Von Libyen bis Ägypten und Mali gewinnen extremistische Organisationen immer mehr an Terrain.
Mit dem Anschlag in Tunesien haben die Terrorgruppen in Nordafrika erneut ein schauriges Lebenszeichen von sich gegeben. Militante Gruppen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder al-Qaida haben in der Region zuletzt ihren Machtbereich weiter ausgedehnt. Hotspot dabei wird zunehmend Libyen. In dem Nachbarland Tunesiens wurden zahlreiche Syrien-Kämpfer ausgebildet. Die Trainingslager befanden sich in Derna, einer Hafenstadt am Mittelmeer unweit zur Grenze von Ägypten, und wurden vom libyschen Ableger der Ansar al-Sharia unterhalten. Zu Tausenden wurden hier Jihadisten aus Tunesien, Pakistan, Somalia, Saudiarabien, Algerien oder auch Deutschland und Österreich für den Bürgerkrieg in Syrien trainiert. Nach ein, zwei Monaten ging es dann mit falschen Papieren in die Türkei und von da aus weiter zum lokalen al-Qaida-Ableger, der al-Nusra-Front. Reise und Organisation waren gratis. Die Kämpfer mussten nichts bezahlen und bekamen sogar noch Taschengeld.
Bis Mitte vergangenen Jahres war Derna unter der Kontrolle von Ansar al-Sharia. Aber dann übernahmen IS-Kämpfer mehr und mehr die Stadt. Abu Bakr al-Baghdadi, der selbst erklärte IS-Kalif, hatte die Expansion seiner Terrororganisation nach Libyen befohlen. Er beorderte zwei Scharia-Richter (einen aus dem Jemen, den anderen aus Jordanien) nach Derna, um das „göttliche Gesetz“ einzusetzen. Heute wird Derna von seinen Vasallen genau so blutig und brutal regiert, wie das in Syrien unter IS-Kontrolle der Fall ist.
Hochburg von Ansar al-Sharia
Das zweite Standbein der Extremisten in Libyen ist Sirte, die weiter westlich gelegene Heimatstadt des ehemaligen Herrschers Muammar al-Gaddafis. Unterstützung bekam die IS-Terrormiliz von der tunesischen Ansar al-Sharia. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Ahmed al-Rouissi in Sirte bei Kämpfen gegen libysche Truppen getötet worden war. Al-Rouissi, der auch als Abu Zakariya al-Tunisi bekannt ist, war eine bekannte Größe innerhalb von Ansar al-Sharia.
In Sirte hatte er eine IS-Truppe angeführt. Ganze Teilorganisationen von Ansar al-Sharia sind zum IS übergelaufen. In Bengasi kämpfen beide Terrorgruppen schon seit Monaten Seite an Seite gegen die libysche Armee, die von General Khalifa Haftar angeführt wird. Die Weltöffentlichkeit bekam die Präsenz des IS in Libyen erst durch das Attentat auf das Corinthia-Hotel in Tripolis mit. Am 27.Jänner starben dabei insgesamt zehn Menschen, darunter vier Europäer und ein Amerikaner.
In Ägypten haben die IS-Extremisten seit 2014 einen Ableger. Die Jihadisten von Ansar Bait al-Maqdis auf der Sinai-Halbinsel legten den Treueeid an IS-Chef al-Baghdadi ab und begingen seitdem eine Reihe von Attentaten. Für Nordafrika stehen schwere Zeiten bevor. Wie man weiß, will die IS-Terrormiliz mit spektakulären und blutigen Anschlägen vermeintliche Stärke zeigen und dabei für sich „Werbung“ machen.
Terrorzellen ausgehoben
Bisher ist es nur in Marokko und Mauretanien relativ ruhig geblieben. Gerade die marokkanischen Behörden sind sehr effizient im Antiterrorkampf. Erst vor einer Woche wurde zum wiederholten Mal eine Terrorzelle ausgehoben, die Anschläge geplant haben soll. Die Verhaftungen wurden in Koordination mit der Polizei Spaniens durchgeführt. Sie hatten gleichzeitig in Ceuta, einer von zwei spanischen Enklaven auf marokkanischem Territorium, Rekrutierer für die IS-Miliz geschnappt.
In Algerien hat die Lage sich ebenfalls beruhigt. Dort hatte man zehn Jahre lang einen Bürgerkrieg gegen Islamisten geführt, dem über 100.000 Menschen zum Opfer fielen. Denn letzten großen Anschlag gab es Anfang 2013, als die al-Qaida die Amenas-Gasanlage überfiel. 37 Geiseln und 29 Terroristen starben damals. Die Amenas-Anlage liegt im Süden Algeriens, im Grenzgebiet zu Libyen. Diese Region ist nur schwer zu kontrollieren. Dort regiert bis heute, bis Mali und in den Niger, die al-Qaida im Maghreb (Aqim). Die Sahara ist ihr Rückzugsgebiet, in dem sie nach der missglückten Gründung eines Emirats in Mali untertauchen konnte. Die französische Intervention hatte die al-Qaida innerhalb weniger Wochen aus dem Norden Malis wieder vertrieben.
Heute unterhält die al-Qaida in der Sahara Trainingslager. Über Beteiligungen am Schmuggel von Zigaretten, Drogen, Autos und Immigranten verdienen sie ein Vermögen. Immer wieder entführen sie Bürger westlicher Staaten, um Kasse zu machen. Die Frage ist nur, wann und ob sie sich auf die Seite der IS-Terrororganisation stellen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2015)