Ein Video von Beamten, die einen Tobenden auf der Mariahilfer Straße fixieren, sorgt für Entrüstung. Wie sind solche Bilder zu erklären? Unter anderem auch mit mangelnder Erfahrung.
Wien. Die Serie heikler Polizeieinsätze in Wien – bei denen Beamte wohl mehr Gewalt anwenden, als verhältnismäßig wäre – geht weiter: Montagmittag in der Mariahilfer Straße, ein offensichtlich verwirrter Tobender, der zuvor eine junge Frau verfolgt und bedrängt haben soll. Polizisten überwältigen ihn mit Hilfe eines Passanten. Dann – hier setzen die Videoaufnahmen ein, die nun im Internet kursieren – fixieren ihn Beamte am Boden. Der Mann entkommt ihnen wieder, weitere Beamte kommen dazu, ringen den Mann nieder, dann sieht man sieben, acht Beamte, die den Mann festhalten, einer presst seinen Kopf aufs Pflaster, drückt offenbar seinen Schlüsselbund ins Gesicht des Mannes, andere Polizisten knien teils auf ihm.
„Ich krieg keine Luft“, hört man den Mann auf der Aufnahme schreien, die tausendfach im Internet verbreitet wurde. „Bitte, Polizei!“, ruft der Mann, der Augenzeugenberichten zufolge geglaubt habe, das seien keine echten Polizisten. Und aufgebrachte Passanten, die die Polizei zur Mäßigung aufrufen: Dass der Mann keine Luft kriege, sein Gesicht rot anlaufe, dass sie ihm nicht den Schlüssel ins Gesicht drücken sollen.
„Gewicht auf Kopf geht nicht“
Die Wiener Polizei sieht das offiziell weniger dramatisch: Der Mann habe, als er von Beamten angehalten wurde, zu toben und zu schreien begonnen – zwei Beamte seien verletzt worden. „Die Fixierung eines Tobenden durch mehrere Polizistinnen mit verhältnismäßiger Kraftanwendung ist für den Betroffenen schonender als die erhöhte Kraftanwendung von wenigen Einsatzkräften“, so ein Statement. Zum Vorwurf übertriebener Polizeigewalt heißt es, man werde den Fall durch Staatsanwaltschaft und Einsatztrainer prüfen lassen.
Inoffiziell schätzten erfahrene Beamte die Situation anders ein: Der Einsatz sei „überhart“, es seien klare Fehler zu sehen, heißt es nach Sichtung des Videos. Um einen Tobenden zu fixieren, müssten drei, maximal vier Beamte ausreichen. Auch dürfte er, einmal fixiert, nicht wieder auskommen. Und: „Den Kopf auf den Boden zu pressen, das ist überbordender Einsatz. Gewicht auf einen Kopf zu verlagern, das geht nicht“, so unter anderem ein Ex-Cobra-Mann.
Aber das sei nicht der einzige Fehler: dass acht Mann um einen Einzelnen herumstehen, aber keine „Umfeldsicherung“ stattfinde, dass niemand auf die Passanten eingeht, die klar die Beamten ansprechen. Oder, dass ein solcher Einsatz – auch angesichts der jüngsten Debatte um Polizeigewalt – inmitten einer Menschenmenge stattfindet, sei „völlig unverständlich“. Gewürgt worden sei der Mann aber, auch wenn es danach aussieht, nicht. Und, Tobende seien auch für erfahrene Beamte schwer zu bändigen.
Dazu sei eine Amtshandlung unter „reger Publikumsbeteiligung“ immer eine besondere Herausforderung, sagt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International (ai) nach Durchsicht des Videos. Aber: „Professioneller geht das schon.“ Mit dem Einsatz bei der Tankstelle am Schwedenplatz, bei dem eine 47-Jährige zu Silvester Steißbeinbruch, Prellungen und Blutergüsse davontrug, sei dieser aber nicht vergleichbar.
Trotzdem: Wie sind solche Bilder einer modernen Polizei erklärbar? Gibt es systemische Gründe? Fakt ist: Wiens Polizei hat ein strukturelles Problem mit dem Alter bekommen. Es klingt absurd, aber die Jugend des Wachkörpers ist seine Schwäche. Dieser Sachverhalt ist auch im Innenministerium Thema. In Wien hat man vor Jahren, zu Beginn der geplanten Verjüngungskur, intern in einem Masterplan darüber nachgedacht, wie man negativen Folgen der vielen Anfänger begegnen könnte. Offenbar mit mäßigem Erfolg.
Junge Beamte als Schwäche
Die Fertigkeit, um die es geht, ist Erfahrung, um Gewalt korrekt im täglichen Einsatz anzuwenden. Genau diese Erfahrung ist der Wiener Polizei in den vergangenen Jahren in großem Ausmaß abhanden gekommen. Von den etwa 6000 Uniformierten gingen einige in Ruhestand, zugleich kam es, getrieben von der Politik, zu vielen Neuaufnahmen. Seit 2009 treten pro Jahr 450 neu ausgebildete Männer und Frauen ihren Dienst an. Als Folge ist heute jeder dritte Beamte in Wien zwischen 20 und 30 Jahre jung. Das allein ist kein Nachteil. Aber: Zwar erhalten die Jungen eine der besten Ausbildungen in Europa, haben mit Diensteintritt jedoch zu wenig Anleitung erfahrener Kollegen.
Auch auf den nun veröffentlichten Aufnahmen sind überwiegend junge Beamte zu sehen. Und die sogenannte Bereitschaftseinheit, die zuletzt wegen angeblicher Häufung von Misshandlungen in der Kritik stand, besteht fast ausschließlich aus Anfängern.
AUF EINEN BLICK
Eine Einheit der Wiener Polizei hat am Montag mit einem Einsatz gegen einen Tobenden – dem Mann wurde u.a. der Kopf auf das Pflaster gepresst – die Debatte um Polizeigewalt neu angefacht. Während offizielle Stellen „verhältnismäßige Kraftanwendung“ sehen und den Fall untersuchen wollen, sehen erfahrene Beamte in dem Video klare Fehler. Warum passieren diese immer wieder? Wiens Polizei wurde in den vergangenen Jahren rasch verjüngt. Die verlorene Erfahrung fehlt heute oft.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2015)