Carolina Schutti: „Angst verfolgt mich“

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Die Schriftstellerin Carolina Schutti schreibt über die Ängste in der heutigen Welt. Dem „Schaufenster“ erzählte sie, wie tief ihre eigenen sitzen.

„Eulen fliegen lautlos“ heißt Carolina Schuttis soeben erschienene Novelle, der letzte Teil einer Trilogie über Kindheiten. Das Thema ist für sie nun abgeschlossen, weshalb sie beim Literaturwettbewerb Wartholz schon einen neuen Text vorlas. Ein Gespräch mit der 39-jährigen „Beute-Tirolerin“ in Reichenau über das Vergessen und Erlernen von Sprachen, über Angst und Außenseiter, über Alte und Neue Musik, über die Bibel bei Canetti – und wie das alles zusammenhängt.

Was bedeutet es für Sie, bei einem Literaturwettbewerb wie jenem von Wartholz zu lesen?
Ich liebe das Lesen vor Publikum. Das gehört für mich zum Schreiben dazu. In der Wettbewerbssituation bin ich das erste Mal, bisher habe ich nur bei Einschick-Wettbewerben mitgemacht, oder ich wurde eingeladen, ohne irgendetwas dafür getan zu haben. Was das Schönste ist.


Der Text, den Sie in Wartholz gelesen haben, weicht von Ihrer bisher veröffentlichten Prosa ab. Mein Eindruck war, dass es Ihnen bisher um das Ewigmenschliche ging. Der neue Text hingegen ist verortet in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort.
Er ist zwar verortet, aber wenn man genauer hinschaut, geht es um ein ganz existenzielles Gefühl: nämlich um Angst und was sie mit den Menschen heute macht. Ich könnte den Text ohne große Verluste auch schreiben, ohne die Wörter U-Bahn oder Handy zu verwenden. Doch jetzt ist es mir darum gegangen auszuprobieren, wie es sich mit diesem Gefühl der Angst in der heutigen Welt verhält. 


Angst ist überhaupt ein großes Thema in Ihren Büchern. Was steckt dahinter?
Das ist eine gute Frage. Angst verfolgt mich. Ich ertappe mich dabei, dass es mir um das Gefühl der Ohnmacht geht. Ich spanne dann eine Haut darüber, einen Plot, der immer anders ist. Die Gefühle aber, über die ich schreibe, sind authentisch. In die schlüpfe ich so weit hinein, dass ich eins werde mit den Figuren und versuche, mit deren Augen zu sehen. Ich erkläre zwar nicht, was die Figur denkt, aber über die Art, wie sie die Welt sieht, was sie macht, über kleine Gesten und Bewegungen, auch Gerüche fange ich ihre Emotionen sprachlich ein.


Sie selbst sind in Innsbruck aufgewachsen. Wie kommen Sie zu solchen Außenseiterfiguren wie Maja in Ihrem Roman „Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein“?
Das hat einen autobiografischen Hintergrund. Mein Mädchenname würde vielleicht ein bisschen etwas in diese Richtung verraten. Ich habe als Kind bis zu meinem fünften Lebensjahr ausschließlich Polnisch gesprochen. Mit dem Kindergarteneintritt wurde mir verboten, in dieser Sprache zu sprechen, weil meine Eltern aus guter Absicht heraus gemeint haben: „Lern eine Sprache ordentlich!“ Ich kann mich noch an den Prozess erinnern, bei dem uns mein Vater mit Bildkärtchen versucht hat, Deutsch beizubringen. Danach habe ich meine Muttersprache vergessen.


Es muss ein eigenartiges Gefühl sein, eine Sprache als vertraut zu empfinden, die man nicht versteht.
Ja, das ist ganz eigenartig. Dem versuche ich in diesen drei Büchern nachzugehen, auch den großen Ängsten. Vor der Wende hat meine Familie meine Großeltern in Polen besucht. Da hatten wir im Zug wahnsinnige Angst vor den Soldaten, die einem bei den Grenzkon-trollen mit Taschenlampen ins Gesicht leuchteten. Wir waren klein, ich war vielleicht acht Jahre alt, meine Schwester sieben, und mein Bruder war noch ein Kleinkind. Die Soldaten, die auf dem Waggondach herumtrampeln, meinen Vater aus dem Zug holen, und niemand weiß, was sie von ihm wollen, was überhaupt los ist, ob er wieder einsteigt oder nicht. Dann die Aufforderung meiner Eltern, als wir im Regionalzug zu meiner Großmutter sitzen, den Mund zu halten, niemand durfte hören, dass wir Deutsch sprechen. Diese Ängste sitzen tief. 


