Der Weg in eine multipolare Weltordnung

Warum wir "politischen Willen" nicht unterschätzen sollten. Und durch das tägliche Rauschen der Medien blicken müssen.

Es mag naiv klingen, aber wenn mir in den vergangenen 12 Monaten etwas bewusst geworden ist, dann dass das politische Element von ökonomisch denkenden Menschen gerne unterschätzt wird. Anders gesagt: Wenn man wirklich wissen will, wohin die Reise gehen könnte, darf man sich nicht nur auf ökonomische Daten oder Fakten stützen. Dasselbe gilt freilich umgekehrt: Wer sich nur auf Politisches stützt läuft Gefahr, sich von den Lügen der Politiker blenden zu lassen. Geld und Politik gehen eben Hand in Hand.

Klar, das hätte einem auch früher auffallen können. In diesem Blog habe ich schon mehrmals über den Petrodollar geschrieben. Ein Begriff, der das derzeit herrschende US-zentrische Geldsystem meiner Meinung nach am besten beschreibt. Der Clou? Henry Kissingers Deal mit den Saudis, ihr Öl in Dollar zu handeln hat dazu geführt, dass der Dollar de facto durch das "schwarze Gold" gedeckt ist. Solange die Welt Dollar braucht um Öl zu kaufen braucht die Welt Dollar. Unmengen davon.

Aber freilich lässt sich diese Öldeckung durch Abmachungen alleine nicht ewig aufrecht erhalten. Hier kommt die Politik zurück - in Form des Militärs. Wenn der Dollar durch Öl gedeckt ist, dann muss das Öl um jeden Preis vor anderen Ländern (auch vor denen, denen es eigentlich gehört) "beschützt" werden. Heißt: Tatsächlich ist der Dollar durch das US-Militär gedeckt. Zumindest seit den 70ern. Das hat zu einer ziemlich gefährlichen Spirale geführt. Da die USA als einziges Land der Welt echte Güter gegen "Papierschnipsel" tauschen können, haben sie sich die größte Armee herbeigedruckt, die die Welt je gesehen hat.

Ab 1944 unipolar

Aber - und jetzt kommen wir schon zum Punkt - jede imperiale Epoche geht irgendwann zu Ende. Ich bin sicherlich nicht ansatzweise ausreichend historisch gebildet, aber Inflation (Geldentwertung bzw. Geldverschlechterung, "debasement"), militärische "Overextension" und eine fragwürdige Entwicklung der moralischen Werte einer Gesellschaft sind zumindest ziemlich häufig mit dem Sterbeprozess großer Imperien einhergegangen. This time it's not different.

Wir stecken mitten im Sterbeprozess des US-Imperiums. Das ist - auch wenn es auf den ersten Blick kontraintuitiv klingt - auch aus der Sicht der amerikanischen Bevölkerung durchaus positiv. Die scheinbar endlose Spirale aus Krieg und Inflation, die spätestens nach dem Ende von Bretton Woods 1971 eingesetzt hat, muss irgendwann ein Ende nehmen.

Das heißt natürlich nicht, dass der Dominanz der USA automatisch etwas "besseres" folgt. Ja, noch nicht mal etwas anderes. Und das ist der Punkt dieses Eintrags.

Seit 1944 leben wir ökonomisch in einer unipolaren Welt, in der die Dominanz des Dollars alles andere überschattet. Mit dem Fall der Sowjetunion kam zur ökonomischen Unipolarität auch die politisch und militärische Unipolarität. Allerdings: Die erfolgreiche Einführung des Euro war bereits ein Hinweis darauf, dass diese Phase der Dominanz nicht ewig anhalten kann.

Jetzt kommen China, Russland und der Rest der BRICS hinzu. Zu diesen Themen herrscht leider große Verwirrung im Westen, weil die Medien oft nicht mehr zwischen Realität und Propaganda unterscheiden. Leider ist es auch ein scheinbar unvermeidbares Element untergehender Imperien, dass die Eliten anfangen, ihre eigene Propaganda zu glauben.

Der Yuan als Nummer drei

Nur, wer zwei, drei, vier Schritte zurückgeht kann das große Bild erkennen. Und wer das sieht, kann auch die große Herausforderung sehen, vor der wir stehen. Die Frage ist simpel: Wie kann es gelingen, die unipolare militärische wie wirtschaftliche Dominanz einer einzelnen Nation über den Globus abzuwickeln - und gleichzeitig zu verhindern, dass die neue wirtschaftliche Großmacht sofort ein ähnliches System installiert? Vereinfacht gesagt: Wenn wir die amerikanische Dominanz einfach durch chinesische Dominanz ersetzen, ist für die Welt gar nichts gewonnen.

