Fall Nemzow: War es doch ein Politauftragsmord?

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Die Ermittlungsergebnisse im Fall des ermordeten Oppositionsführers Boris Nemzow lösen sich in Luft auf.

Moskau. Vor vier Tagen präsentierten die Ermittler im Mordfall des russischen Oppositionsführers Boris Nemzow ihren schnellen Erfolg: fünf Festnahmen, ein geständiger Hauptverdächtiger aus Tschetschenien namens Saur Dadajew, ein Motiv und keine höhergestellten Auftraggeber. Das Gericht nickte die Anschuldigungen bei der Haftprüfung ab. Heute liegt das Ermittlungsergebnis in Fetzen.

Denn Dadajew hat sein Geständnis widerrufen und die Ermittler der Folter bezichtigt. Auch das Motiv trägt nicht mehr. Dadajew soll sich aus religiösen Gründen an Nemzow gerächt haben, da der Politiker sich nach dem islamistischen Attentat auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“ verletzend über den Islam geäußert hat. Doch jetzt wurde bekannt, dass die Gruppe der vermeintlichen Mörder Nemzow schon vor dem Pariser Attentat überwacht hatte. War es also doch ein politischer Auftragsmord?

Eine nordkaukasische Spur stellte schon bei früheren Auftragsmorden eine bequeme Lösung dar: Die Killer schwiegen, wurden verurteilt, die Hintermänner blieben unbekannt. Doch dieses Mal sieht es anders aus: Dadajew ist kein tschetschenischer Kleinkrimineller. Er diente bis zuletzt als stellvertretender Kommandant beim Bataillon des Innenministeriums, Nord, und trug den russischen Orden für Tapferkeit.

Das Bataillon wurde 2006 gebildet und gilt heute als Leibgarde des Republikchefs Ramsan Kadyrow, der für seine Skrupellosigkeit und seine Loyalität gegenüber Präsident Wladimir Putin bekannt ist. Es zählt etwa 700 Mann und trägt eine Fledermaus, grüne Berge und eine Zielscheibe auf seinem Abzeichen. Kommandeur des Bataillons ist der Bruder eines engen Vertrauten Kadyrows.

Der Verlust des islamistischen Motivs verstärkt erneut den Verdacht, dass Dadajew nicht ohne Befehl von oben gehandelt hat. Kaukasus-Experten halten ein eigenmächtiges Handeln der tschetschenischen Elitesoldaten, die für Disziplin und Unterwerfung berühmt sind, für unwahrscheinlich. Nicht zum ersten Mal steht die russische Führung nun vor dem Dilemma, ein Verbrechen mit tschetschenischer Spur aufzuklären oder wie bisher zu demonstrieren, dass die Stabilität Tschetscheniens Vorrang hat. Erst vor einem Monat endete in der Nordkaukasusrepublik Dagestan ein Prozess wegen des Mordversuchs an dem Bürgermeister der Stadt Chasawjurt. Als Auftraggeber gilt ein Berater Kadyrows, der allerdings als unauffindbar gilt. Beobachter vermuten, dass er ungestört in Tschetschenien lebe.

Schlag gegen Kadyrow

Eine Theorie für das Hin- und Her der Ermittlungen konzentriert sich auf Vertreter der russischen Sicherheitsbehörden, denen Kadyrow längst zu eigenmächtig ist. Er wurde sogar schon als Kandidat für eine russische Führungskarriere, vielleicht sogar als Nachfolger Putins, genannt. Zudem gibt es viele Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft oder der Polizei, die sich von Kadyrows Sonderrechten gedemütigt fühlen. Hatten sie Mordfälle aufgeklärt, war ihnen der Weg zu den Verdächtigen in Tschetschenien versperrt. Noch vor zwei Jahren wurden tschetschenische Polizisten, die in Moskau einen Menschen fast zu Tode gequält hatten, kurz nach ihrer Festnahme wieder in ihre Heimat entlassen.

So könnte der Mord an Nemzow einen Kleinkrieg der Vertreter verschiedener Sicherheitskräfte ausgelöst haben. Die Verhaftung Dadajews war in jedem Fall ein Schlag gegen Kadyrow und traf indirekt auch dessen Schutzherrn, Putin. Am 8.März hat Putin Kadyrow mit dem russischen Orden der Ehre ausgezeichnet: Ein Signal dafür, dass der Tschetschenenführer weiterhin unantastbar sei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2015)

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