Bangen um österreichische IS-Geisel in Libyen

(c) REUTERS (GORAN TOMASEVIC)
  • Drucken

Laut Augenzeugen haben Jihadisten der Terrormiliz IS die neun internationalen Angestellten des libyschen Ölfelds al-Ghani lebend in Fahrzeugen verschleppt, darunter den 39-jährigen oberösterreichischen Manager der Anlage.

Kairo/Wien/Tripolis. Die Befürchtung ist nun bittere Gewissheit: Der 39-jährige oberösterreichische Manager des libyschen Erdölfelds al-Ghani und acht seiner internationalen Mitarbeiter befinden sich in der Gewalt der Terrormiliz IS. Das hat das Außenamt in Wien am Montag bestätigt. Es gebe gesicherte Informationen, dass die Geiseln lebend verschleppt und mit mehreren Fahrzeugen Richtung Norden gebracht worden seien.

Woher die Informationen stammen, wollte der Sprecher des Ministeriums nicht preisgeben. Doch es liegt auf der Hand: Es muss am Freitag Augenzeugen gegeben haben, wahrscheinlich unter den Arbeitern des Ölfelds, die sich während des Angriffes versteckt hatten. Mit den Wächtern machten die Jihadisten kurzen Prozess, sie erschossen sieben und köpften vier.

Bei den neun Entführten handelt es sich neben dem Österreicher um vier Filipinos, einen Tschechen, einen Sudanesen, einen Bangladeschi, einen Ghanaer. Deren Schicksal ist weiterhin unbekannt. Es gibt, so das österreichische Außenamt, „weder ein Lebenszeichen noch einen Todesbeweis“.

Seit Freitag tagt am Wiener Minoritenplatz fast permanent ein Krisenstab, den Generalsekretär Michael Linhart leitet. Das Team hat versucht, ein Informationsnetz mit ausländischen Nachrichtendiensten aufzuspannen. Einen für Mittwoch geplanten Besuch in Paris sagte Außenminister Sebastian Kurz ab. Man rechnet offenbar mit dem Schlimmsten.

IS-Terrormilizen in Sirte umstellt

Laut Einschätzung des Krisenstabs könnte die gleiche IS-Formation für die Entführung verantwortlich sein, die knapp vor Jahreswechsel 21 christlich-koptische ägyptische Gastarbeiter verschleppt und dann im Februar an einem Strand vor laufender Kamera geköpft hatte. Die Gruppierung stammt aus Sirte. In der Geburtsstadt des gestürzten Diktators, Muammar al-Gaddafi, hat einen wilde Mischung aus ehemaligen Gaddafi-Getreuen und militanten Islamisten die Kontrolle übernommen. Es ist nahezu unmöglich, sich einen Überblick zu verschaffen, wer hier unter welchem Kommando operiert und ob es sich um Vertreter des alten Regimes oder militante Islamisten handelt.

Doch die Terrormiliz IS kann in Sirte nicht mehr so ungehindert agieren wie noch vor zwei Monaten. Die Hafenstadt ist nun von al-Fajr-Milizen umstellt, die aus Misrata stammen und unter dem Kommando der moderaten Islamisten stehen, die Tripolis und das dortige Parlament beherrschen. International anerkannt ist die Regierung, die im Osten Zuflucht gefunden hat, in Tobruk. Deren Schutzherr ist General Khalifa Haftar, den auch Ägypten unterstützt.

(C) DiePresse

Warum war al-Ghani kaum bewacht?

Aus der aktuellen Situation rund um Sirte ergeben sich zwei Möglichkeiten: Entweder haben die Entführer den Angriff auf das Ölfeld al-Ghani von langer Hand geplant und Sirte schon vor längerer Zeit verlassen, oder sie stammen aus einem anderen Ort. In jedem Fall dürfte es für sie schwierig sein, ihre Geiseln in das belagerte Sirte zu bringen. Genau dort lag die Hoffnung für den Oberösterreicher und seine Leidensgenossen: Am Montag kursierten Spekulationen, die Geiseln könnten als Faustpfand dienen, um einen Angriff auf IS-Stellungen zu stoppen.

