„Copilot hatte Entschluss wahrscheinlich längst gefasst“

Donnerstagabend begann die Hausdurchsuchung des Elternhauses von Andreas L. in Montabaur.
Donnerstagabend begann die Hausdurchsuchung des Elternhauses von Andreas L. in Montabaur.(c) APA/EPA/FEDERICO GAMBARINI (FEDERICO GAMBARINI)
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Sozialmediziner Thomas Niederkrotenthaler sieht Suizid mit Mord an 149 weiteren Personen als „ungewöhnlich in der Form und beispiellos im Ausmaß“.

Die Presse: Warum nimmt ein Mensch, der sein eigenes Leben vorsätzlich beenden will, bewusst auch Unbeteiligte mit den Tod?

Thomas Niederkrotenthaler: Dieses Ereignis, wo es zu einer Tötung, zum Mord an 150 Personen durch Zerstörung eines Linienflugzeugs geht, ist ungewöhnlich in der Form und beispiellos  im Ausmaß. In den allermeisten Fälle, wenn Menschen ihr Leben beenden, achten sie besonders darauf, dass niemand Anderer hineingezogen wird. Es gibt gelegentlich Fälle, wo andere Menschen getötet werden, dort standen Täter und Opfer aber fast immer in Beziehung zueinander. Also etwa wenn Mütter mit dem Hintergrund  einer schweren depressiven Erkrankung ihr Kind töten, weil sie glauben, es könne ohnehin allein nicht überleben, und sich dann selbst das Leben nehmen.

Der Sinkflug dauerte acht Minuten. In diesen acht Minuten hätte der Copilot die Möglichkeit gehabt, seine Entscheidung zu revidieren.

Sozialmediziner Thomas Niederkrotenthaler
Sozialmediziner Thomas Niederkrotenthaler(c) Foto Nelson

Acht Minuten ist natürlich eine lange Zeit, aber ist zu befürchten, dass der Copilot zu diesem Zeitpunkt schon eine Entscheidung getroffen hatte. Es gibt Phasen, die als Erwägung, Abwägung und Entschluss bezeichnet werden. Noch wissen wir sehr wenig vom aktuellen Fall. Es ist aber sehr stark davon auszugehen, dass der Copilot schon den Entschluss gefasst hatte. Dann werden oft weder Entscheidungen revidiert, noch folgen Ankündigungen.

Immer wieder hört man aus dem Umfeld, eines Menschen, der sich für Suizid entschieden hat: "Wir haben keine Anzeichen bemerkt." Ist das tatsächlich möglich?

Direkte Ankündigungen sind klar ersichtliche Anzeichen. Aber es kann auch indirekte Ankündigungen geben: etwa, dass Menschen plötzlich Dinge ohne erkennbaren Anlass verschenken. Das nehmen Angehörige oft erst retrospektiv wahr. Nach dem Entschluss wird eben oft nicht mehr von selbst über das Vorhaben gesprochen. Die Betroffenen wirken dann nach außen oft gelöster, obwohl sich ihre eingeengte Situation nicht verändert hat.

In welcher Krise muss man stecken, um das Leben von 149 Menschen auszublenden?

Ein Suizid findet meist in völliger Einsamkeit statt. In der kurzen Phase davor wird oft nicht mehr darüber gesprochen. Es ist praktisch nicht mehr möglich, zu dieser Person vorzudringen. Möglicherweise war es auch bei diesem Piloten so. Er hatte vielleicht gar keine Verbindung mehr zu dem Gedanken, wer da hinter ihm im Flugzeug sitzt, aber das ist spekulativ.

Wie erklärt man den Angehörigen, was da passiert ist?

Das ist eine riesengroße Herausforderung. Jeder einzelne Betroffene braucht professionelle Hilfe, die jeden da abholen muss, wo er oder sie steht. Es geht darum, über das Ereignis zu sprechen. Die Bedeutung des Verlustes muss aufgerollt werden, angepasst an das Tempo des Betroffenen.

Was raten sie einem Menschen, der sich in einer so scheinbar ausweglosen Lage befindet?

Alle mit Suizidgedanken können sich professionelle Hilfe bei Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten holen. Aber auch alle, die sich von den aktuellen Geschehnissen überfordert fühlen, können sich an die Kriseninterventionsstellen wenden.

www.kriseninterventionszentrum.at

(Online-Langfassung - "Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2015)

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