Fußmarsch durch das windige Niemandsland

Krim
Krim(c) REUTERS (MAXIM SHEMETOV)
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Die Krim ist über das ukrainische Festland nur noch auf mühselige Art zu erreichen. Lkw stauen sich an der neuen Grenze. Reisende stapfen zu Fuß über die kahlen Ebenen zwischen improvisierten Grenzposten.

Tschongar. Die Landverbindung zwischen der Halbinsel Krim und dem ukrainischen Festland ist so durchlöchert wie ein mottenzerfressenes T-Shirt, ein ständiges Wechselspiel von Wasser und Steppe.

Beim Ort Tschongar besteht die Verbindung aus einer zweispurigen Fahrbahn und ein wenig Landmasse. Hinter dem getrockneten braunen Schlamm schwappt beiderseits Wasser. Im Sonnenschein glänzt es türkis. Die sandige Straße über Tschongar ist eines der beiden Nadelöhre, durch das Autos, Busse und Lkw durchschlüpfen müssen, um auf die Halbinsel zu gelangen.

Seit der Annexion der Krim verläuft hier die Grenze zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation. Auf russischer Seite ist von einer „Staatsgrenze“ die Rede. Hier bemüht man sich, dem Kontrollpunkt ein offizielles Aussehen zu geben: Anstelle der improvisierten Grenzstation aus weißen Containern sollen bald mehrere Fahrstreifen und ein überdachtes Abfertigungshäuschen entstehen. Auf ukrainischer Seite, fünf Kilometer – die sogenannte Pufferzone – entfernt, ist von einem Kontrollpunkt die Rede. Stempel werden keine in den Pass gedrückt, schließlich ist die Krim offiziell ukrainisches Territorium. Die Schlangen sind lang, die Wartezeit kann für Privatreisende mehrere Stunden betragen, für Lkw sogar mehrere Tage.

Keine Züge mehr auf die Krim

Reisen auf die Krim haben sich seit Beginn der Krim-Krise beträchtlich erschwert. Nicht nur benötigen EU-Ausländer heute ein russisches Visum für die Einreise; Flüge aus Kiew wurden schon im März 2014 eingestellt. Der Flughafen Simferopol ist für internationalen Luftverkehr gesperrt; nur noch aus russischen Städten kann er angeflogen werden. Nachdem die ukrainische Regierung im Dezember 2014 sowohl den Zugverkehr als auch den Autobustransport gestoppt hat, offiziell aus „Sicherheitsgründen“, hat sich der gesamte Verkehr zur Halbinsel auf die Straße verlegt.

Findige Kleinunternehmer auf beiden Seiten der Grenze haben daraus ein Geschäft gemacht: Für 350Griwen, elf Euro, wird man in Minibussen von ukrainischer Seite bis in die Krim-Hauptstadt Simferopol gefahren. Die Chauffeure überholen die langen Kolonnen und reihen sich ganz vorn an der Schranke wieder ein. Ermöglicht wird diese bevorzugte Behandlung durch eine „Geste“ von 50 Griwen pro Person (umgerechnet 1,20 Euro) an die Grenzer, wie ein Chauffeur verrät.

Noch schneller geht es unter Umständen, wenn man das mehr als vier Kilometer lange Niemandsland zwischen den feindlichen Straßensperren zu Fuß passiert.

Wie hatte eine ukrainische Reisende im Internet geraten? „Ziehen Sie warme Kleidung und gute Schuhe an, nehmen Sie nur leichtes Gepäck mit und wenn möglich eine Thermoskanne.“ Auf dieser Reise kann es kalt werden. Verlassene Cafés und leere Verkaufsstände säumen die Straße, der Wind fegt durch die Ebene. Es sind meist lokale Bewohner – Frauen mit Plastiksäcken, Männer mit Sporttaschen – die diese kostengünstigste Variante wählen. Eine Frau, die gleich mehrere Plastiktaschen auf ein Handwägelchen aufgeladen hat, ächzt unter der Last. „Hier nimmt man sogar noch ab“, versucht eine andere Reisende dem Marsch etwas Positives abzugewinnen.

Die Durchquerung ist eine anstrengende, aufreibende Unternehmung, und man mag sich nicht vorstellen, wie es hier im Sommer aussehen wird, wenn die Ausflügler und Sommerfrischler anreisen.

Eine Bewohnerin Simferopols, die regelmäßig zur Arbeit auf das ukrainische Festland reist, kritisiert die Entscheidung Kiews, den Zugverkehr zu stoppen: „Damit werden nur jene Menschen getroffen, die die Verbindung zum Mutterland aufrechterhalten wollen.“ Vor allem einfache Bürger würden durch diese Maßnahme benachteiligt.

Im Niemandsland halten die unfreiwilligen Spaziergänger zusammen, helfen einander und versuchen den Widrigkeiten mit Humor zu begegnen. Und manch einer findet passende Worte für die politischen Umstände auf der Halbinsel, die Russland in einem Überraschungsmanöver erobert hat, und mit dessen langfristigen Folgen es nun konfrontiert ist: „Die Krim ist für Wladimir Putin wie ein Koffer ohne Griff“, sagt ein Mann aus Kiew, der seine betagten Eltern auf der Halbinsel besucht. „Schwierig zu tragen, aber zu schade zum Wegwerfen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2015)

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