Josef Moser: "Wir entziehen Kindern die Grundlage"

Josef Moser, Präsident des Rechnungshofs
Josef Moser, Präsident des RechnungshofsDie Presse
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Josef Moser, Präsident des Rechnungshofs, will prüfen, wie sich politische Entscheidungen langfristig auswirken. Die Politik interessiere nur eine kürzere Zeitspanne – nämlich die bis zur nächsten Wahl.

»Prüft der Rechnungshof das richtige?
«

Irmgard Griss meint, wir legten den Fokus oft auf das Falsche. Haben Sie manchmal den Eindruck, dass Ihre Beamten die falschen Dinge prüfen und sie besser etwas anderes prüfen sollten, was viel relevanter für die Politik wäre?

Josef Moser: Wir haben die gesamte Strategie des Rechnungshofs umgestellt. Früher haben wir in die Vergangenheit geschaut und Mängel aufgezeigt, und dann war es vorbei. Das reicht nicht aus. Mängel aufzuzeigen hat nur einen Sinn, wenn ich Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehe. Wir haben in den vergangenen Jahren alle Themen geprüft, bei denen die Nachhaltigkeit gefährdet ist, also beispielsweise Pflege, Bildung, Pensionen oder Krankenanstalten und dabei den Fokus in die Zukunft gerichtet.


Das heißt, Sie prüfen genau das Richtige?

Das, was für Österreich wichtig ist. Zusätzlichen Prüfbedarf gäbe es in weiteren Bereichen, in denen öffentliches Geld eingesetzt wird. Beispielsweise, wenn Haftungen eingegangen werden, oder bei Unternehmen wie der Telekom, in denen Milliarden bewegt werden. Wenn man sagt, man braucht in diesen Bereichen eine Kernaktionärschaft, es besteht also ein öffentliches Interesse, dann wäre auch eine Kontrolle notwendig.


Die ÖIAG wollen Sie nicht stärker prüfen?

Wir haben auch in der Vergangenheit schon Privatisierungen der ÖIAG geprüft und massive Mängel gesehen. Auch die neue Struktur der ÖBIB werden wir uns ansehen.


Sie sind Generalsekretär des internationalen Dachverbands der Rechnungshöfe. Welche Ratschläge geben Sie Ihren Kollegen?

In den Jahren hat sich das Denken der Rechnungshof-Präsidenten geändert, nach dem Motto, es reicht nicht aus, ein Rechnungshof zu sein. Rechnungshöfe haben die Aufgabe, Auskunft zu geben, wie es um die Ressourcen und um die finanzielle Nachhaltigkeit steht. Gleichzeitig haben wir die Staatengemeinschaft überzeugt, also alle Mitgliedsländer der UNO, dass es notwendig ist, unabhängige Rechnungshöfe sicherzustellen.


Das ist realistisch?

Das ist realistisch. Staaten wie China und Russland haben sehr starke Rechnungshöfe. China beispielsweise hat das Problem, dass Korruption stattfindet, dass Reich und Arm sich immer weiter auseinanderbewegen. Daher brauchen sie eine Institution, die bei den Bürgern glaubwürdig ist und Vertrauen innerhalb der Gesellschaft schaffen kann.


Da gibt es einen moralischen Konflikt. Denn eigentlich helfen Sie dem chinesischen Regime. . .

Mit unabhängigen Institutionen schränken Regierende ihren Spielraum ein, ihr Handeln wird transparent. Daher kämpfe ich auch dafür, dass die Berichte publiziert werden müssen. Die Bürger müssen erfahren, was der Rechnungshof festgestellt hat. Die Kontrolle ist immer auch ein Förderer von demokratischen Elementen.


Das geht ganz ohne Druck von außen?

Es gibt eine Zusammenarbeit der INTOSAI (Anm.: Dachverband der Rechnungshöfe) mit der Gebergemeinschaft, beispielsweise der Weltbank. Wir zeigen auf, dass es zweckmäßig ist, Geldmittel auch dafür zu verwenden, Institutionen aufzubauen, die die demokratische Entwicklung fördern, während gleichzeitig ein Rechnungswesen aufgebaut wird, das Transparenz bietet. In Griechenland hatte der Rechnungshof diese Möglichkeit nicht.


Haben Ihre griechischen Kollegen jetzt mehr Befugnisse bekommen?

Noch nicht ausreichend, aber das ist auch ein Punkt, den wir aufzeigen. Wir brauchen auch in Europa Kontrolle und Transparenz. Das ist nicht nur ein Thema der Entwicklungsländer. Wir müssen Standards schaffen für die Unabhängigkeit, die notwendige Kapazität für Prüfungen, und wir benötigen ein Rechnungswesen, das wie in der Privatwirtschaft transparent ist und bei dem ich nicht nur Einnahmen und Ausgaben sehe. Es muss zum Beispiel transparent sein, ob der wahre Wert erlöst wurde, wenn etwas verkauft wird.


Aber das haben wir nicht einmal in Österreich.

Das ist genau der Punkt.


Wir brauchen also Entwicklungshilfe?

Was das Rechnungswesen betrifft, ja, weil in einigen Bundesländern aus den Rechnungsabschlüssen die wahre finanzielle Lage nicht hervorgeht. Also: Wie viele Haftungen wurden vergeben, welcher Ressourcenverbrauch hat stattgefunden. Wir haben ja das Problem, dass wir unsere Kinder doppelt belasten. Zum einen hängen wir ihnen den Schuldenrucksack um, zum anderen haben wir einen Investitionsrückstand.


In Deutschland ist das jetzt schon ein Riesenproblem. Sie meinen also, in Österreich steuern wir gerade darauf zu?

