Wer befahl die Ermordung Nemzows?

Zaur Dadayev, charged over the killing of Russian opposition figure Boris Nemtsov, stands inside a defendants´ cage at a court building in Moscow
Zaur Dadayev, charged over the killing of Russian opposition figure Boris Nemtsov, stands inside a defendants´ cage at a court building in Moscow(c) REUTERS (TATYANA MAKEYEVA)
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Die fünf Verdächtigen im Mordfall Nemzow kommen aus dem Dunstkreis des Tschetschenenführers Kadyrow. Nemzows Freunde glauben, dass der Kreml falsche Fährten legt.

Moskau. Es war der Tag der Schokoherzen und der Blumen. Russland feierte am Sonntag einen seiner traditionsreichsten und friedvollsten Feiertage, den Frauentag. Nur rund um ein unscheinbares Gebäude in Moskaus Nordosten ging es martialisch zu: Hinter Polizeiabsperrungen waren bewaffnete Uniformierte und gepanzerte Fahrzeuge zu sehen. Fünf vermeintliche Schwerverbrecher wurden hier der Haftrichterin vorgeführt. Sie trugen Kapuzenjacken und betraten das Gericht gebückten Haupts durch eine metallene Eingangstür. Die Anschuldigung lautet auf Mord.

Der Anführer der Männer habe, so die Ermittlungen, den Oppositionspolitiker Boris Nemzow auf einer Brücke vor dem Kreml erschossen. Er soll bereits gestanden haben, dass er sich an Nemzow für dessen islamkritische Äußerungen rächen wollte. Die anderen gelten als Mittäter und bekennen sich bisher nicht als schuldig. Ein sechster Verdächtiger habe bei seiner Festnahme im tschetschenischen Grosni eine Granate gezündet und sich dabei tödlich verletzt, hieß es offiziell. Der schnelle Fahndungserfolg soll signalisieren, dass der Kreml mit dem Verbrechen nichts zu tun hat und es unnachgiebig verfolgt.

Ideale Auflösung für Putin

Aber Mitstreiter Nemzows bezweifeln den Willen, den Mord umfassend aufzuklären. Ilja Jaschin, ein Parteigänger und Freund Nemzows, bezeichnete die Islamistenspur als „Unsinn“. Auf Facebook schrieb er: „Unsere schrecklichsten Befürchtungen werden wahr: Der Killer wird zur Rechenschaft gezogen. Die Auftraggeber, die mit staatlicher Macht ausgestattet sind, aber bleiben in Freiheit.“ Die Version eines Mörders, der allein aus religiösen Motiven alles organisiert habe, klinge zu ideal für Putin: Er könne nun als effektiver Führer dargestellt, jede Suche nach Hintermännern könne aufgegeben werden. „Eine solche Version“, schreibt Jaschin, „ist das Ergebnis eines politischen Auftrags des Kreml.“

Die Spur der Ermittler führt in den Nordkaukasus, da alle Beschuldigten von dort stammen. Der vermeintliche Haupttäter, Saur D., war früher stellvertretender Regimentskommandant des Bataillons Nord des Innenministeriums in Tschetschenien und damit ein guter Bekannter des Republikchefs Ramsan Kadyrow. Die Sondereinheiten des Innenministeriums sind unter der Oberhoheit Kadyrows 2006 gebildet worden. Nord ist in Grosni stationiert und wird vom „Helden Russlands“, Alimbek Delimchanow, geführt, dessen Bruder im Moskauer Duma-Parlament sitzt. Kadyrow hat den Hauptbeschuldigten in einer ersten Reaktion als „tiefgläubigen Menschen“ beschrieben, der über die Karikaturen in der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“ entsetzt gewesen sei. Nemzow hatte den Abdruck der Mohammed-Karikaturen verteidigt.

Den Verdächtigen kamen die Ermittler vermutlich über weitere Überwachungskameras unter den Zinnen der Kremlmauer auf die Spur. So ließ sich das Auto, mit dem der Mörder floh, identifizieren und durch die weitere Auswertung von Überwachungskameras auf der Flucht durch die Stadt verfolgen. Dabei wurden Fahrer und Beifahrer im Bild festgehalten.

Zudem ist es plausibel, dass die Behörden weiteres Material zur Verfügung hatten. Denn Nemzow stand vermutlich, zumal knapp zwei Tage vor einer geplanten großen Demonstration der Opposition, unter Überwachung. Die Zeugenaussagen von Geheimdienstlern in Nemzows Nähe können entscheidende Details geliefert haben, zumal seine Beschatter bemerkt haben dürften, dass eine weitere Brigade, die künftigen Mörder, dem Oppositionellen folgte.

In Manier von Auftragsmorden

Die nordkaukasische Spur widerlegt zumindest vorerst die vom staatlich kontrollierten Fernsehen verbreitete Version, hinter dem Mord stünden in Wahrheit ausländische Kräfte. Besonders gern verweisen sie dabei auf die Geheimdienste der USA oder der Ukraine. Ein Twitterer machte sich über die russische Propagandamaschine bereits lustig, indem er schrieb: „Einige faschistische, pro-ukrainische Nazi-Tschetschenen ermordeten Nemzow auf Befehl des CIA.“

Die Unverfrorenheit der Täter ließ an tschetschenische Auftragsmorde denken, mit denen früher Gegner Kadyrows auf offener Straße in Katar oder in Moskau umgebracht wurden. Die Tatsache, dass fünf der sechs Verdächtigen lebend gefasst wurden, lässt auf wahrhaftige Aufklärung hoffen. In anderen spektakulären Fällen haben gesuchte Terroristen und Islamisten ihre Verhaftung oft nicht überlebt.

Das Misstrauen gegenüber der Staatsanwaltschaft bleibt pathologisch hoch. „Wir kennen zu viele Geschichten“, schrieb ein Blogger, „als sie öffentlich logen, Unschuldigen Verbrechen anhängten, Beweise fälschten und Geständnisse mithilfe unmenschlicher Folter herausprügelten.“ Viele Fragen sind unbeantwortet – warum etwa kurz nach der Tat auch in offiziellen Quellen von Todesschüssen aus einem Auto heraus berichtet wurde. Einige fragen sich, warum auf den Tatortfotos so gut wie kein Blut zu sehen war, obwohl Nemzow von vier Kugeln getroffen wurde – vielleicht schon Stunden früher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2015)

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