Hungrige Männer ohne Moral

Ware und Mensch, ein Größenvergleich
Ware und Mensch, ein GrößenvergleichREUTERS
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China ist in Lateinamerika heute in vielen Staaten der größte Handelspartner. Sein Rohstoffhunger ist enorm – befriedigt wird dieser so rücksichtslos wie gewinnbringend.

Lajas zählt zu den eher unwirtlichen Flecken der Erde. Es gibt zu viel Sonne und zu wenig Wasser, die Tage sind heiß und die Nächte, vor allem im Winter, eiskalt. Dennoch hat der Ort in der patagonischen Provinz Neuquén seit einem Jahr einige Neubürger bekommen. Diese Männer, freundlich, aber kontaktscheu, haben den Pazifik und die Anden gekreuzt, um hier, unter dem immerklaren Wüstenhimmel, eine Antenne ins Außerirdische zu errichten: eine chinesische Bodenstation für die Weltraumforschung, mitten in Argentinien.

»Kauft China die Welt?«

„Estación de Espacio Lejano“ steht auf einem Schild an der Straßenabzweigung. Mond und Mars sollen ab 2016 beobachtet werden. Unter der Schrift die weiß-blaue Flagge Argentiniens neben der roten der neuen Herren, die 200 Hektar Ödnis für 50 Jahre abgetreten bekamen, samt Steuerbefreiung. Das beschloss das Parlament in Buenos Aires im Februar und hat so die vor einem Jahr begonnenen Bauarbeiten abgenickt. Doch bleiben Fragen: Was wollen die Chinesen in Patagonien? Soll die Station nur friedlichen Zwecken dienen, wie beide Regierungen beteuern? Der Bauherr, Chinas Raumfahrtbehörde CLTC, untersteht der Volksbefreiungsarmee. Warum wurde das Provinzparlament nicht gefragt, ehe der Staatsgrund abgetreten wurde? Und warum enthält das bilaterale Abkommen über die Bodenstation zwei Abschnitte, die bis heute geheim gehalten werden?

Das Raumschiff China ist gelandet im Hinterhof der USA. Wie in Südasien und Afrika haben sich die Staatskonzerne im vorigen Jahrzehnt auch in Südamerika Rohstoffnachschub gesichert. Und nun, da viele internationale Investoren den Schwellenländern des Südens bye-bye sagen, schlagen die Kommu-Kapitalisten aus Peking und Shanghai ihre Pflöcke tiefer ein, um die Region als Markt zu sichern. 22 Milliarden Dollar liehen Chinas Banken Lateinamerika 2014, mehr als Weltbank und Interamerikanische Entwicklungsbank zusammen zahlten. 250 Mrd. Dollar wolle man im kommenden Jahrzehnt zwischen Mexiko und Feuerland investieren, sagte Chinas Präsident, Xi Jinping im Jänner. Venezuelas Präsident, Nicolás Maduro, brachte von einer Klinkenputztour im Jänner aus Peking die Zusage für 20 Mrd. Dollar Investitionen mit; Ecuadors Rafael Correa freute sich über knapp acht versprochene Milliarden. Solche Meldungen werden von staatsnahen Medien in Caracas und Quito gern dekoriert mit der Floskel der „Befreiung vom US-Imperialismus“, frei nach Hugo Chávez, der sagte: „China ist groß, aber es ist kein Imperium!“

Ein Tête-à-Tête mit dem Tiger

Tatsächlich ist das Tête-à-Tête mit dem Tiger prima vista eine Win-win-Situation. China fand in den Anden, in Amazonien und der Pampa Rohstoffe für seine Industrie und Futter für das Vieh. Die Latinos bekamen einen Abnehmer mit großem Hunger und kleinem Zeigefinger. Denn anders als manche Staaten im Norden verzichten die Chinesen darauf, ihren Partnern Benimmunterricht zu erteilen. Seit etwa 2000 trieb Chinas Nachfrage die Preise für chilenisches Kupfer, brasilianisches Erz, venezolanisches Erdöl, peruanisches Gold, kolumbianische Kohle und argentinisches Soja in ungeahnte Höhen. Die Einnahmen füllten die Staatskassen und gaben Regierungen die Mittel, zumindest vor der Finanzkrise 2008 viele Arme aus dem Elend zu holen, was zu selten erlebter politischer Stabilität führte.

