970.000 funktionale Analphabeten

Mit 42 Jahren hat Koni sein Ziel erreicht: Berufsausbildung.
Mit 42 Jahren hat Koni sein Ziel erreicht: Berufsausbildung. (c) Stadtkino
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Bei der Lesekompetenz liegt Österreich laut der PIAAC-Studie unter dem OECD-Durchschnitt.

Fast eine Million Österreicher und Österreicherinnen im Alter von 16 bis 65 Jahren können nur völlig unzureichend lesen und schreiben. Somit sind 17,1 Prozent funktionale Analphabeten. Das ergab die PIAAC-Studie 2013 (Programme for the International Assessment of Adult Competencies). Damit liegt Österreich bei der Lesekompetenz unter dem Durchschnitt jener OECD-Länder, die an dem internationalen Vergleich teilgenommen haben. 100.000 konnten mangels Lese- und Schreibfähigkeit an der Studie gar nicht teilnehmen.

Analphabetismus in diesem Sinn darf man sich allerdings nicht so vorstellen, dass die davon betroffenen Personen überhaupt nicht lesen oder schreiben können. Nach Auskunft von Astrid Klopf-Kellerer von der Initiative Erwachsenenbildung im Bereich Basisbildung der Volkshochschulen können Buchstaben, einzelne Wörter und kurze Sätze sehr wohl erfasst, ganze Textstellen aber nicht verstanden werden. Komplizierte Schreiben oder Behördenbriefe schon gar nicht.

Die Auswirkungen auf das weitere Leben im Alltag sind dramatisch: negative Schulerfahrungen, Diskriminierung, Scham, Geheimhaltung, Täuschung, Minderwertigkeitsgefühl. Von der Unfähigkeit zu lesen und zu schreiben darf niemand erfahren, oft nicht einmal die eigene Familie.

Die alles entscheidende Frage in diesem Zusammenhang aber ist: Wie kann es sein, dass Jugendliche aus dem Pflichtschulsystem überhaupt ohne ausreichende Lese- und Schreibfähigkeit entlassen werden können? Experten der Erwachsenenbildung beantworten sie so: Im derzeitigen Schulsystem sei eine ausreichende Förderung aller betroffener Schüler nicht vorgesehen. Entweder würden die individuellen Bedürfnisse und Schwächen gar nicht verstanden bzw. erkannt oder es fehlten die Ressourcen für individuelle Betreuung. Vernachlässigungen durch das Elternhaus könnten auch nicht in jedem Fall ausgeglichen werden. Und weiter: „Es ist schwierig, aus einem Kreis an negativen Schulerfahrungen auszubrechen. Da bedarf es bei vielen ein Mehr an Aufmerksamkeit, Wohlwollen und Unterstützung.“

Dies kann durch entsprechende Kurse in der Erwachsenenbildung gewährleistet werden. Wie Betroffene davon erfahren können, wenn sie gar nicht lesen können, ist eine gesellschaftliche Herausforderung – für die Familie, Freunde, Arbeitgeber, Kollegen und Behörden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2015)

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