Die Krim als Selbstbedienungsladen

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Kaum gehörte die Krim zu Russland, griffen die neuen Machthaber schon zu: Zwischen 250 und 400 Privatunternehmen wurden verstaatlicht oder illegal übernommen.

Moskau. Die neuen Machthaber der Krim zögerten nicht einen Augenblick. Einen Tag nach dem Referendum vom 16.März 2014 hatten sie mit der Nationalisierung ukrainischer Staatsunternehmen begonnen, noch bevor Russlands Präsident, Wladimir Putin, im fernen Moskau den Beitritt der Krim und der Hafenstadt Sewastopol zur Russischen Föderation unterzeichnete. Als Erstes griff die Regionalregierung nach den Energieunternehmen der Halbinsel. Per Dekret wurde der Besitz von Chernomornaftogaz und Ukrtransgaz auf der Krim, zweier Tochterfirmen des ukrainischen staatlichen Energiekonzerns Naftogaz, nationalisiert. Als Nächstes folgten einige der bekanntesten und traditionsreichsten Sanatorien und Sektkellereien der Krim.

Nun, ein Jahr nach der Annexion, zog Republikschef Sergej Aksjonow Bilanz: 250 Privatunternehmen seien in dem Zeitraum nationalisiert worden. Dazu gehören Banken, Hotels, Telekomunternehmen, Werften, die wichtigste Bäckerei der Halbinsel und die Filmstudios von Jalta, in denen einige der berühmtesten Filme der Sowjetunion gedreht wurden. Neben dem ukrainischen Staat richteten die Enteignungen sich v.a. gegen den Besitz proukrainischer Oligarchen wie Igor Kolomojski oder Sergej Taruta. Nun sei der Prozess der Nationalisierung abgeschlossen, gab das Parlament in Simferopol bekannt.

Kiew spricht von ganz anderen Zahlen. Mehr als 400 Unternehmen gerieten laut dem ukrainischen Außenministerium im vergangenen Jahr illegal unter russische Kontrolle. Der Wert der nationalisierten Assets lässt sich nur schwer schätzen, gehören doch im Falle von Chernomornaftogaz etwa auch Rechte auf Öl- und Gasexploration im Schwarzen Meer dazu. Ausgegangen wird jedoch von mindestens einer Milliarde Dollar.

Übernahme mit Waffengewalt

„Eine konservative Schätzung“, sagt Irina Paliashvili. Die Anwältin in Kiew vertritt enteignete Unternehmen. Oft machen sich die neuen Besitzer nicht einmal die Mühe, eine neue Firma nach russischem Recht zu registrieren. Stattdessen wird einfach deren Eigentum wie Hotels, Fabrikgebäude oder Büros beschlagnahmt, führt Paliashvili aus. Vielfach unter dubiosen Begleitumständen, mit Einschüchterungsversuchen und Gewaltandrohungen. Bei der Schiffswerft Zaliv in Kertsch standen im August 2014 plötzlich Personen vor der Tür, die sich als die neuen Besitzer vorstellten. Unterstützt von den Selbstverteidigungskräften der Krim besetzten sie kurzerhand das Gelände und die Büros des Unternehmens. Den ehemaligen Besitzern wird seit damals die Ausübung ihrer Tätigkeit verwehrt.

Eigentumsrechte wurden auf der Krim jedoch schon früher willkürlich ausgelegt. Vor allem bei kleineren Unternehmen, Restaurants oder Kaffees waren rasche Besitzerwechsel, auf Russisch „Raiderski sachvat“ genannt, keine Seltenheit. Seit der russischen Annexion hat die Praxis jedoch an Intensität zugenommen, und die neuen Machthaber mischen kräftig mit. Vor allem die Selbstverteidigungskräfte, die im Februar 2014 mit der Besetzung öffentlicher Gebäude auf der Halbinsel in Erscheinung getreten sind, haben Beobachtern zufolge fast freie Hand, da sie über beste Verbindungen zur neuen Regierung verfügen und kaum Repressalien befürchten müssen.

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Bereits im März 2014 hat die Ukraine vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg Klage gegen Russland eingereicht. Details, insbesondere zum Wert der beschlagnahmten Unternehmen, will das Justizministerium in Kiew allerdings keine bekannt geben. Derzeit würden zusätzliche Informationen gesammelt, Betroffene könnten sich noch melden, sagt Olga Davydchuk, Leiterin der ukrainischen Vertretung in Strassburg, auf Anfrage. Zusätzlich plant Kiew die Verabschiedung eines Gesetzes, das es ermöglicht, einen ausländischen Staat wegen illegaler Aktionen gegen ukrainische Bürger oder Unternehmen vor einem ukrainischen Gericht zu verklagen. Vor einem russischen Gericht haben Klagen wegen Enteignung nur wenig Aussicht auf Erfolg, befürchtet Paliashvili. Klagen vor Moskauer Schiedsgerichten wurden bereits zurückgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass Streitigkeiten, die die Krim betreffen, auch unter die dortige Jurisdiktion fallen.

Entschädigung für Verluste

Für viele Ukrainer käme dies jedoch einer faktischen Anerkennung der Annexion gleich, gilt nun doch auf der Halbinsel russisches Recht, gibt die Kiewer Anwältin zu bedenken. Russische Richter und Politiker argumentieren jedoch damit, dass die Krim-Bewohner durch den Verkaufserlös nationalisierter Unternehmen für erlittene Verluste entschädigt werden sollen. Dies etwa im Fall des ukrainischen Oligarchen Kolomojski, dessen Privatbank ihren Verpflichtungen gegenüber den Kunden nach der Annexion laut der Regionalregierung nicht mehr nachgekommen sei. Filialen und Geldautomaten wurden deshalb beschlagnahmt. Nun hat Regierungschef Aksjonow angekündigt, in Kürze mit dem Verkauf von Kolomojskis Besitz beginnen zu wollen. Interessenten seien vorhanden, behauptet der Politiker. Der Kreis dafür dürfte allerdings nicht allzu groß sein. Westliche Sanktionen schieben ausländischen Investitionen auf der Halbinsel zu einem Großteil einen Riegel vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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