Ein neuer Tiefpunkt in der politischen Diskussionskultur

Zur verfassungsrechtlichen Festschreibung des Frauenpensionsalters.

Zugegeben: Man kann über die Anhebung des Frauenpensionsalters geteilter Meinung sein. Eines kann man allerdings nicht: Die Beibehaltung des fünfjährigen Unterschieds mit verfassungsrechtlicher Notwendigkeit begründen, weil sie vom VfGH bereits anders entschieden ist: Es ist ausjudiziert, dass das Frauenpensionsalter mit einfacher Gesetzesmehrheit angehoben werden kann!

Bekanntlich wurde im Bundesgesetz über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten, BGBl. Nr. 627/1991 zum einen normiert, dass gesetzliche Regelungen, die unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten der gesetzlichen Sozialversicherung vorsehen, zulässig sind (§1 leg cit).

Gleichzeitig wurde geregelt, dass für weibliche Versicherte die Altersgrenze für die vorzeitige Alterspension beginnend mit 1. Jänner 2019 jährlich bis 2028 mit 1.Jänner um sechs Monate, und die Altersgrenze für die Alterspension mit 1. Jänner 2024 jährlich bis 2033 mit 1. Jänner um sechs Monate zu erhöhen ist. Die Bedeutung dieser Regelung wurde in den 1990er-Jahren heftig diskutiert, wobei bereits damals alle ersichtlichen und auch heute verwendeten sozialpolitischen, genderpolitischen und rechtsdogmatischen Argumente formuliert und erörtert wurden.

Das Erkenntnis des VfGH

In Auseinandersetzung mit diesen Argumenten hat der VfGH in seinem Erkenntnis zur Pensionsreform 2000, G 300/02, das über Anfechtung der damaligen Anhebung des vorzeitigen Pensionsalters im Wesentlichen durch SPÖ-Abgeordnete erfolgte, explizit vertreten, dass eine Festschreibung der im Inkrafttretenszeitpunkt maßgeblichen Altersgrenzen nicht erfolgt ist.

Wörtlich führte der VfGH aus, dass „angesichts der Detailliertheit der sonstigen Regelungen, im Besonderen der §§ 2 und 3 BVG-Altersgrenzen, davon ausgegangen werden (muss), dass der Bundesverfassungsgesetzgeber, wäre es ihm auch darum gegangen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des BVG-Altersgrenzen einfachgesetzlich geltenden Altersgrenzen für die vorzeitige (und für die „reguläre“) Alterspension weiblicher Versicherter bundesverfassungsgesetzlich festzuschreiben, dies im Wortlaut des Bundesverfassungsgesetzes zum Ausdruck gebracht hätte.“

Ignoranz oder Unkenntnis?

Warum dieser Umstand in der öffentlichen Debatte ignoriert und – wider besseres Wissen oder aus Unkenntnis – so getan wird, dass es gleichsam verfassungswidrig sei, das Pensionsalter von Frauen und Männern vor dem im BVG-Altersgrenzen genannten Zeitpunkt anzuheben, ist nicht ersichtlich.

Ich halte es – im Gegenteil – für befremdlich, wenn Spitzenfunktionäre politischer Parteien und von staatstragenden Interessenvertretungen sowohl den Wortlaut eines Bundesverfassungsgesetzes als auch dessen Auslegung durch den VfGH ignorieren und seit Jahren der Bevölkerung vorgaukeln, dass ihre eigene Meinung verfassungsrechtlich festgeschrieben sei.

Wenn dann noch Politiker, die die judizierte Verfassungslage auf ihrer Seite haben, mit flapsigen Bemerkungen („Und täglich grüßt das Murmeltier“) ins Lächerliche gezogen werden, ist ein Tiefpunkt an politischer Diskurskultur und Achtung vor dem Verfassungsgericht erreicht.

Ich bin gespannt, wann die öffentliche Debatte über die Anhebung des Frauenpensionsalters auf dem Rechtsstaat entsprechendem Niveau und über Sachargumente geführt wird. Die Verweigerung der Sachdebatte mit dem Hinweis auf das Verfassungsrecht ist aber jedenfalls unzulässig.

Dr. Wolfgang Mazal ist Universitätsprofessor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien und Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2015)

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