Griechenlands Führung schlüpft in die Opferrolle

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BELGIUM EU SUMMIT (c) APA/EPA/OLIVIER HOSLET
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Sowohl die Europartner als auch Griechenlands Premier Tsipras zeigten sich nach ihrem Minigipfel in Brüssel optimistisch. Die Kontroversen um verzögerte und neu interpretierte Reformen in Athen sind aber noch nicht gelöst.

Griechenland kann also aufatmen. Zumindest geht das aus Äußerungen von Ministerpräsident Alexis Tsipras vom radikalen Linksbündnis (Syriza) hervor. Er versicherte seinen Landsleuten nach dem Minigipfel mit Angela Merkel, François Hollande, Jean-Claude Juncker, Jeroen Dijsselbloem und Mario Draghi, man habe wieder eine „gemeinsame Leseart“ der Vereinbarung der Euro-Gruppe vom 20. Februar über das griechische Überbrückungsprogramm gefunden. Griechenland dürfe seinen eigenen Katalog „nicht rezessionärer“ Vorhaben vorlegen und umsetzen. Gegenstand der Überprüfung durch die EU-Partner seien diese Vorhaben, nicht das harte Maßnahmenpaket der Vorgängerregierung. All das freilich muss noch in der Euro-Gruppe abgesegnet werden.

Tsipras interpretiert das Treffen in seiner Weise. Dass freilich in Brüssel ein finaler Bruch vermieden wurde, ist angesichts der verbalen Entgleisungen der letzten Wochen tatsächlich erstaunlich. Die Europäer hatten einen Vertragsbruch vonseiten Griechenlands geortet, die griechische Regierung sah sich hingegen in die Enge getrieben und wurde in ihren Reaktionen noch aggressiver als bisher. Als die Beamten der Brüsseler Gruppe, wie die Troika in Griechenland nun genannt wird, Einwände gegen die erste Gesetzesvorlage der Regierung hatten, sah Tsipras rot. Er wies darauf hin, dass es um humanitäre Hilfe für die Ärmsten der Gesellschaft ginge. Vor der Abstimmung der Vorlage im Parlament sprach er in einer emotionalen Rede von „Dreistigkeiten“. Man habe Griechenland fünf Jahre lang zum wirtschaftlichen „Versuchskaninchen“ gemacht, nun wolle man es auch zum „politischen Versuchskaninchen“ machen, um den politischen Wechsel im Keim zu ersticken und eine EU „ohne Rechte, ohne Versicherung und ohne soziale Kontrolle“ entstehen zu lassen. Ob sich diese Interpretation der Lage jemals mit den Konzepten der europäischen Partner in Einklang bringen lassen wird, muss offenbleiben.

Das erste vorgelegte Gesetz der Regierung Tsipras enthielt jedenfalls nicht nur ein 200-Millionen-Paket für Gratisstrom, Essensrationen und Mietstützungen, sondern auch Sofortmaßnahmen zur Füllung der leeren Staatskassen: eine Regelung für den Zugriff der Regierung auf die Rücklagen der Sozialversicherungen sowie eine Regelung für Steuerschuldner, die bis 27. März ihre Schulden ohne Strafaufschläge bezahlen dürfen. Schon am Donnerstag wurde die Regelung im Regierungsblatt veröffentlicht – die Bürger haben also noch eine Woche Zeit, von der Steuernachzahlungsregelung Gebrauch zu machen. Beschlossen wurde weiters auch die Verlängerung auslaufender Kollektivverträge.

Neues Defizit statt Überschusses

Das alles sind gesetzliche Maßnahmen, die eigentlich auch frühere Vereinbarungen, etwa zur Steuerpolitik und zum Arbeitsrecht, betreffen. Die Forderung der Troika, ein vollständiges Maßnahmenpaket vorzulegen, um die Auswirkungen auf den Staatshaushalt einzuschätzen, wurde hingegen seit Wochen verweigert. Kein Wunder, dass auch die Teilnehmer des von Tsipras gewünschten Brüsseler Minigipfels darauf beharrten, endlich den Katalog bevorstehender Gesetzesvorhaben vorzulegen.

Das mit dem Spar- und Reformprogramm der früheren Regierung angepeilte Sparziel ist übrigens durch die Realität bereits überholt. Die Wahlen vom 25. Jänner 2015 und die Versprechungen der neuen Regierung haben bereits jetzt zu einer Budgetlücke von insgesamt zwei Milliarden Euro geführt. Im Februar etwa wurde nicht, wie geplant, ein Primärüberschuss von 900 Millionen Euro, sondern ein Defizit von 300 Millionen Euro erwirtschaftet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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