Brandstetter: „Geschworenengerichtsbarkeit ist ein Riesenproblem“

SYMPOSIUM  'TAG DER KRIMINALITAeTSOPFER 2015' BRANDSTETTER
SYMPOSIUM 'TAG DER KRIMINALITAeTSOPFER 2015' BRANDSTETTER(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Justizminister Wolfgang Brandstetter erklärt, wie er das Strafgesetzbuch reformieren und den Weisenrat für Weisungen an Staatsanwälte transparent arbeiten lassen will. Auch die Geschworenengerichte anzutasten sei unrealistisch.

Die Presse: Die Reform des Strafgesetzbuchs (StGB), die Sie vorschlagen, ist nicht so eine visionäre Neuerung wie das StGB vor 40 Jahren. Würden Sie, wenn Sie als Wissenschaftler ein neues StGB entwerfen könnten, mehr reformieren?

Wolfgang Brandstetter: Was jetzt vorliegt, ist eine sinnvolle Anpassung an die gesellschaftlichen Verhältnisse. Die große Vision, wie sie vor 40 Jahren möglich war, ist heute weder notwendig noch sinnvoll. Wir haben solche Verhältnisse nicht, in denen wir einen völligen Umbruch des Strafrechts brauchen. Sondern: Die Beeinträchtigung höchstpersönlicher immaterieller Rechtsgüter, insbesondere durch neue Medien, ist etwas Neues, und dem muss man durch neue Straftatbestände Rechnung tragen. Und man muss akzeptieren, dass die Strafdrohungen bei Gewaltdelikten zu gering sind im Verhältnis zu Vermögensdelikten. Das korrigieren wir. Rechtsgutsbeeinträchtigungen, die mit Schadenersatz ausgeglichen werden können, sollen strafrechtlich nicht so hoch eingeschätzt werden wie jene Beeinträchtigungen von höchstpersönlichen Rechtsgütern, die leider oft genug mit Geld gar nicht auszugleichen sind.

In Ihrer Zeit als Wissenschaftler sind Sie vehement gegen die Geschworenengerichtsbarkeit aufgetreten. In einem Gutachten für den Juristentag haben Sie argumentiert, sie sei wegen des großen Risikos von Fehlurteilen „eines Rechtsstaats unwürdig“. Nun machen Sie zwar Delikte, die in die Geschworenenzuständigkeit fallen, der Diversion zugänglich. Die Geschworenengerichte tasten Sie aber nicht an.

Jetzt die Anpassungen des materiellen Strafrechts an die heutigen Verhältnisse als Anlass zu nehmen, das Riesenproblem Geschworenengerichtsbarkeit anzutasten, wäre völlig unrealistisch gewesen. Wir haben so viele Baustellen; wir müssen uns auf das konzentrieren, was realistischerweise umsetzbar ist.

Stellenweise planen Sie weniger Strenge. Die Gewerbsmäßigkeit, die relativ bald angenommen werden kann, wird durch die engere „berufsmäßige Begehung“ ersetzt. Wollen Sie die Gefängnisse leeren?

Nein, diese Überlegung hat überhaupt keine Rolle gespielt. Realistisch betrachtet muss man damit rechnen, dass es durch die Verschärfung der Sanktionen bei Gewaltdelikten in diesem Bereich eher zu einer Erhöhung der Haftzahlen kommen wird. Möglicherweise wird es weniger Haft geben, wo bei vergleichsweise geringeren Delikten eine Gewerbsmäßigkeit angenommen werden konnte. Die Reform wird aber keine substanzielle Auswirkung auf die Belastung mit Häftlingszahlen haben. Mit der berufsmäßigen Begehung wollen wir wegkommen von den relativ hohen Strafen für den kleinen Ladendieb oder den sprichwörtlichen Hendldieb.

Der Landfriedensbruch wird „schwere gemeinschaftliche Gewalt“ heißen...

Das ist schon enger.

Nicht sogar zu eng? Herausgenommen wird die Beteiligung am Mob, sofern dieser nicht zu einem schweren Verbrechen oder zu Angriffen auf besonders geschützte Rechtsgüter führt. Der Mob an sich hat schon kriminelle Energie, oder?

Mob haben Sie gesagt. Ich kann nur sagen, dass es sicher ein Potenzial an Gewalt und Gewaltbereitschaft gibt, das sich verstärkt, wenn eine größere Zahl von Menschen zusammenwirkt, um schwere Delikte zu begehen. Und das ist genau der Bereich, der weiterhin strafrechtlich verfolgt werden sollte. Aber die neue Formulierung ist in einem wesentlichen Punkt enger: Wer bestraft werden kann, muss wissen, dass er sich an einer solchen Versammlung beteiligt, von der er weiß, diese will gemeinsam schwere Delikte begehen. Wir wollen ausschließen, dass derjenige bestraft werden kann, der nur zur falschen Zeit am falschen Ort ist.

Darüber hinaus gibt es ein Strafbedürfnis?

