KZ-Film "Theresienstadt": Propaganda aus der Albtraumfabrik

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KZ-Film "Theresienstadt": Propaganda aus der Albtraumfabrik(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Vor 70 Jahren wurde der SS-Propagandafilm "Theresienstadt" zum ersten Mal gezeigt. Er stellt das Leben im KZ als Idylle dar.

Kinder spielen in Badehosen an einem Bach, eine Frau mit Judenstern auf der Bluse hält lachend ihre Ernte in die Kamera. "In den Schrebergärten der Familien gibt es ständig zu jäten und zu gießen, wächst hier doch ein willkommener Zuschuss für den Küchenzettel", sagt eine Stimme aus dem Off, begleitet von Geigenmusik. Idyllisch sei das Leben im "jüdischen Siedlungsgebiet", suggeriert der Film "Theresienstadt". In Wirklichkeit ist das Gemüse aus den "Schrebergärten" nicht für die meist hungernden jüdischen Familien gedacht, sondern einzig für die SS-Männer, die sie bewachen. Und der Großteil der Menschen, die im Film durch die Gärten streifen, werden bald nach den Aufnahmen in Auschwitz ermordet.

Insgesamt 140.000 Menschen sperrt das NS-Regime  zwischen 1942 und 1945 in Theresienstadt nördlich von Prag ein. Rund 90.000 davon werden in Vernichtungslager weitertransportiert (wovon nur 3500 überleben), 34.000 sterben an Hunger und Krankheit in der völlig überfüllten Festungsstadt.

Im Oktober 1943 werden 481 dänische Juden nach Theresienstadt deportiert. Die Regierung des besetzten Landes fordert die Genehmigung, sie dort aufsuchen zu können. Das NS-Regime stimmt schließlich einem Besuch des Internationalen Roten Kreuzes zu - allerdings erst in einem halben Jahr. Bis dahin müssen die jüdischen Gefangenen Spielplätze und ein Gemeinschaftszentrum bauen, Fassaden streichen und Rosen pflanzen. Um die Überbevölkerung zu reduzieren, werden die Transporte nach Auschwitz verstärkt. Bis ins letzte Detail wird der Besuch am 23. Juni 1944 orchestriert - die Route führt durch die aufgehübschten Teile des Lagers, das Verhalten der Gefangenen ist einstudiert.

Das "potemkinsche Lager"

Mehr als nur eine ausreichende Versorgung, sogar Überfluss soll dem Besucher vorgegaukelt werden. "Onkel Rahm, wir wollen keine Sardinen mehr, wir sind schon so voll"- die Kinder Theresienstadts sagen sorgfältig geprobte Sätze auf, als Lagerkommandant Karl Rahm mit dem Delegierten vorbeikommt. Dabei wissen sie weder, was Sardinen überhaupt sind, noch wäre es ihnen je eingefallen, den Lagerkommandanten Onkel zu nennen, wie Überlebende im Dokumentarfilm "Kurt Gerron - Gefangen im Paradies" erzählen.

Die Delegierten, zwei Dänen und ein Schweizer, lassen sich täuschen. Man habe ihnen ein "potemkinsches Lager" vorgeführt, räumt der Schweizer Maurice Rossel später in einem Interview mit dem Regisseur Claude Lanzmann ein.

Beflügelt von dem Propagandaerfolg beschließt SS-Sturmbannführer Hans Günther, Leiter des Prager "Zentralamts zur Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren", ein Projekt wiederaufzunehmen, zu dem es seit Ende 1943 Vorarbeiten gab: einen Propagandafilm über das KZ Theresienstadt. Als Regisseur verpflichtet man den jüdischen Komiker und Filmkünstler Kurt Gerron, der seit Februar 1944 in Theresienstadt sitzt. Viele prominente Häftlinge wirken als Darsteller mit. "Man hat uns fürs Mitmachen die Freiheit versprochen. Und ich habe es geglaubt", erzählt der Jazzmusiker Coco Schumann gegenüber "Spiegel Online".

Von August bis September 1944 laufen die Dreharbeiten. Szenen der Zwangsarbeit in einer Schmiede, Schusterwerkstatt oder Töpferei kommentiert der Sprecher mit: "Für Arbeiter verschiedener Berufe und Handwerken gibt es auch in Theresienstadt Möglichkeiten, ihre Tätigkeit fortzusetzen." Die "Gestaltung der Freizeit", heißt es, "ist jedem einzelnen überlassen." Frauen turnen und stricken, Kinder essen Butterbrote und Obst, Fußballmatches (>> mehr dazu) und Konzerte begeistern ihr Publikum. Das KZ wird während des Drehs zur "Albtraumfabrik" schreiben Uta Fischer und Roland Wildberg" in "Theresienstadt. Eine Zeitreise".

Regisseur in der Gaskammer ermordet

Nach Abschluss der Dreharbeiten wird ein Großteil der Beteiligten nach Auschwitz deportiert - auch Gerron, der am 28. Oktober 1944 in der Gaskammer stirbt. Ende März 1945 ist der Film fertig geschnitten, Anfang April folgt die erste dokumentierte Aufführung vor SS-Offizieren. Auch einige Repräsentanten ausländischer Organisation bekommen den Film in den folgenden Wochen zu sehen. Für ein deutsches Publikum war er wohl nie gedacht: "Ein Publikum, das seit Jahren einer aggressiven antijüdischen Propaganda ausgesetzt war (..), wäre durch einen Film, der Juden weniger verzerrt darstellt, nur verwirrt worden", schreibt der Historiker Karel Margry.

Die meisten Experten gehen davon aus, dass "Theresienstadt" bezwecken sollte, Vertreter des Auslands zu täuschen. Die Slavistin Natascha Drubek vertritt die These, "Theresienstadt" sei mögliches Beweismittel für Gerichtsprozesse gegen Nationalsozialisten nach Ende des Krieges geplant gewesen. Auf einer internationalen Konferenz zu dem Film 2014 blieb das aber umstritten.

Jedenfalls konnte man dem Ausland zum Zeitpunkt der Fertigstellung nichts mehr vormachen. Im Jänner 1945 war das KZ Auschwitz befreit worden, der internationalen Gemeinschaft waren die Dimensionen der Judenvernichtung längst bekannt.

Falscher Titel überliefert

Eine vollständige Kopie des 90-minütigen Films wurde nie gefunden, zahlreiche Fragmente blieben aber erhalten. Lange Zeit war das Werk unter dem Titel "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" bekannt. Doch die Forschung stellte fest, dass es in Wirklichkeit "Theresienstadt" mit dem Untertitel "Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet" hieß. "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" dürfte von den Gefangenen Theresienstadts zur Zeit der Dreharbeiten schwarzhumorig verwendet worden sein.

Viele der Dinge, die der Film zeige, habe es in Theresienstadt tatsächlich gegeben, resümiert der Historiker Margry. Die eklatante Lüge liege wohl in dem, "was er nicht zeigt: den Hunger, das Elend, die Überbevölkerung, die Sklavenarbeit für die deutsche Kriegsindustrie, die hohe Sterblichkeit und, vor allem, die Transporte in den Osten".

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