In Argentinien etwa währt die Dynastie Kirchner schon zwölf Jahre, allein Néstors tödlichem Herzinfarkt 2010 ist es geschuldet, dass das geplante innereheliche Wechselspiel an der Staatsspitze diesen Dezember enden muss. Dass Cristina Kirchner bis dann durchhält, ist vornehmlich Herrn Xi zu verdanken: Er hatte einen elf Milliarden Dollar schweren Währungstausch angeboten, als die US-Justiz im Juli Argentiniens Schuldendienst blockierte. Der Swap ermöglichte es Kirchner, die sinkenden Währungsreserven zu stabilisieren und ihre von Rezession geplagte Volkswirtschaft am Stottern zu halten.

China macht die Kohle

Natürlich bürgte Xi nicht aus Nächstenliebe. Chinesische Firmen bekamen bei Staatsbesuchen im Juli 2014 und Jänner 2015 ohne Ausschreibung den Auftrag zum Bau des Staudamms „Néstor Kirchner“ in dessen patagonischer Heimatprovinz Santa Cruz. Chinesen sollen Argentiniens Atommeiler Nummer vier und fünf bauen, der Energiekonzern Sinopec darf Öl und Gas fracken, China wird das marode Güterbahnnetz Belgrano Cargas modernisieren, das Soja zu den Häfen bringt, wo Schiffe nach Fernost ablegen.

Neue Personenwaggons aus China schleichen schon über morsche Schienenwege. Die erste Eisenbahn-Großinvestition in einem halben Jahrhundert ist Aufwind für Verkehrsminister Florencio Randazzo, der Kirchner nachfolgen will. Und das Militär verhandelt mit der Chengdu Aircraft Corporation über den Kauf von 14 bis 20 Kampfjets, Typ FC-1, Fierce Dragon, die angeblich der britischen Verteidigung der Falklandinseln gefährlich werden könnten.

Für Chile, Peru und Brasilien ist China Handelspartner Nummer eins, für Argentinien und Venezuela Nummer zwei. Die Situation muss eher mit „win and win much more“ beschrieben werden. So exportierte Argentinien 2014 Rohstoffe, vor allem Soja, im Wert von etwa fünf Mrd. Dollar nach China, importierte von dort aber Industriegüter (Elektronik, Fahrzeuge, Spielsachen) im Wert von 10,8 Mrd. Dollar.

„Im vergangenen Jahrzehnt verfolgte China zwei Ziele: Seine transnationalen Unternehmen zu konsolidieren und ,commodities‘ mit geringer Wertschöpfung zu sichern, um seinen stetig wachsenden Bedarf zu stillen“, schrieb Argentiniens Industriellenvereinigung UIA als Reaktion auf die Deals mit Mr. Xi. Der Verband, dessen Mitglieder über chinesische Billigkonkurrenz klagen, hieß die Verträge mit Peking „unsymmetrisch“. Doch Analysten sehen Chancen: Jorge Castro, Direktor des Instituts für strategische Planung sagt: „Im Zeitalter der Freihandelsabkommen sind nicht die Handelsströme entscheidend, sondern Investitionen.“ Castro erinnert daran, dass China im kommenden Jahrzehnt 1,1 Billionen Dollar im Ausland investieren will. „Die entscheidende Frage wird sein, ob wir auf den Zug aufspringen können.“

Auf dem Bahnsteig warten die Regierungen der ganzen Region, mit großen leeren Koffern. Allen voran jene des Landes mit den größten Ölvorkommen: Etwa 50 Mrd. Dollar haben die Chinesen nach Venezuela transferiert. China-Cash ermöglichte es dem schwer kranken Hugo Chávez Wohnungen, Spitäler und Eisenbahnen zu bauen, was half, auch die letzte Wahl seines Lebens zu gewinnen. Das Geld ist längst ausgegeben – meist für chinesische Waren –, aber die Bolivarische Republik muss noch Jahrzehnte für die Schuld mit täglich über 200.000 Barrel Rohöl zahlen.

