wir halten die Mitarbeiter, rationalisieren, und es gibt eine Übergangszeit. Oder sie werden in die Frühpension oder Arbeitslosigkeit gedrängt. Billiger wird das für die Volkswirtschaft nicht.


Was ist denn heute das größere Problem der ÖBB – die Zahlen in den Bilanzen oder das Image?

Ich bin mit beidem zufrieden.


Viele denken bei ÖBB aber an Milliardenkosten, Frühpensionierungen und Postenschacher.

Das ist ein Echo der Vergangenheit, das man nicht ignorieren kann. Aber es hat sich vieles verändert. Uns ist gute Reputation wichtig, um als Arbeitgeber für gute Leute attraktiv zu sein. Es gibt zu denken, wenn im Jahr über dein Unternehmen 25.000 Zeitungsartikel erscheinen. Wenn bei uns im kleinen Walsertal ein Dackel angefahren wird und der Postbuslenker sich geweigert hat, Mund-zu-Mund-Beatmung zu machen, stehen wir in der Zeitung. Das ist einer der großen Unterschiede zwischen ÖBB-Chef und anderen Managementfunktionen. Man kann hier nichts in Ruhe machen, nichts vorbereiten, ohne dass es lanciert würde.


Apropos Gerüchte: Es heißt, Sie haben Ihre Schwägerin zur Kommunikationschefin der Rail Cargo Austria gemacht. Stimmt das?

Das ist Unsinn. Die Kollegin heißt Steinberger wie meine Frau, steht aber in keinem Verwandtschaftsverhältnis. Es ist eine zufällige Namenskoinzidenz. Bei den ÖBB hängt dir offenbar immer jemand am Wadl.


Noch ein Gerücht: Sie wurden als OMV-Chef gehandelt. Wie sieht es damit aus?

Ich bin Chef der ÖBB. Wir haben zur OMV eine professionelle Kunden- und Lieferantenbeziehung. Darüber hinaus gibt es für mich nichts zu sagen – und auch nichts nachzudenken. Ich habe schon überlegt was man tun muss, um die Gerüchte zu stoppen. Sinnlos.


Das nächste Jobangebot, das kolportiert wurde, war gleich der Kanzler. Werden wir Sie irgendwann wählen können?

Ja, wenn Sie Aufsichtsratsmitglied der ÖBB werden, hoffe ich, dass Sie mich als Vorstandsvorsitzenden wählen.


Berührungsängste mit der Politik haben Sie als Chef des größten Staatsbetriebs aber nicht.

Die ÖBB sind ein Unternehmen, das auch politische Aufgaben zu erfüllen hat. Ich stehe auch dazu und halte das für wichtig. Das Tückische ist nur, wenn man sich hinter dem gesellschaftlichen Auftrag versteckt und vergisst, dass es ein Unternehmen ist. Darum bläuen wir unseren Führungskräften immer wieder ein: Wir sind ein Unternehmen und müssen entscheiden und denken wie ein Unternehmen. Dann können wir uns erlauben, gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Heute ist die ÖBB unpolitischer denn je. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Wir sind die unpolitischste Staatsbahn.

Die überalterte Bahn, hoher Kapitalbedarf, neue Rivalen. Was ist die größte Gefahr?

Spannend ist das Thema Fernbusse. Durch Digitalisierung und neue Angebote hat die Deutsche Bahn im Vorjahr 150 Millionen Euro verloren.


Erwarten Sie einen solchen Bus-Boom auch in Österreich?

Es wird nicht so stattfinden wie in Deutschland, weil die Bahn bei uns viel günstiger ist und das Preisgefälle nicht so groß. Aber die Vollkosten des Busses sind 20 Prozent dessen, was ein Intercity-Zug kostet. Das heißt, wenn wir keine Finanzierungskosten, keine Personalkosten hätten und die Züge mit Geisterhand fahren würden, hätten wir erst das Vollkostenniveau des Busses. Den Wettbewerb kann die Bahn nicht über den Preis gewinnen. Für uns ist der Fernbus die größere Gefahr, als es die Westbahn GmbH sein wird.


Verliert die Bahn, eine Technologie des 19. Jahrhunderts, gegen das 21. Jahrhundert?

Sicher nicht. Wir wurden schon schlanker und stärker. Jetzt müssen wir schneller und einfacher werden.


Eine Zahl hat sich auch in Ihrer Zeit verschlechtert: Die Zuschüsse des Bundes für die Infrastruktur sind gestiegen.

Ist das eine Verschlechterung?


Für den Steuerzahler schon.

Ich bestreite das in aller Vehemenz. Ja, die Zahlungen für die Infrastruktur sind gestiegen, weil wir in den Ausbau der Bahn investiert haben. Diese von den ÖBB vorfinanzierten Bauprojekte zahlt der Bund 75 Jahre in Raten ab. Diese Investitionen führen zu höherem Wirtschaftswachstum. Sie lohnen sich nicht nur für die Bahn, sondern für jeden Steuerzahler.


Laut Eurostat werden die Infrastrukturschulden der ÖBB jetzt den Staatsschulden zugerechnet. Sollte man das Netz nicht gleich komplett von der Bahn trennen?

Wenn die Finanzierungsseite nicht in unseren Büchern stünde, wäre das für uns schön. Für die Steuerzahler nur Kosmetik.


Und eine richtige Trennung in Infrastruktur und Betrieb? Sie kommen aus der Energiebranche, in der das passiert ist.

Ich war Netz-Vorstand beim Verbund, als das umgesetzt wurde. Am Ende dieser Übung hatten wir keinen einzigen Kunden mehr, keinen einzigen Cent billigere Preise. Was wir hatten: 50 Milionen Euro höhere Kosten für Controlling, Rechnungswesen, IT, etc. Die ganze Übung war ein Schlag ins Wasser. Wenn man das trennt, ist es mit Pünktlichkeit und Effizienzsteigerungen in der Infrastruktur vorbei. Ohne Marktdruck kann man dort nicht rationalisieren.


Ihre Konkurrenz profitiert nicht vom Marktdruck auf der ÖBB-Infrastruktur. Für sie sind die Gebühren gestiegen.

Lassen wir die Kirche im Dorf. Der Steuerzahler subventioniert die Westbahn GmbH mit 32 Millionen Euro im Jahr, weil wir keine Vollkosten verrechnen können. Eigentlich müsste die Schienenmaut für die Westbahn um 32 Millionen Euro höher sein. Ich verstehe, dass sie klagen. Aber wir sind nicht für jedes Problem dort zuständig.

Zur Person

Christian Kern ist seit Juni 2010 Vorstandsvorsitzender der ÖBB. Zuvor saß der 49-Jährige im Vorstand des Stromkonzerns Verbund, wo er für das internationale Geschäft verantwortlich war. Seine Karriere begann Kern als Wirtschaftsjournalist, danach arbeitete er als Pressesprecher des damaligen SPÖ-Klubobmanns, Peter Kostelka.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2015)

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