„Diffuse Ressentiments“ gegen Schiedsgerichte

Höchst umstritten ist bei den Freihandelsplänen EU-USA der Investorenschutz. Dabei würden Schiedsgerichte eine Rechtsförmigkeit herstellen, die sonst fehlte.

Österreich sei das Land der EU, das den stärksten Widerstand gegen den Investorenschutz im geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA leiste. Das verkündete Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) stolz nach dem EU-Gipfel vor einer Woche in Brüssel. Es sei nicht nötig, Schiedsgerichte einzusetzen, nationale Gerichte seien besser. Faymann reagiert mit solchen Aussagen auf weit verbreitete Kritik der Öffentlichkeit; Gegner des Freihandelspakts TTIP haben sich an der Schiedsgerichtsbarkeit festgebissen. Experten verteidigen hingegen die Schiedsgerichte und betonen, dass diese eine Rechtsförmigkeit herstellen, die ohne sie nicht möglich wäre.

„Ein Schiedsverfahren ist genauso ein rechtsförmiges Verfahren wie ein staatlicher Prozess“, sagt Paul Oberhammer, Dekan der Jusfakultät der Universität Wien und einer der führenden Schiedsrechtler Österreichs. „Schiedsgerichte entscheiden nicht über den Daumen, sondern mit sehr großem Aufwand und Genauigkeit.“ Während jedoch Unternehmen, die miteinander Verträge schließen, mögliche Streitigkeiten wahlweise vor staatlichen Gerichten oder vor Schiedsgerichten austragen können, gibt es beim Investitionsschutz in aller Regel keine Alternative: „Hier gewähren die Schiedsgerichte einen Rechtsschutz, den es sonst gar nicht gäbe“, sagt Oberhammer.

Nachdem etwa Russland sich 2006 den Erdölkonzern Yukos einverleibt hatte, erreichten Aktionäre 2014 vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag eine Entschädigung von 50 Mrd. Dollar. Ein Versuch, dasselbe vor einem Moskauer Gericht zu erkämpfen, wäre wohl aussichtslos gewesen. Auch in funktionierenden Rechtsstaaten neigen Gerichte bei Klagen ausländischer Investoren gegen staatsnahe Institutionen dazu, den eigenen Staat zu bevorzugen. Oberhammer nennt als Beispiel den Umgang Schweizer Gerichte mit Gläubigern der Swissair – eine Art Nationalheiligtum –, als diese 2002 liquidiert wurde.

Dazu kommt, dass Staaten auch Gesetzgeber sind und damit den Gerichten vorschreiben können, wie sie zu entscheiden haben. Zum Beispiel Österreich: Oberhammer verweist auf die Ansprüche von Hypo-Gläubigern, die – fünf Jahre nach ihrem Entstehen – per Gesetz abgeschafft wurden. „Auch für Staaten sollte der schöne Grundsatz ,Pacta sunt servanda‘ (Verträge sind einzuhalten, Anm.) gelten.“

Oberhammer ortet „diffuse Ressentiments“ gegen Schiedsgerichte, vielfach getrieben von der etatistischen Auffassung, staatliches Handeln sei jedenfalls besser. Zugleich sorgen sich die Kritiker des Investitionsschutzes aber, dass Staaten ihre politische Handlungsfreiheit einbüßen könnten. Als Beleg dafür dient eine Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen den Atomausstieg Deutschlands.

„Wenn ein Staat die Kernenergie nicht mehr nutzen will, kann ein Schiedsgericht ihm das nicht verbieten“, sagt Oberhammer. „Aber wer Investitionen getätigt hat, kann Schadenersatz verlangen.“ August Reinisch, Völkerrechtler und Vizedekan der Jusfakultät, berichtet, dass beim bereits ausverhandelten Freihandelspakt EU-Kanada (Ceta) darauf geachtet wurde, den Handlungsspielraum der Gesetzgeber weit zu erhalten. So sei darin nicht nur das übliche Gebot des „fair and equitable treatment“ (faire und billige Behandlung von Investoren) enthalten, sondern genauer eine massive Beeinträchtigung und Diskriminierung verboten. „Damit ist den Schiedsgerichten viel Ermessensspielraum genommen, die Vorhersehbarkeit ist erhöht“, sagt Reinisch. Er ist übrigens ein von Österreich nominierter Schiedsrichter am Icsid, dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington. Außerdem schafft Ceta, das als Vorbild für TTIP dienen wird, einen hohen Grad an Transparenz.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat zuletzt angedeutet, die geplanten Schiedsgerichte könnten durch eine ständige Berufungsinstanz kontrolliert werden. Das könnte auch Nachteile haben: Verfahren würden länger dauern; und vor allem dann, wenn die Instanz mehr nach politischen als nach sachlichen Kriterien besetzt wäre, würde die rechtliche Qualität leiden, warnt Reinisch.

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