Polizeigewalt: Misshandlungsfälle fast halbiert

Symbolbild: Polizisten der Sondereinheit
Symbolbild: Polizisten der Sondereinheit "Cobra" bei einer ÜbungAPA/ROLAND SCHLAGER
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Analyse. Zuletzt wurden mehrere Fälle von Polizeigewalt öffentlich. Statistisch gesehen gehen die Übergriffe jedoch stark zurück. Dennoch wächst das Misstrauen – aus selbstverschuldeten Gründen.

Wiens Polizei steht unter Beobachtung. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Einsatz als Blogeintrag oder Video im Internet landet. Stets verbunden mit einer Botschaft zwischen den Zeilen (Repräsentanten des Staats wenden unverhältnismäßige Gewalt an) sowie den vorweg schon mit Ja beantworteten Fragen: Hat diese Praxis System? Und: Häufen sich die Übergriffe?

Statistisch bleibt von der These einer Häufung wenig übrig. Seit 2005 ging die Zahl der staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen Misshandlungsvorwürfen gegen Sicherheitsbehörden von bundesweit 1047 kontinuierlich auf 546 (Jahr 2013) zurück. Die Daten für 2014 sind noch nicht erhältlich. All das ändert nichts am Schicksal der Opfer von aus dem Ruder gelaufenen Einsätzen, zeigt aber, dass früher nicht alles besser war.

Bemerkenswert sind aber die Detaildaten. Im Schnitt 90 Prozent der Verfahren werden eingestellt. Kritiker zeigen sich darüber nicht verwundert und erklären das damit, dass in solchen Fällen die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft gegen die eigenen Kollegen ermittle. Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei „etwas herauskomme“, sei deshalb gering. Ein Gedanke, der nicht negiert werden kann.

Die hohe Zahl an Verfahrenseinstellungen lässt sich auch aus einem anderen Blickwinkel sehen. Die Ankläger sind nämlich dazu verpflichtet, die Umstände einer polizeilichen Gewaltanwendung aus jener Situation heraus zu bewerten, wie sie sich zu eben diesem Zeitpunkt für den Beamten darstellte. Juristen nennen das eine Ex-Ante-Betrachtung. Im Nachhinein (ex post) stellt sich vieles oft anders dar. Oder anders formuliert: Später ist man immer schlauer. Das ist eine Betrachtungsweise, die einem von Gesetzes wegen und binnen Sekunden zum Einschreiten verpflichteten Polizisten nicht zur Verfügung steht.

Die Presse

Wann ist Gewalt angemessen?

Ein Beispiel: Ein Bankräuber richtet auf der Flucht und nach der Ankündigung zu schießen einen Gegenstand, der wie eine Pistole aussieht, auf die Einsatzkräfte. Ein Polizist feuert. Später stellt sich heraus, dass es sich bei der Waffe um eine Spielzeugpistole handelte. Im Nachhinein betrachtet war der Schuss des Polizisten eine unverhältnismäßig massive Anwendung von Gewalt. Da der Schütze zum Zeitpunkt des Schusses jedoch nicht wusste, dass es sich um eine Spielzeugwaffe handelte, kann ein Richter (oder ein Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren) den Waffeneinsatz aus Sicht des Polizisten zu eben diesem Zeitpunkt als angemessen beurteilen. Für den Beamten erschien die Lage in dieser Situation zu Recht lebensbedrohlich.

Fragwürdige Äußerungen

Analog dazu sind vergleichbare Betrachtungen bei allen anderen polizeilichen Gewaltanwendungen nicht nur möglich, sondern obligatorisch. So kann ein Staatsanwalt auch feststellen, dass die Verfolgung desselben Bankräubers mit dem Auto durch eine belebte Fußgängerzone einer Gemeingefährdung gleich kommt. Entscheidend ist immer, ob die Bedrohung zu einem bestimmten Zeitpunkt den Einsatz der Mittel rechtfertigt.

Zumindest ein Grund, warum Massenmedien und Zivilgesellschaft insbesondere die Wiener Exekutive kritisch betrachten, ist deren Informationspolitik zum Thema Polizeigewalt. Zuletzt wurden Anfragen nach Daten dazu, ob sich die Vorwürfe wegen Misshandlungen in bestimmten Inspektionen oder Einheiten häufen, mit der Begründung abgelehnt, dass eine solche Statistik nicht zu erheben sei. Im Gegenzug bot die Behörde eine Auswertung darüber an, wie viele Beamte wo von Bürgern verletzt wurden. Unter Journalisten entsteht so der begründete Eindruck, es gäbe etwas zu verbergen. Hinzu kommen Äußerungen von Spitzenvertretern der Behörde, die den Eindruck erzeugen, dass Aussagen von Opfern von Polizeigewalt per se unglaubwürdig seien.

Dabei sticht Wiens Polizei zumindest in einer Auswertung des Justizministeriums gegenüber anderen Bundesländern nicht als besonders gewalttätig hervor. 2013 betrafen gerade einmal 20 von insgesamt 546 Vorwürfen die Hauptstadt. In den Jahren davor waren es manchmal mehr (2010: 37), manchmal weniger (2011 und 2012: je 17). Insgesamt oszilliert der Anteil der Wiener an den bundesweiten Misshandlungsvorwürfen laut Justiz zwischen drei und fünf Prozent. Und das trotz des überproportional hohen Kriminalitäts- und Personalaufkommens.

Auffällig an der Wiener Situation ist jedoch, dass an den aktuell dokumentierten Misshandlungsvorwürfen viele junge, gut ausgebildete Polizisten beteiligt sind, denen allerdings die Routine der Einsatzjahre fehlt. Seit 2009 werden in der Hauptstadt jährlich 450 Anfänger aufgenommen. Jeder dritte der knapp 6000 Uniformierten ist zwischen 20 und 30 Jahre alt.

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