Davon bin ich fest überzeugt, vor allem, seit ich am Abend des Akademikerballs hier knapp vor 19 Uhr versucht habe, das Haus zu verlassen. Hier hat sich ein Zusammenstoß mit Sicherheitsbehörden abgespielt, ich habe erlebt, dass vermummte Personen einem Fahrzeug vor unserem Dienstfahrzeug einen Betonklotz vor den Kühler geworfen haben. Ich habe erlebt, dass hier vor dem Haus gut organisierte Gruppen Holzbarrikaden herbeigeholt und als Blockade verwendet haben und es zur mutwilligen Beschädigung von Einsatzfahrzeugen kam. Das ist etwas, was man sehr wohl strafrechtlich bekämpfen muss. Es geht um die Gruppen, die wirklich gewaltbereit sind, gemeinsam Gewaltakte ausführen wollen. Wer sich wissentlich an solchen Gewaltaktionen beteiligt, soll strafrechtlich belangt werden können. Wir haben ohnehin zu viel Gewalt auf der Straße.

Der Weisenrat, der Ihnen an der Weisungsspitze über den Staatsanwälten zur Seite steht, wird jetzt ins Gesetz geschrieben. Wie wollen Sie sicherstellen, dass er transparent arbeitet?

Für mich war von Anfang an klar, dass der Weisenrat seine Entscheidungen begründen und in geeigneter Form publik machen soll. Das ist aber seine Sache. Was die Textierung betrifft, sind wir noch in Abstimmung mit dem Koalitionspartner und der Präsidentschaftskanzlei. Aber wir brauchen in allen Fällen, die von besonderem öffentlichen Interesse sind, die Transparenz durch den Weisenrat. Mein Konzept ist, dass man die Berichtspflichten reduziert, sodass nicht mehr so viele Fälle ins Ministerium kommen; aber die Fälle, die von besonderem öffentlichen Interesse sind, sollen jedenfalls über den Weisenrat laufen. Was der Weisenrat macht, ist transparent; er kann das nach außen begründen und vertreten, und er agiert völlig unabhängig. Ich habe aber auch gelernt, dass es die Fachaufsicht und die Möglichkeit, in Einzelfällen mit Weisungen einzugreifen, in mehr Fällen braucht, als ich das früher für möglich gehalten habe. Es gibt immer wieder Fälle, in denen die Öffentlichkeit von uns verlangt einzugreifen, wenn irgendwo in der Staatsanwaltschaft Vorfälle passieren, die nicht nachvollziehbar sind. Da verlangt man natürlich, dass man mit Weisungen eingreift. Und das tun wir auch über die Fachaufsicht.

Zum Beispiel im Fall der Polizeiaktion zu Silvester in Wien, wo die Staatsanwaltschaft erst im zweiten Anlauf auch gegen die Polizei ermittelt?

Das war ein klarer Fall für die Fachaufsicht.

Im Ergebnis entspricht Ihr Konzept mehr den politischen Wünschen der ÖVP als der SPÖ. Denn diese war für eine Verlagerung der Weisungsspitze weg vom Minister.

Das stimmt, aber sie hatte nicht wirklich eine überzeugende Alternative. Der politisch besetzte Generalbundesanwalt als anderes Weisungsorgan ist ja nur eine Parallelverschiebung. Die andere Weisungsspitze müsste dann auch dem Parlament gegenüber verantwortlich sein. Ich verstehe schon, dass insbesondere Oppositionsparteien darauf spitzen, dass es dann neue Posten zu vergeben gäbe. Aber es ist keine Lösung des Problems, wenn ich die Weisungsspitze einfach verschiebe. Das bringt nichts. Dann fangen die Probleme an der anderen Weisungsspitze erst recht wieder an. Jetzt haben wir eine verfassungskonforme Lösung, ein rundum rechtsstaatlich abgeschlossenes System mit einer Absicherung durch Gerichtsentscheidungen. Das ist ein echter Fortschritt gegenüber dem Weisungsrecht in der bisherigen Form.

ZUR PERSON

Wolfgang Brandstetter, Niederösterreicher des Jahrgangs 1957, ist seit 16. Dezember 2013 parteiloser Justizminister. Der damalige ÖVP-Obmann und Vizekanzler Michael Spindelegger hatte ihn, einen ehemaligen Arbeitskollegen, langjährigen Bekannten und CV-Bruder, als Ressortchef vorgeschlagen. Brandstetter kommt ursprünglich aus der Wissenschaft. Er hatte sich 1991 an der Uni Wien für Strafrecht und Strafprozessrecht habilitiert. Er lehrte dort, ehe er 2007 Vorstand des Instituts für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien wurde. Brandstetter war auch in zahlreichen spektakulären Causen als Strafverteidiger tätig, unter anderem für den ehemaligen kasachischen Botschafter Rachat Alijew, der am 24. Februar in seiner U-Haft-Zelle erhängt aufgefunden wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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