Der Jemen kollabiert: Präsident Hadi flieht vor Huti-Rebellen

(c) Reuters
  • Drucken

Die schiitischen Kämpfer rückten weiter auf Aden vor. Saudiarabien zieht seine Truppen an der Grenze zum Jemen zusammen.

Kairo/Sana. Der rapide Zerfall des Jemen lässt in der Golfregion und – mit einiger Verspätung auch – in den westlichen Hauptstädten alle Alarmglocken schrillen. Die mit dem Iran verbündeten schiitischen Huti-Rebellen stehen praktisch am Golf von Aden, durch den eine der wichtigsten internationalen Schifffahrtsrouten führt. Saudiarabien zog am Mittwoch bereits Truppen an der Grenze zum Jemen zusammen. Terrorgruppen von al-Qaida bis IS triumphieren: Denn die USA mussten ihre Spezialeinheiten, die die Drohneneinsätze vor Ort koordiniert hatten, abziehen. Und Jemens Regierung, die vom UN-Sicherheitsrat unterstützt wird, ist zusammengebrochen. Präsident Abed Rabbo Mansour Hadi, auf den die Rebellen ein Kopfgeld aussetzten, tauchte unter. Sein Verteidigungsminister fiel den Angreifern in die Hände.

Mittwochfrüh verließ das Staatsoberhaupt Hals über Kopf seine Residenz in Aden, wo er seit der Flucht aus Sanaa residiert hatte. Nach Angaben der Palastgarde setzte sich der Präsident mit einem Hubschrauber und begleitet von saudischen Diplomaten ins Ausland ab, was aus seiner Umgebung umgehend dementiert wurde. Hadi sei noch im Jemen und lediglich in der Umgebung von Aden an einen sicheren Ort gebracht worden, erklärte ein Berater. Wo sich der gejagte Präsident wirklich aufhält, war bis zum Abend unklar.

Dramatischer Appell an die UNO

Wenige Stunden zuvor hat sich Hadi mit einem dramatischen Aufruf an den UN-Sicherheitsrat gewandt und an alle „willigen Nationen“ appelliert, „den Jemen zu schützen und den Angriff der Hutis auf Aden abzuwehren, der jeden Augenblick erfolgen kann“. Ausdrücklich bat er um Luftunterstützung der Golfstaaten gegen die Kampfflugzeuge seiner Gegner. Diese nahmen am Mittwoch erneut den al-Maasheeq-Palast von Aden unter Beschuss, der Hadi nach seiner Flucht aus Sanaa als Residenz gedient hatte. Der Flughafen wurde geschlossen. Der Gouverneur ließ Bürgerwehren aufstellen und Waffen ausgeben, um die Stadt zu verteidigen. Am Samstag will die Arabische Liga auf ihrem Gipfel im ägyptischen Sharm al-Sheikh über die Krise und eine mögliche Militärintervention beraten.

Derweil schließt sich der Belagerungsring der Hutis um Aden, nachdem die Rebellen am Wochenende mit Taiz auch die drittgrößte Stadt des Landes erobern konnten. In der Nacht auf Mittwoch fiel ihnen Jemens größte Luftwaffenbasis in al-Anad 50 Kilometer vor Aden in die Hände, von der aus die US-Drohnenangriffe auf al-Qaida organisiert worden waren. Die westlichen Staaten haben sich nahezu komplett aus dem Jemen zurückgezogen. Fast alle europäischen Botschaften sind geschlossen, die gesamte Einrichtung der US-Vertretung in Sanaa wurde von eigenen Sicherheitskräften vor Abreise der Diplomaten gezielt zerstört. Dutzende Fahrzeuge des US-Fuhrparks blieben herrenlos auf dem Flughafen von Sanaa zurück.

Rachefeldzug des Ex-Präsidenten

Unterstützt werden die schiitischen Hutis, die etwa ein Drittel der 35 Millionen Einwohner ausmachen, von Armeeeinheiten, die nach wie vor loyal zu dem 2012 im Zuge des Arabischen Frühlings gestürzten Alt-Präsidenten Ali Abdullah Saleh sind. Saleh hatte in den letzten zehn Jahren seiner Herrschaft sechs blutige Feldzüge gegen die Hutis geführt, die mehr als 100.000 Menschen das Leben kosteten. Jetzt hat er sich mit seinen einstigen Todfeinden gegen seinen Nachfolger Hadi verbündet, weil er hofft, die Macht zurückerobern zu können. Die Huhis, vom Iran mit Geld und Waffen versorgt, kontrollieren neun der 21 Provinzen des Landes.

Von dem Chaos im Jemen profitiert auch al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP), seit zehn Jahren die gefährlichste Filiale des Terrornetzwerkes. Sie braucht nun keine weiteren Militäraktionen durch die jemenitische Armee und ihre US-Verbündeten zu befürchten.

Aber auch der Islamische Staat (IS) beginnt sich offenbar im Jemen zu etablieren. Die Terrororganisation des selb sternannten Kalifen Ibrahim, alias Abu Bakr al-Baghdadi, bekannte sich zu den beiden Selbstmordattentaten am vergangenen Freitag in Moscheen von Sanaa, die 137 Menschen das Leben kosteten, darunter 13 Kinder. Die neue IS-Präsenz an der Südspitze der Arabischen Halbinsel könnte einen Wettlauf der Brutalität zwischen den beiden Terrorrivalen auslösen, wie er auch in anderen Teilen der arabischen Welt droht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

YEMEN PRESIDENT HADI HOUTHIS
Außenpolitik

Jemen: Aufenthaltsort des Präsidenten ungewiss

Augenzeugen zufolge wurde Hadis ursprünglicher Sitz geplündert. Über den jetzigen Aufenthaltsort des Präsidenten gibt es laut dem US-Außenministerium keine gesicherten Informationen.
Leitartikel

Der Iran und Saudiarabien gießen im Jemen und in Syrien Öl ins Feuer

Teheran und Riad führen in der Region blutige Stellvertreterkriege. Es ist hoch an der Zeit, dass die Rivalen ihren Konflikt am Verhandlungstisch lösen.
Hadi-loyale Kämpfer im Jemen.
Außenpolitik

Jemens Präsident flieht vor Houthi-Rebellen

Über Hadis genauen Aufenthaltsort herrscht aber Verwirrung. Saudiarabien zieht seine Truppen an der Grenze zusammen. Eine Militärintervention rückt näher.
Außenpolitik

Terror, Intrigen und Revolte: Jemen versinkt im Bürgerkrieg

Houthi-Rebellen erobern im Jemen immer größere Gebiete. Nun macht auch der IS das Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel zu seinem Terrorschlachtfeld.
Anti-Houthi Demonstranten im Jemenwestern city of Taiz
Außenpolitik

Jemens Regierung bittet um ausländische Intervention

Der Außenminister ersucht um Hilfe gegen die schiitischen Houthi-Rebellen. Ein UN-Sondergesandter warnt vor unmittelbar drohendem Bürgerkrieg,

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.