Die geheimen Flüsse unter Wiens Häusern

Archivbild: Kanalnetz in Wien
Archivbild: Kanalnetz in WienAPA
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Einst flossen Gebirgsbäche durch Wien, darum stehen heute noch zahlreiche Altbauten auf Stelzen.

Alserbachstraße, Krottenbachstraße oder Ameisbachzeile – dass durch Wien einst wilde Gebirgsbäche mäandrierten, daran erinnern heute Straßennamen und die hügelige Landschaft, die für die Stadt charakteristisch ist.

Seit dem 12. Jahrhundert waren die kleinen Bäche, die den wilden Wien-Fluss auf seinem Weg bis zur Donau begleiteten, Lebensgrundlage für die Bevölkerung der Stadt Wien. An den Ufern jener kleinen Gewässer wurden etwa Getreide- oder Waffenschleifmühlen errichtet, wo reger Handel betrieben wurde. Auch das lässt sich aus Straßennamen wie Bärenmühlgang oder Schleifmühlbrücke noch herauslesen.

Mit der Industrialisierung und dem aufstrebenden Bürgertum im 19. Jahrhundert erlebte Wien eine regelrechte Bevölkerungsexplosion. Während um 1800 noch 250.000 Menschen in Wien lebten, erreichte die Stadt um 1910 ihren historischen Einwohnerhöchststand von mehr als zwei Millionen Menschen.

Die einst lebensspendenden Gewässer wurden zunehmend zum Problem: Es stank fürchterlich in der ganzen Stadt. Aber noch größer waren die Hygiene- und Gesundheitsprobleme, die mit wachsender Bevölkerung und somit wachsender Verunreinigung dazukamen.

Eine Cholera-Epidemie forderte im Jahr 1830 mehr als 2000 Tote. Die Erreger wurden hauptsächlich durch verunreinigtes Trinkwasser übertragen. Die Stadt musste handeln und begann mit dem Bau der Kanalisation. Mit ihr verschwanden auch die vielen kleinen Bäche aus dem Stadtbild, bis um 1900 von ihnen nichts mehr zu sehen war.

Unter der Erde. Zwar sind die Bäche nicht mehr sichtbar, aber noch heute rauschen sie unter der Oberfläche der Stadt in mächtigen Kanalrohren. So strömt der Krottenbach noch immer unter der gleichnamigen Krottenbachstraße aus dem Westen Wiens durch Döbling in den Donausammelkanal. Ebenfalls durch den 19. Bezirk fließen der Nesselbach unter der Grinzinger Straße und der Arbesbach unter der Windhaber Straße. Parallel dazu rinnt ein Stück südlicher der Währingerbach über die Gersthofer Straße, Gentzgasse und Währinger Straße, bis er bei der Friedensbrücke ebenfalls in den Kanal mündet.

Der Ottakingerbach verläuft die gesamte Thaliastaße unterirdisch, schlängelt sich unter dem Ring bis zum Franz-Josefs-Kai zu seinem Ziel, dem Donau-Sammelkanal. Er ist einer der wenigen Bäche, der sich in den vergangenen Jahren auch einmal gezeigt hat: Als es im Oktober 2010 zu außergewöhnlich starken Regenfällen kam, konnte die Kanalisation die Wassermassen nicht mehr aufnehmen. Der unterirdische Bach schwoll an und trat über die Kanaldeckel an die Oberfläche. Neben den vielen Bächen im Westen war auch die Landschaft jenseits der Donau von kleinen Rinnsalen zerpflügt.

Die Presse

Gepfählte Altbauten

Wien und Venedig haben etwas gemeinsam: die Bauweise. Was die wenigsten wissen: Auch in Wien stehen nach wie vor zahlreiche Altbauten auf Holzpfählen. Eines der berühmteren Gebäude, das auf diese Art errichtet wurde, ist die Roßauer Kaserne am Alsergund.

Nahe dieser Bäche hatten es die Bauherren der Gründerzeit Mitte des 19. Jahrhunderts mit schwierigen Bodenbedingungen zu tun. Das Erdreich war locker und feucht, es trug die schweren Häuser nicht. Darum bedienten sie sich einer Bauweise, die schon die alten Römer zur Stabilisation einsetzten: Sie rammten Holzpflöcke bis ungefähr einen Meter unter den Grundwasserspiegel in den Boden, wo es tragfähige Erdmassen gab. Darauf wurde dann ein Rost gelegt, auf dem das Fundament errichtet wurde.

Diese Pfahlrostbauten, sind sehr stabil, solang eines gegeben ist: Die Spitzen der Pflöcke müssen, ähnlich wie bei einem Baum, immer genug Wasser ziehen können, damit das Holz nicht austrocknet und somit porös wird.

Das ist ein großes Problem der Wiener Altbauten: „Durch die Errichtung der Kanalisation haben wir quer durch die Stadt quasi eine Drainage gelegt und dem Erdreich das Wasser entzogen, beziehungsweise es reguliert“, sagt Andreas Kolbitsch, Professor für Bauingenieurwesen an der TU. „Es ist also einmal feucht, einmal trocken – das macht das Holz faulig.“ In der Leopoldstadt musste darum vor einigen Jahren ein derartiges Haus, das plötzlich einsturzgefährdet war, abgerissen werden. Zwar werde immer wieder versucht, diese Häuser zu sanieren, das sei aber mit hohen Kosten und großem Aufwand verbunden.

Zuletzt wurden im Zuge der U-Bahn-Ausbauten einige dieser Gebäude mit dem sogenannten Düsenstrahlverfahren stabilisiert. Dabei wird unter dem Haus bis zu den Pflöcken vorgegraben, dann wird Zementleim eingepresst. Eine andere Methode wäre, in der Mitte der Pflöcke der Länge nach ein Loch zu bohren und dort einen Metallkern einzufüllen. Der Bestand dieser Pfahlrostbauten wird auf etwa 100 bis 150 Häuser geschätzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2015)

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