Bemerkenswert ist, wie schwach al-Ghani bewacht war. Immerhin handelt es sich um ein Ölfeld, in dem bis zu zehn Prozent des derzeitigen libyschen Öls produziert werden. Außerdem war es nicht der erste Angriff des IS auf ein Ölfeld in Libyen. Mit derartigen Attacken hatten die Jihadisten zuletzt immer das Ziel verfolgt, Ölanlagen zu zu zerstören, um gegnerischen Milizen die Ressourcen zu entziehen. Halten wollten sie die Ölfelder nie. Sie zogen sich stets schnell wieder zurück. War die Verschleppung der ausländischen Angestellten auf dem Ölfeld al-Ghani geplant? Oder war es eine spontane Geiselnahme? Das wiederum hieße, dass die Jihadisten vielleicht gar keinen Plan für den Umgang mit den Entführten haben.

Kurz vor dem Angriff auf das al-Ghani-Feld haben die IS-Jihadisten das Mabaruk-Feld überrannt, das ebenfalls in der Sirte-Ebene liegt. Dabei sind die Tanks, der Kontrollraum und die Bohrplattform des französisch-libyschen Feldes devastiert worden. Sie bleiben auf unbestimmte Zeit irreparabel. Ein Sprecher der Libya National Oil Co. sagte dazu, es sei derzeit unmöglich zu sagen, wann die Produktion wieder aufgenommen werden könne. Die Firma hat damals alle ihre Mitarbeiter abgezogen. Umso verwunderlicher ist, dass in al-Ghani die österreichische Betreiberfirma Vaos augenscheinlich keine besonderen Vorkehrungen gegen einen solchen Angriff getroffen hat. Das Ölfeld al-Ghani stand unter der Aufsicht der Milizen General Khalifa Haftars. Offensichtlich sind dessen Milizen so stark mit der direkten Konfrontation mit den Rivalen der al-Fajr-Milizen („Morgenröte“-Milizen) und den IS-Kämpfern an der Küste beschäftigt, dass nicht genug Männer zur Verfügung stehen, die entlegenen Ölanlagen im Landesinneren adäquat zu beschützen.

Interessant ist auch der Hintergrund der österreichischen Firma Vaos. Sie ist eine ehemalige Tochter der Voestalpine, die in der libyschen Stadt Misrata unter Gaddafi ein großes Stahlwerk gebaut hat. Vaos hängt vom Libyen-Geschäft ab, wohl der Hauptgrund, warum die Firma dort als eine der letzten Ölservice-Firmen tätig ist. Wahrscheinlich mit entsprechenden Gewinnmargen. Beim zweiten österreichischen Unternehmen, das noch in Libyen aktiv ist, handelt es sich übrigens um den Medizingerätehersteller Vamed, ebenfalls aus der Voest hervorgegangen.

AUF EINEN BLICK

Mitglieder der islamistischen Terrormiliz IS haben am Freitag die Erdölanlage al-Ghani südlich der libyschen Hafenstadt Sirte angegriffen. Die Jihidasten mähten das Wachpersonal nieder. Sieben Wächter wurden erschossen, vier geköpft. Danach entführten die Jihadisten insgesamt neun

internationale Angestellte, darunter den 39-jährigen oberösterreichischen Manager der Anlage. Einigen der Arbeiter gelang es, sich während des Angriffs zu verstecken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Libyen versinkt im Bürgerkrieg. Zwischen die Fronten geriet auch ein Oberösterreicher, der vom IS entführt wurde.
Außenpolitik

Bericht: IS verlangt 500.000 Dollar für Linzer Geisel

Der 39-jährige Linzer geriet in Libyen in die Hände des IS. Bei Verhandlungen sollen die Jihadisten nun Geld gefordert haben. Das Außenministerium dementiert.
Außenpolitik

Österreichische Geisel: Ein Fall für die Nachrichtendienste

Staatsschutz und Heeresnachrichtenamt suchen nach Informationen über Verbleib des Österreichers, den der IS entführt hat. Einsatz von Cobra oder Jagdkommando (fast) ausgeschlossen.
Außenpolitik

Die destruktive Ölstrategie der radikalen Islamisten in Libyen

IS-Gruppierungen griffen zuletzt mehrfach Ölanlagen in Libyen an, um sie zu zerstören. Geiselnahmen waren dabei nie ihr primäres Ziel.
Außenpolitik

Syrien: IS-Anführer lassen Aussteiger nicht heimkehren

Exkämpfer wurden bei einem Fluchtversuch erschossen.
IS-Kämpfer auf dem Vormarsch im Osten Libyens.
Außenpolitik

Ehemalige IS-Geisel: "Um Gnade zu bitten, ist dumm"

Der Franzose Nicolas Henin berichtet über seine Gefangenschaft beim "Islamischen Staat". Er erzählt von Jihadisten, die mit „Teletubbies“ und „Game of Thrones“ aufgewachsen sind. Und die trotzdem kein Mitleid kennen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.