Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt

Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.

"Kaugummi? – Da ist ein Kübel"

Ein Richter am Bezirksgericht Döbling zelebriert einen Prozess wegen fahrlässiger Körperverletzung auf seine ganz eigene, penible Weise.

Dieser Vormittag der Strafverhandlungen am Bezirksgericht Döbling beginnt schlecht: Zur ersten Verhandlung um 8.40 Uhr in Saal C ist außer dem Richter, dem Bezirksanwalt und der Schriftführerin niemand erschienen, vor allem nicht der Angeklagte. Abgesagt. Nächster Termin: Für ihn haben zwar einige Personen auf den Klappsitzen am Gang Platz genommen. Es sind aber nicht alle, die der Richter anhören will. Also wird auch dieses Verfahren heute nicht abgeschlossen werden.

Es geht – in Fortsetzung eines Beweisverfahrens – um einen Vorfall in der Sieveringer Straße im Dezember 2013. Eine ältere Frau ist auf dem Gehsteig ausgerutscht und hat sich verletzt: zwei Wochen Spital, zwei Operationen, Rehabilitation. Die Frau sitzt, als Privatbeteiligte, die eine Entschädigung will, an der Seite des Bezirksanwalts links vor dem Richter; ihr gegenüber der Angeklagte. Ihm wird fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen, weil er Einsatzleiter jener Räumfirma war, die für das Gebiet zuständig war.

Mithilfe eines Dolmetschers – die Firma ist ganz in polnischer Hand – befragt der Richter einen Mitarbeiter des Angeklagten. Dann dessen Chef und Firmeninhaber, der Deutsch spricht: „Haben Sie einen Kaugummi drinnen?“, fragt der Richter ihn gar nicht besonders unfreundlich. Er deutet in eine Ecke: „Da ist ein Mistkübel, wir san bei Gericht, seien S' mir nicht böse!“ Ein Zeuge kam trotz Ladung nicht, ein weiterer ist, wiewohl erschienen, nicht der richtige – Verwechslung durch Namensgleichheit. Ein vermeintlicher Entlastungszeuge ist aus unerfindlichen Gründen nicht da, ein vierter Zeuge – in diesem Fall aus der Nachbarschaft – wurde nicht ordnungsgemäß geladen.

Sehr wohl erschienen ist eine Frau, die das Opfer vom Einkaufen beim Fleischhauer kennt, sowie der Bruder der Verletzten. Sie sind ihr damals zu Hilfe gekommen – und haben festgestellt, dass der Gehsteig vereist war. Das soll auch auf einem Foto zu sehen sein, das dem Richter ebenso vorliegt wie die Auskunft der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, wonach am Unfallstag auf der Hohen Warte etwas Niederschlag vermerkt wurde, der auf dem Boden zu Glatteis gefroren sei. Anders als die Fahrbahn war der Gehsteig aber nicht gestreut.

Obwohl der Fall also klar scheint, will der Richter in seiner peniblen Art noch die fehlenden Zeugen anhören. Er setzt für Mitte April eine Fortsetzung an – und rät dem Firmenchef, offenbar ohnehin mit einem Bild von der Schuld vor Augen, sich um eine baldige Zahlung der Versicherung an das Opfer zu bemühen: „Schadensgutmachung ist ein Milderungsgrund.“