Natürlich ist Sinopec im Orinoco-Becken aktiv, wo 300 Mrd. Barrel Rohöl lagern sollen, der größte Vorrat der Welt. Aber das Land hat China viel mehr zu bieten, und es geht nicht um Palmenstrände, sondern um moskitoverpestete Urwaldorte: Kurz nach seinem letzten Wahlsieg unterfertigte der sieche Chávez einen Vertrag mit der CITIC Group, Chinas größter Industrieholding. Bis 2018 sollen deren Geologen auf 916.700 km alle Lagerstätten von Gold, Eisen, Bauxit, Phosphat und Kupfer katalogisieren. Ob die Chinesen später all ihr gewonnenes Wissen mit den Venezolanern teilen werden? Die Opposition hat da ihre Zweifel.

Widerstand ist zwecklos

Für Bedenken haben die Chinesen nur ein Lächeln übrig. Als in Venezuela Gewerkschafter gegen überharte Bedingungen auf Baustellen demonstrierten, reagierten die CITIC-Manager und brachten, wie in vielen Ländern Afrikas, eigene Arbeitskräfte ins Land, die klaglos 16-Stunden-Schichten stemmen. Die bekamen auch noch venezolanische Personalausweise und durften (unter Aufsicht) die Chávez-Partei wählen gehen.

Allen, die chinesische Investitionen erträumen, sei ein Besuch in der Wüste Südperus empfohlen. Dort, in der von US-Planern in den 1950ern angelegten Minenstadt San Juan de Marcona, lässt seit 1992 die Shougang Corporation das Mineral Dolomit baggern. Manager aus Peking bewohnen die Bungalows der ehemaligen US-Firmenleitung, sprechen nur untereinander und zeigen kein Interesse, Spanisch zu lernen. Für wie viele Stunden es im Ort Strom oder Wasser gibt, entscheiden sie. Seitdem hier Chinesen regieren, verdienen die Kumpel weniger. Mit Leiharbeitsverträgen wurden die Löhne um 40 Prozent gesenkt. Mit den Arbeitern sprechen nur Security-Leute oder die lokale Polizei, der die Firma ein Extra zahlt, für alle Fälle. Jahr für Jahr wiederholen sich Berichte über exzessive Arbeitszeiten, gebrochene Zusagen für Infrastruktur und Umweltexzesse. Oft zog es die Firma vor, Strafen zu zahlen statt die Anlage den ohnehin laxen Gesetzen Perus anzupassen. „Die behandeln uns wie bessere Sklaven“, klagte eine Arbeiterin einem US-Reporter.

Beschwerden wie diese hörten die China-Korrespondenten Juan Pablo Cardenal und Heriberto Araújo in 25 Ländern, wo chinesische Firmen Rohstoffe fördern, von Sibirien bis Mozambique. Ihr Buch „Der große Beutezug“ ist die erste große Untersuchung über Chinas Methoden der Rohstoffsicherung in Schwellen- und Entwicklungsländern. „Schmuggel, Korruption und Unterstützung von Diktaturen gehören zum Instrumentarium des Regimes, das seine Interessen mit Gewalt vertritt und seinen Rohstoffhunger rücksichtslos befriedigt“, steht im Klappentext zu dem im Vorjahr auf Deutsch erschienenen Werk.

Ja, solche Methoden sind auch westlichen Firmen nicht unbekannt: Vorige Woche kam etwa ein deutscher Baukonzern in Verdacht, an Projekte für die Fußball-WM in Brasilien über Schmiergeld gekommen zu sein. Doch es gibt einen klaren Unterschied: Geschädigte können, etwa bei einem Giftunfall, in den USA oder Europa Firmen klagen. Doch welcher chinesische Richter wird eine fremde Klage gegen eine Staatsfirma akzeptieren?

Wer plaudert, wird gefeuert.

In der patagonischen Wüste wird derweil gestreikt. Die Gewerkschafter protestieren, dass Billigarbeiter aus Bolivien und Paraguay für Chinas Bodenstation angeworben wurden. Einem Reporter zeigen Arbeiter zwei 25-Liter-Wasserkanister: die Tagesration für 100 Mann bei 40 Grad unter praller Sonne. Gewerkschafter führten die Klos vor, die ohne Spülwasser auskommen müssen. Als das TV-Team abgereist war, wurden alle Arbeiter gefeuert, die mit den Journalisten gesprochen hatten.

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