Die Muttersprache ist also als Sehnsucht übrig geblieben.
Es ist nicht nur die Sehnsucht, es ist auch eine Erinnerung an Erzählungen aus der frühen Kindheit, die sich mir ins Deutsche übersetzt haben, oder auch an das Beruhigen der Eltern, wenn man krank im Bett liegt, oder alle diese Dinge, die sich als diffuse Erinnerung in einem eingraben. Für mich hat das auch etwas Musikalisches, es sind gar nicht so sehr die Wörter, an die ich mich erinnere, nach denen ich mich manchmal sehne, sondern vielmehr das Wogen und Wiegen der Worte, diese Geborgenheit im Klang der Sprache. 


Das Musikalische Ihrer Sprache ist ohnehin unverkennbar. Sie haben ja auch Konzertgitarre gelernt. Wie wichtig ist Ihnen Rhythmus in der Sprache?
Extrem wichtig. Ich habe zwar Konzertgitarre studiert, aber dann umgesattelt auf Gesang. Ich merke es beim Schreiben, an der Körperhaltung, die ich beim Schreiben einnehme: Wenn ich mich vergesse und richtig in den Schreibprozess eintauche, dann ist plötzlich die Körperhaltung der Sängerin da, die besondere Art des Atmens, die Stütze, der Körper ist aufrecht und gespannt. Für mich ist das eine vom anderen nicht zu trennen.


Innsbruck ist ja nicht nur ein Hort der Alten Musik, sondern beherbergt auch ein paar Komponisten von Gegenwartsmusik, wie etwa Ihren Mann Ralph Schutti. In Ihrem Electric Lute Project versuchen Sie und Ihr Mann, beides zu verbinden.
Das ist etwas ganz Neues und macht uns sehr großen Spaß, vor allem, weil wir die Ersten sind, die so etwas machen. Alte Musik machen wir seit Längerem, wir spielen auf Originalinstrumenten, haben aber immer auch gern mit dem Computer experimentiert, so sind Hörspiele und Klanginstallationen entstanden. Irgendwann sind wir auf die Idee gekommen, neu Komponiertes und neu Getextetes mit den historischen Quellen zusammenbringen, denn nur interpretieren, das war uns zu wenig. 


In Ihrem Debütroman „Wer getragen wird, braucht keine Schuhe“ heißt es einmal, „wer getragen wird, hat einen Träger“. Das klingt für mich ein bisschen biblisch. Sie haben ja über die Bibel bei Canetti dissertiert. Haben die biblischen Geschichten Ihre Literatur beeinflusst?
Weniger die Bibel, aber Canetti war mir ein Lehrmeister, nicht ein Vorbild, dazu fehlt mir die emotionale Tiefe in seinem Werk, aber er war mir ein Lehrmeister. Ich habe da als junge Wissenschaftlerin hineinstechen können, wo ich wollte, und es hat eines zum anderen geführt. Er hat mir gezeigt, was es heißt, handwerklich gut und durchdacht zu arbeiten. 


Hat die Beschäftigung mit der Bibel Ihr Verhältnis zur Religion verändert?
Die Bibel hat mich als literarisches Material interessiert – wie manche Texte die Zeiten überdauern können und sich nicht verbiegen lassen, weil sie nicht verortet sind. Mich hat also interessiert, wie ein Text überdauert, ohne dass man ihn kaputtmachen kann.


Betrachten Sie Polen inzwischen als eine Art zweiter Heimat?
Das wäre zu viel gesagt. Ich war bis auf eine Lesereise seit meiner Jugend nicht mehr dort. Diese Heimat ist abgeschnitten. Heimat ist mehr als Kindheit.

Tipp

Carolina Schutti liest am 16. 3. um 20 Uhr in der Alten Schmiede in Wien.

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