Es ist freilich von China nicht zu erwarten, dieses Privileg vollkommen freiwillig abzulehnen. Allerdings scheint man sich in Peking angesichts der Umstände damit zufrieden zu geben, eine "angemessene" Rolle im System des 21. Jahrhunderts zu spielen - statt für sich die Rolle des nächsten Imperiums zu reklamieren.

Klar lesen wir jetzt viele Berichte, dass der Yuan zur neuen Weltwährung aufsteigen könnte. Aber diese Berichte sind genauso wie die Todesanzeigen für Dollar und Euro verfrüht. Lesen wir Berichte darüber, wie der Euro zur neuen Weltwährung aufsteigt? Nein, tun wir nicht. Eigenartig, ist der Euro (mit ein bisschen mehr als 20 Prozent der Reserven)doch  bisher die einzige echte Alternative zum Dollar als Reservewährung.

Die von den Medien als "Yuan-wird-Weltwährung" präsentierte Story ist in meinen Augen nicht mehr als die schrittweise Liberalisierung des Yuan um ihn auf eine mögliche neue Rolle als dritte wichtige Reservewährung vorzubereiten. Dollar, Euro, Yuan: so sieht die Reihenfolge für die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts aus. Vielleicht wechseln Euro und Dollar die Plätze. Vielleicht steigt der Yuan tatsächlich schneller auf, als derzeit angenommen. Aber eines scheint klar: Das unipolare Dollar-System wird durch ein multipolares System ersetzt. Und der Euro, von Haus aus eine multipolare Währung, könnte in diesem System eine weitaus bedeutendere Rolle spielen, als bisher angenommen.

Man muss die Entstehung einer neuen internationalen Finanzarchitektur vor diesem Hintergrund betrachten. Hier hat Europa den Chinesen einiges voraus. Der Euro ist etabliert - und zwar global. Auch ist der Euro die einzige wichtige Währung, die per se für viele Nationen gestaltet wurde. Der Euro ist tatsächlich schon heute im wahrsten Sinne des Wortes international.

Mit den verschiedenen Krisenfonds, die aus dem Chaos der letzten Jahre entstanden sind, hat man zusätzlich europäische Institutionen geschaffen, die den IWF und die Weltbank (US-dominierte Bretton-Woods-Organisationen) in Europa mittelfristig ablösen können. China hat seine neue Investitionsbank AIIB - die EU hat den ESM und die EIB.

BRICS von Haus aus multipolar

Dazu kommen die neuen BRICS-Institutionen, die ebenfalls per se schon multipolar sind. Nicht die AIIB sondern die "New Development Bank" der BRICS ist die echte Alternative zu Weltbank/IWF auf einer globalen Ebene. Auch hier wird mitmachen können wer will - die BRICS werden aber 55% der Stimmrechte behalten. Gemeinsam. China alleine oder Russland alleine oder Indien alleine wird Entscheidungen weder blockieren noch durchdrücken können.

Mich stimmen diese Entwicklungen durchaus positiv, weil sie in Richtung einer echten multipolaren Welt hindeuten, die (wie bei den BRICS deutlich ersichtlich) auf gegenseitigem Respekt beruht. Dass Weltbank und IWF, ja sogar das Weiße Haus, sich diesen Entwicklungen gegenüber inzwischen deutlich offener zeigen als noch vor einigen Monaten, ist ebenfalls ein positives Zeichen. Keinesfalls darf Amerika den Eindruck haben, jemand wolle ihnen das "exorbitante Privileg" wegnehmen. Vielmehr muss es ein Teil des Prozesses sein, dass Washington sich selbst eingesteht, dass die Abgabe dieses Privilegs auch im Interesse der USA sein kann (Stichwort "Triffin-Dilemma").

Ökonomen lachen gerne, wenn vom "politischen Willen" die Rede ist. Aber den "politischen Willen" darf man nicht unterschätzen. Er ist kurz- und mittelfristig meist stärker als ökonomische Gesetze. Und wer genau hinsieht wird erkennen, dass der "politische Wille" für diesen Schritt in Richtung einer multipolaren Welt jeden Tag stärker wird - sogar im so genannten "Westen".

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