Der unkomplizierte Richter

Justizpalast Wien
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Richter müssen sagen können, was sie sagen wollen. Das klingt einfacher, als es ist. Über einen anspruchsvollen Beruf zwischen Überheblichkeit und Empathie.

Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand.“ Wer kennt ihn nicht, diesen Spruch, der bei mehr oder weniger passenden Gelegenheiten gerne zitiert wird. Für Gerichte und damit für Richter ist er nicht gerade schmeichelhaft. Denn er lässt anklingen, dass Richter willkürlich entscheiden und man ihnen ausgeliefert ist. Gleichzeitig drückt er ein Unbehagen an dem Machtgefälle aus, das mancher spüren mag, wenn er als Partei oder auch nur als Zeuge vor Gericht erscheinen muss.

»Was macht einen guten Richter aus?«

Warum ist das so? Warum sagen manche, sie wollten mit dem Gericht nichts zu tun haben, am besten „gar nicht anstreifen“? Eine einfache Erklärung ist, dass es Angenehmeres gibt, als vor Gericht als Beklagter oder gar Angeklagter auftreten zu müssen. Bei manchen könnten aber auch der Ton und das Benehmen eine Rolle spielen, von denen die Atmosphäre in manchen Gerichtssälen geprägt wird.

Im Englischen gibt es einen eigenen Ausdruck dafür: judgitis. Damit ist die Überheblichkeit von Richtern gemeint, ihre Neigung, Prozessparteien und Parteienvertreter die Macht spüren zu lassen, die mit dem Amt zwangsläufig verbunden ist. Dass es bei uns keinen eigenen Ausdruck dafür gibt, denn furor talaricus trifft das nicht ganz, heißt nicht, dass auch das Verhalten unbekannt wäre, das damit beschrieben wird.

Wie sollen nun aber Richter ihr Amt ausüben? Welche Eigenschaften braucht man, um eine gute Richterin, ein guter Richter zu sein?

An erster Stelle steht für mich die Eigenschaft zu verstehen und sich verständlich zu machen. Denn Richter müssen den Sinn von Gesprochenem und Geschriebenem erfassen, um die wahren Tatsachen feststellen zu können. Und sie müssen sagen können, was sie sagen wollen. Das klingt einfacher, als es ist. Manch einer meint, Kompliziertes müsse auch kompliziert ausgedrückt werden. Nur was schwer oder noch besser gar nicht zu verstehen ist, sei wirklich gescheit. Ich halte das für einen Irrglauben. Denn meine Erfahrung ist genau gegenteilig: Wenn ich etwas wirklich verstanden habe, kann ich es auch einfach ausdrücken. Etwas Wichtiges kommt hinzu: Nur wenn Urteile verständlich sind, werden sie akzeptiert und können künftiges Verhalten prägen.

Wie wichtig eine einfache und klare Sprache ist, habe ich in einem Fall gesehen, den ich als Erstrichterin zu verhandeln hatte. In einem Deckungsprozess gegen eine Versicherung hatte ich den Strafakt beigeschafft. Im Protokoll über die Hauptverhandlung war die Vernehmung des Angeklagten wiedergegeben. Der Angeklagte wurde beschuldigt, sein Gewehr nicht sicher verwahrt zu haben, so dass sein Sohn einen Spielkameraden anschießen konnte. Der Dialog zwischen Richter und Angeklagtem war im Protokoll wiedergegeben:

Vorsitzender: „Und haben Sie sich nach dem Vorfall mit den Eltern des verletzten Kindes ins Einvernehmen gesetzt?“ Angeklagter: „Na, extra net.“ Vorsitzender: „Was meinen Sie damit?“ Angeklagter: „Was heißt ins Einvernehmen setzen?“

Ganz wichtig ist für mich auch die Fähigkeit, sich in die andere Person hineinzuversetzen, ob es nun eine Partei des Verfahrens ist, ein Zeuge oder wer immer. Richter, denen das gelingt, werden anderen nicht das Wort abschneiden, sie werden sich bemühen herauszufinden, worum es wirklich geht. Vor allem aber werden sie andere so behandeln, wie sie behandelt werden wollen. Diese Eigenschaft ist ja nicht nur im Gerichtssaal wichtig, sie ist eine der wirksamsten Garantien für ein friedliches Zusammenleben, im Kleinen wie im Großen. Freie Dienstzeit. Schließlich sollen Richter noch über eine weitere Eigenschaft verfügen: die Fähigkeit, den Hang zur Trägheit zu bekämpfen, sprichwörtlich gesagt, „den inneren Schweinehund in Schach zu halten“. Denn kaum eine Berufsgruppe hat es so sehr in der Hand, selbst zu bestimmen, wie viel Mühe und Aufwand es sie kostet, ihre Aufgaben zu erfüllen. Richter haben keine Dienstzeit; es hängt von ihnen ab, wann und letztlich auch wie viel sie arbeiten. Das gilt im Guten wie im Schlechten. Gute Richter gehen gut vorbereitet in eine Verhandlung, sie haben sich genau überlegt, welche Bestimmungen anzuwenden sind und welche Tatsachen festgestellt werden müssen, damit sie über den behaupteten Anspruch entscheiden können. Wenn sie das tun, dann können sie das Verfahren strukturieren und auf das Wesentliche beschränken. Das vermeidet unnötigen Aufwand, für Richter wie für Parteien, mindert die Kosten und bewirkt, dass Verfahren rascher abgeschlossen werden können. Eine gute Vorbereitung nützt daher Richtern wie Parteien.

Richter können sich die Arbeit aber auch leicht machen. Sie können die Parteien durch oft gar nicht so sanften Druck dazu bringen, das Verfahren durch einen Vergleich zu beenden. Denn selbst ein ungünstiger Vergleich mag als das geringere Übel erscheinen, wenn die Art der Verhandlungsführung befürchten lässt, es sei weder mit einem Abschluss des Verfahrens in angemessener Zeit noch mit einer Entscheidung in vertretbarer Qualität zu rechnen. Glücklicherweise sind es seltene Ausnahmefälle, in denen sich Richter so verhalten. Richter müssen aber sich selbst gegenüber kritisch sein und schon gegen die Neigung ankämpfen, es sich manchmal vielleicht doch ein bisschen leichter zu machen.Hohe Anforderung. Es sind daher hohe Anforderungen, denen jemand gerecht werden muss, um ein guter Richter zu sein. Natürlich sollen und müssen Richter auch Recht und Gesetz kennen; das ist aber selbstverständlich und kann im Auswahlverfahren auch überprüft werden. Viel schwieriger ist es herauszufinden, ob künftige Richter über die wirklich wichtigen Eigenschaften verfügen. Denn auch der, der prüft, muss einen Sinn dafür haben und von ihrer Bedeutung überzeugt sein.

Nachdem es persönliche Eigenschaften sind, auf die es ankommt, ist Richtersein, auf den Punkt gebracht, Charaktersache. Und jemandes Charakter verlässlich beurteilen zu wollen, ist angesichts der Unwägbarkeiten und Unsicherheiten, die damit verbunden sind, in der Tat einer Fahrt auf hoher See vergleichbar.

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