Erklärer der Moderne und Ehrenwiener

'EHRENBUeRGERURKUNDE DER STADT WIEN' FUeR CARL E. SCHORSKE
'EHRENBUeRGERURKUNDE DER STADT WIEN' FUeR CARL E. SCHORSKE(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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US-Kulturhistoriker Carl E.Schorske, Autor eines maßgeblichen Buchs über das Wiener Fin de Siècle, Ideengeber des IFK in Wien, feiert am Sonntag seinen hundertsten Geburtstag in New Jersey.

Er suchte nach Politik und Vatermord in Freuds „Traumdeutung“; er verglich die Ringstraßenära mit dem viktorianischen Zeitalter; er entdeckte Karl Lueger, Georg von Schönerer und Theodor Herzl als „österreichisches Trio“, (alle drei hätten, schrieb er, als „rebellische Söhne der liberalen Kultur“ das „Vor“ und das „Zurück“ vereint, an eine „archaische Tradition von Gemeinschaft“ geglaubt); er erklärte, wie Klimt (im Fakultätsbild „Jurisprudenz“) den Furien die Macht zurückgab... Die Essays über das Wiener Kulturleben vor und während der Jahrhundertwende, die der US-Kulturwissenschaftler Carl E.Schorske 1980 im Buch „Fin-de-Siècle Vienna“ (auf Deutsch: „Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle“) zusammenfasste, waren nicht nur belesen, sondern auch originell, mutig in den Verbindungen, die Schorske herstellte zwischen Psychoanalyse und Politik, Kunst und Gesellschaft, Lebensgefühl und Literatur. Auch wenn sie natürlich etwas ernsthafter sind, erinnerten sie viele im Timbre an Egon Friedells Kulturgeschichten.

Aus dem Scheitern des Liberalismus sei große Kultur entstanden, aus der politischen Krise die (heute klassische) Moderne, aus dem dekadenten Herbst eines Zeitalters der Frühling (Ver sacrum) der Secession: Das waren drei von Schorskes Thesen, die nicht nur das amerikanische Publikum begeisterten (und wohl dazu beigetragen haben, dass das Leopold-Museum immer so gut besucht ist), sondern auch den Intellektuellen Wiens einen neuen Blick auf ihre Stadt eröffneten. Schorske habe „uns unsere eigene Geschichte nahegebracht“, sagte, nur leicht übertreibend, Bürgermeister Michael Häupl, als er ihn 2012 zum Ehrenbürger ernannte.

Zum heutigen Geistesleben Wiens hat Schorske institutionell als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK) in Wien beigetragen: Von der Gründung (1993) an war dieses Institut von Schorskes humanistischer Kunst der Kulturwissenschaft mindestens genauso inspiriert wie von den vor allem in England auf Populärkultur und Soziologie konzentrierten Cultural Studies. Wer Schorske bei seinen Besuchen in Wien erlebt hat, hat einen freundlichen Herrn in Erinnerung, dem intellektuelle Allüren so fremd waren wie professorale Extrawünsche, mit Ausnahme vielleicht von teeinfreiem Tee. Einmal fuhr er auf eigene Faust mit der Badner Bahn nach Baden, war überrascht, wie lang das dauert, und erklärte seinen Ausflug mit seinen Wurzeln in Baden-Baden. Damals wunderte das manche: Sie hätten geschworen, dass er Wiener Vorfahren habe, so wienerisch wirkte er.

Dabei war der gebürtige New Yorker Schorske erst spät – als „Fin-de Siècle Vienna“ erschien, war er 65 – und eher zufällig auf Wien als Forschungsobjekt gekommen. Davor hatte er sechs Jahre lang in Princeton ein „Programme in European Cultural Studies“ geleitet und z.B. über „The Problems of Germany“ und die „große Spaltung“ der deutschen Sozialdemokratie geschrieben.

Großes Goldenes Ehrenzeichen

Carl E.Schorske, der 2012 seinen letzten öffentlichen Auftritt in Österreich hatte, feiert seinen runden Geburtstag in einem Altersheim in New Jersey. Am 29.März folgt dort ein Festkonzert, zu dem auch Kulturminister Josef Ostermayer erwartet wird: Er wird dem Jubilar das Große Goldene Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich überreichen. „Heute ist Österreich satt, es gibt keine politischen Neurosen“, so erklärte Schorske einmal in der „Presse“ die nicht so weltbewegende heutige Kultur in diesem Land. Vielleicht können die Gratulanten ihn überzeugen, dass es, so betrachtet, doch ein bisschen Hoffnung für die Kultur gibt...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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