Rhabarber im Dunkeln

Rhabarber
RhabarberDie Presse
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Hannes Holler hat sich in Tattendorf (NÖ) auf den hierzulande seltenen Frührhabarber spezialisiert, der dank der Dunkelheit besonders zart ist.

Hannes Holler hat gelernt darauf zu achten, jeden Abend das Licht abzudrehen. „Wenn ich das einmal vergesse und über Nacht brennen lasse, verliere ich 30 Prozent der Produktion“, sagt der Landwirt und Biofeld-Geschäftsführer. Holler hat sich nämlich – neben Holunder, Kürbis und Gemüse – auf einen hierzulande recht seltenen Rhabarber spezialisiert, den Früh- oder Winterrhabarber. Während er in England unter dem Namen Forced Rhubarb allen voran in Yorkshire Tradition hat, ist bei uns meist nur der „normale“ Sommerrhabarber, der im Frühling auf Feldern wächst, gängig.

Der Frührhabarber hingegen wächst in Treibhäusern in der Dunkelheit und ist – durch ein paar Tricks des Bauern – zarter im Geschmack. „Er hat nicht so viel Oxalsäure wie der spätere. Wobei das ja auch ein Mythos ist. Die Oxalsäure ist vor allem in den alten, holzigen Trieben enthalten, die isst man eh nicht. Selbst wenn, so viel könnte man gar nicht essen, dass es gesundheitlich schädlich ist.“

Vom Wein zum Rhabarber

Holler baut auf rund 20 Hektar Rhabarber an. Neben der Landwirtschaft betreibt er auch einen Groß- und Einzelhandel. Der Familienbetrieb im niederösterreichischen Tattendorf geht bis in das Jahr 1680 zurück. Seine Vorfahren bauten hier vor allem – wie so viele in der Gegend – Wein an, aber auch Getreide. Vor mehr als 20 Jahren hat bereits sein Vater begonnen, sich auf Rhabarber zu spezialisieren. „Das hat sich langsam entwickelt. Es ist viel Know-how und Kapital notwendig, um den frühen Treibhausrhabarber anzubauen.“ Auf die Idee ist er eigentlich durch Zufall gekommen. „Irgendwann haben wir festgestellt, dass überall dort, wo der Rhabarber durch ein bisschen Stroh leicht abgedeckt war, er besonders aus dem Boden getrieben ist und auch die Farbe intensiver war. Das haben wir dann weiter probiert. Irgendwann kommt man natürlich drauf, dass auch andere das machen“, sagt Holler und führt in das Treibhaus, das mit dunklen Planen abgedeckt ist.

Er öffnet mit einem Ruck die schwere Schiebetür und dahinter werden plötzlich, dank minimaler Beleuchtung, lauter Rhabarberpflanzen, mit leuchtend rosa Stielen und kleinen Blättern, sichtbar. Dass sich dahinter einiges an Wissen und viele Jahre an Erfahrung verbergen, wird deutlich, wenn Holler die Abläufe erklärt. Jede Pflanze wächst zuvor zwei Jahre am Feld, nur um sie vorzubereiten und damit die Wurzeln genug Kraft aufbauen. Im dritten Jahr kommt der Rhabarber ins Treibhaus, wobei einiges beachtet werden muss. „Der Rhabarber braucht vorher einen bestimmten Kältereiz, damit er weiß, dass der Winter vorbei ist und er austreiben kann. Wenn Sie eine bestimmte Temperaturkurve nicht erwischen, können Sie heizen, wie Sie wollen, er wird nicht austreiben.“ Bei der Kälte kann man nicht künstlich nachhelfen. „Das haben sie in Holland probiert, hat nicht funktioniert, sonst wäre es ja einfach. Auch im Winter laufen in der Pflanze offenbar chemische Prozesse ab, anscheinend hat das mit dem Mond zu tun. Sie weiß, dass die Kälte im Kühlhaus keine richtige Kälte ist.“

Nach diesem Kälteschock wird der Rhabarber ausgegraben und kommt ins Treibhaus. Während auf dem Feld jede Pflanze rund 1,5 Quadratmeter Platz hat, werden sie im Treibhaus eng aneinander geschlichtet. Anstatt sie in der Erde einzugraben, werden sie einfach ins Stroh gelegt. Die Pflanze glaubt ob der Dunkelheit, sie sei in der Erde, sucht das Licht und produziert somit schöne, lange Stiele und kaum Blätter. „Sehen Sie, da ist die Plane undicht, da sind die Blätter gleich viel größer und grüner“, sagt Holler und deutet auf die Stelle. Sobald Licht ins Spiel kommt, beginnt die Assimilation, und die ganze Kraft schießt in die (unbrauchbaren) Blätter.

Bei Dunkelheit aber holt sich der Rhabarber die Kraft aus der Wurzel und zieht die Nährstoffe in den Stängel. Pro Tag wächst er 1,5 Zentimeter. „Er wird feucht gehalten und sonst nichts, es gibt kein Pflanzensubstrat, wir machen ja alles bio.“ Lüftungsanlagen sorgen für Frischluft, damit sich die Feuchtigkeit nicht sammelt und zu schimmeln beginnt. Eine Bodenheizung hält die Temperatur konstant auf 15 Grad. Dem Rhabarber wird also vorgetäuscht, dass er noch unter der Erde ist und eben der Frühling begonnen hat.

Sorte Goliath

Nach sechs Wochen kann man den Rhabarber zum ersten Mal ernten. Alle drei Tage gehen Hollers Mitarbeiter durch und holen sich die langen Stiele. Bei der dadurch entstehenden Narbe treibt die Pflanze erneut aus. Ab Erntebeginn kann man jede Pflanze noch rund sechs Wochen beernten. Danach ist sie ausgelaugt und wird kompostiert – auf den hauseigenen Holunderfeldern.

Holler vermehrt auch die Pflanzen selbst. Er hat lange an einer idealen Sorte gearbeitet, mit der aktuellen – „wir nennen sie Goliath“ – ist er ganz zufrieden. „Wir experimentieren viel. Am Feld wird bei jeder Traktorfahrt selektiert. Wenn einem Mitarbeiter ein besonders Merkmal einer Pflanze auffällt, also ein früher Austrieb, eine schöne Farbe oder besondere Robustheit, wird die Pflanze markiert und kommt ins Versuchsfeld. Wir schauen uns dann die positiven Eigenschaften genau an und vermehren die Pflanze.“

Neben der frühen Sorte baut Holler auch den klassischen Sommerrhabarber an, der ab Mai geerntet wird. Im Unterschied zum Sommerrhabarber können die frühen Sorten auch roh und mit Schale gegessen werden. „Meine Kinder essen ihn gern aufgeschnitten mit ein bisschen Zucker oder Birkengold“, sagt Holler und beendet den Rundgang. Es ist Zeit, im Treibhaus das Licht abzudrehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2015)


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