Eva Schlegel: "Was bleibt dann noch übrig?"

Eva Schlegel
Eva SchlegelDie Presse
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Künstlerin Eva Schlegel hat die Titelseite dieser Ausgabe gestaltet. Sie arbeitet mit Unschärfe und fragt: Was sieht man, wenn die primäre Information fehlt?

»Warum ist Unschärfe gut?
«

Wie wichtig sind der Blick, der Fokus, das Klarstellen in Ihrer Arbeit?

Eva Schlegel: Der Blick ist immer wichtig, das ist klar. In meiner Arbeit beschäftige ich mich sehr mit der Unschärfe. Es gibt mehrere Momente von Unschärfe, die normale fotografische Unschärfe, die Bewegungsunschärfe. Ich habe begonnen, die Unschärfe einzusetzen, indem ich Texte abfotografiert und sie unscharf gemacht habe, mich mit der Frage auseinandergesetzt habe: Was passiert, wenn der primäre Informationsgehalt fehlt? Was sehe ich dann? Sehe ich ein Bild oder einen Text? Interessanterweise bleibt ein unscharfer Text als Text identifizierbar.

Auch Frauen zeigen Sie oft unscharf.

In einer zweiten Arbeitsgruppe habe ich versucht, das Bild der Frau in den Medien zu bearbeiten und auch in die Unschärfe zu ziehen. Um zu sehen: Wenn alles, die Individualität, die Gefühle, die ja im Gesicht ablesbar sind, weg sind – was bleibt dann an Information übrig? Was an Information erstens in den Körper eingeschrieben ist, und was für verschiedene Stereotype es in der Abbildung von Frauen in der Werbung gibt. Und davon gibt's inzwischen eine ganze Reihe.

Ist Unschärfe nicht etwas Bedrohliches? Wenn es neblig ist, bekommt der Mensch Angst, weil er sich nicht orientieren kann.

Das stimmt, aber es hat plötzlich auch etwas mit Begehren zu tun. Mit Entziehen und Begehren.

Was man dem Westen ankreidet, ist ja die totale Bloßstellung, der pornografische Blick bis ins letzte Detail. Gleichzeitig gibt es nichts Harmloseres als die Nackte in der Boulevardzeitung.

Jetzt. Unsere Sehgewohnheiten haben sich wahnsinnig verändert. Ich habe mich viel mit Erotik und auch Pornografie auseinandergesetzt. Ich habe vor 20 Jahren bei einer Problemstoffsammelstelle gearbeitet. Da kam eine Frau mit einer Box, auf der „Pornodias“ stand. Seitdem bearbeite ich das.

Inwieweit arbeiten Sie mit dem Gedanken, dass die Menschen ständig, auch in einer Zeitung, nach Orientierung trachten? Diese lösen Sie ja eigentlich auf.

Für mich ist das etwas, was mich immer fasziniert hat. Man könnte dem entgegenstellen: Es wird offen, der Raum wird unbegrenzt, man weiß nicht mehr, wo vorn und hinten ist, kennt die Ausdehnung des Raumes nicht mehr. Mich hat auch immer der immaterielle Raum interessiert, auch das Universum, diese Riesenräume. Und was mich eigentlich am meisten interessiert hat, von Anfang an, das habe ich noch nie wirklich geschafft darzustellen: Räume, die ich nicht mehr auflösen, die ich nicht mehr begreifen kann.

Jetzt die schlicht-klassische Künstler-Interviewfrage: Wer hat Sie beeinflusst?

Ich habe die Minimalisten sehr gemocht, Donald Judd hat mich sehr interessiert – mit diesem Kubikmeter aus Aluminium, der Boden aus rotem und grünem Plexiglas. Das hat sich durch das Metall gespiegelt und aufgeladen, und plötzlich war da ein grüner Raum. Oder Walter De Marias Erdraum. Oder Bruce Nauman in Hamburg – der Raum, der sich in alle sechs Richtungen ausdehnt. The space which doesn't care. Das waren Arbeiten, die mich sehr fasziniert haben.

Wie wichtig sind Ihnen Medien?

Medien hab ich eigentlich nicht so gern. Ich habe das Mittagsjournal gern, ich lese wahnsinnig gern, aber am liebsten Bücher.

Der Tiroler Bildhauer Hellmut Bruch verweigert Nachrichten. Das verderbe ihn, sagte er mir einmal.

Ich bin schon ein politischer Mensch und habe Ansprüche an die Welt. Ich hätte zum Beispiel gern in jeder Zeitung zwei Seiten über die Vorgänge in der EU, ich hätte gern viel Außenpolitik. Ich wüsste gern, was in China passiert oder in Indien oder Kanada.

Sie porträtierten vor Kurzem posthum Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, die Arbeit hängt im Parlament. Sie kannten sie?

Ja, nicht gut, aber sie hat ein paar Arbeiten bei mir gekauft, als sie Frauenministerin wurde. Die unscharfen Texte auf Glas. Dann hat mich der jetzige Kurator des Parlaments, Hans Peter Wipplinger, angesprochen. Auch Prammers Kinder waren einverstanden. Wir haben Fotos gesucht, sie freigestellt und in verschiedene Räume gesetzt.

Wie ist Ihre intensive Auseinandersetzung mit der Darstellung von Frauen entstanden?

Das begann wohl, als ich Professorin wurde. 1997 gingen gerade mehrere Professoren in Pension, vieles war neu, ein Generationenwechsel lag in der Luft. Die Studierenden konnten sich den Professor aussuchen. Viele Studentinnen haben sich bei mir beworben. Gemeinsam haben wir begonnen, uns sukzessive feministische Inhalte bewusst zu machen. In meiner Studienzeit wurden Frauen oft angefeindet und nicht ernst genommen. Auch Kränkungen haben stattgefunden.

Hat sich das verbessert?

Ich muss ehrlich sagen: nicht wirklich. Wir haben damals begonnen, wie die Guerilla Girls Ausstellungen auf ihren Frauenanteil zu überprüfen. Auch wenn man heute Gruppenausstellungen betrachtet: Da sind nie mehr als ein Drittel Frauen, und das ist schon viel, der Schnitt sind zehn Prozent bis ein Viertel Frauen, der Rest sind Männer. In Zeiten, in denen es wirtschaftlich enger wird, greift man offenbar aufs Bekannte zurück. Und wenn ich es genau anschaue, verdiene ich natürlich schon weniger als die Männer meiner Generation. Auch als Kollegen, die im Ranking hinter mir liegen. Manchmal bin ich ein bisschen ermattet.

So wirken Sie aber nicht.

Als Künstlerin macht mir meine Arbeit auch sehr viel Freude und hält mich unter Spannung.

zur person

Eva Schlegel

Die Künstlerin wurde 1960 in Tirol geboren. 1997 bis 2006 Professorin an der Akademie der bildenden Künste, 2011 Kommissarin des Österreich-Pavillons bei der Biennale Venedig. Für den Dachaufbau des Leopold-Museums soll sie die Glasfassade gestalten. Aktuelle Ausstellungen: „Vienna for Art's Sake“, Winterpalais Belvedere, „Characters and Figures“, Galerie Krinzinger.

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