Allein vom 1. Jänner bis 31. Dezember 2013 ist aufgrund des neuen Haushaltsrechts auf Ebene des Bundes ersichtlich, dass ein Substanzverbrauch in Höhe von 6,4 Milliarden Euro stattgefunden hat. Um das hat sich das Vermögen reduziert, was bedeutet, wir haben aktuell ein negatives Vermögen von 140 Milliarden Euro. Diesen Rucksack an Substanzverminderung geben wir den Kindern mit. So lebt unsere Generation. Wir reden immer davon, wie sehr wir unsere Kinder lieben, entziehen ihnen aber die Grundlage. Wir Ältere glauben, auch in der Pension sehr gut leben zu können. Aber die Frage wird sein, inwieweit die Jugend in ein paar Jahren bereit ist, den Generationenvertrag aufrechtzuerhalten.


Das ändert sich doch gerade schon.

Es ändert sich das Denken, aber die Handlungen fehlen. Aber die kommen sicher.


Ist es eigentlich frustrierend zu sehen, dass Empfehlungen des Rechnungshofs nicht umgesetzt werden?

Frustrierend ist, dass man immer nur von einer Legislaturperiode zur anderen lebt und nicht erkennt, dass sich nach der Legislaturperiode eine Lücke auftut, die nicht mehr geschlossen werden kann, oder nur dann, wenn damit ein gewisser sozialer Unfrieden verbunden ist.


Wären Sie für eine Politikerhaftung?

Es geht darum, dass man die Verantwortung transparenter macht. Aber man muss gleichzeitig die Voraussetzung schaffen, dass die Folgen eines Nichthandelns bewertbar werden. Wir haben immer noch kein Gesamtkonzept, wie die finanzielle Nachhaltigkeit in Österreich gesichert werden soll. Das Problem ist, dass wir in einer Spirale fahren und immer näher an die Wand kommen. Und am Schluss war es wieder keiner. Das ist auch mit der Hypo Alpe Adria zu vergleichen: Man hat gewusst, wo die Mängel liegen, aber jeder hat zugeschaut, und die Handlungen sind nicht gesetzt worden.

Wann haben Sie eigentlich was von der Hypo gewusst?

2004 hat der Rechnungshof – noch unter meinem Vorgänger – in einem Prüfbericht festgehalten: Wenn man das Wachstum der Hypo beibehält, muss man auf die Risikotragfähigkeit achten und für eine adäquate Eigenmittelausstattung sorgen.


Ich nehme an, das haben Sie gelesen.

Natürlich. Deshalb wollte ich 2005 die Hypo Alpe Adria prüfen. Diese hat das aber verweigert, weil der Anteil des Landes auf unter 50 Prozent abgesenkt wurde. Damit waren wir nicht mehr prüfzuständig. Aus diesem Grund haben wir argumentiert, dass es erforderlich wäre, dass der Rechnungshof auch bei Vorliegen von Haftungen prüfzuständig ist, wie das früher möglich war. Darauf haben wir im Tätigkeitsbericht 2007 und in Interviews 2008 hingewiesen. Auch der Kärntner Landesrechnungshof hätte prüfen wollen, hat aber von der Hypo keine Unterlagen bekommen. Der Landtag hat das akzeptiert und auch den Wunsch des Landesrechnungshofs abgelehnt, die Frage an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.


Sie sind Kärntner, Sie haben aus Ihrer politischen Vergangenheit Kontakt zur FPÖ. Haben Sie nicht einmal angerufen und gesagt: „Seid ihr wahnsinnig, Buben?“

Ich bin seit 1992 nicht mehr in Kärnten tätig, der Haftungsaufbau hat erst ab 2000 begonnen.


Aber das politische Naheverhältnis hat länger gedauert.

Darum geht es nicht. Als Rechnungshof-Präsident, also seit dem Jahr 2004, weise ich ständig darauf hin. Und im Rahmen der Prüfungen haben wir alles unternommen, was wir tun können.


Die Steuerreform mit ihren Plänen, gegen Steuerbetrug vorzugehen, müsste Ihnen eigentlich gut gefallen.

Die Bekämpfung von Steuerbetrug per se ist absolut notwendig. Gleichzeitig muss man eines aufzeigen: Es ist keine nachhaltige Entwicklung, wenn man z. B. im Zuge von Sparpaketen einfach Posten nicht nachbesetzt, ohne damit eine Aufgaben- und Deregulierungsreform zu verbinden. In der Finanzverwaltung ist es zu einer Ausdünnung der Bediensteten gekommen, und damit zu einem Rückgang der Kontrollquote. Gleichzeitig hat die Regelungsdichte enorm zugenommen. Damit hat man bewusst in Kauf genommen, dass es zur Nichteinhebung von Steuern kommt.


Die Verwaltungsreform soll 1,1 Milliarden Euro an Einsparungen bringen. Halten Sie das für ein ambitioniertes Ziel?

Es ist genug Potenzial da, allein bei den Pensionen. Dort brächte eine Harmonisierung ein Einsparungsvolumen von 1,4 Milliarden Euro.


Noch eine persönliche Frage: Wollen Sie Bundespräsidentschaftskandidat werden?

Die Frage stellt sich mir nicht.

Steckbrief

6. 10. 1955
Josef Moser wird in Lienz (Osttirol) geboren.

1992–2003
Der Jurist ist Klubdirektor der FPÖ im Parlament.

2003
Moser wird Vorstand des Eisenbahn-Infrastrukturunternehmens HL-AG, später Vorstand der ÖBB-Holding.

2004
Bestellung zum Rechnungshof-Präsidenten. Die Funktionsperiode läuft bis 2016.

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